Nächtliche Ruhestörung in Jerusalem
Sogenannte Misaharati wecken in Israels multireligiöser Stadt während des Fastenmonats Ramadan Muslime um 3 Uhr nachts auf – sehr zum Ärger jüdischer Familien. Die Polizei muss deswegen einschreiten.
Es ist drei Uhr nachts in der Jerusalemer Altstadt. Ein 15Jähriger schlägt die Trommel mit all seiner Kraft, der Rhythmus hallt mit dem Gesang seines arabischen Freundes durch die Gassen. Sie setzen die Tradition der Misaharati fort und wecken so während des Fastenmonats Ramadan die Muslime auf, damit diese beten und vor dem Morgengrauen essen können, bevor sie tagsüber bis Sonnenuntergang fasten.
Jüdische Nachbarn sehen das Ganze allerdings als Lärmbelästigung und haben sich wiederholt bei der Polizei beschwert. Mehrfach wurden Misaharatis daraufhin festgenommen und mussten Geldstrafen zahlen. Das erzählen Palästinenser. Sie sorgen sich um die Zukunft ihrer Tradition.
US-Präsident Donald Trump hatte im Dezember Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannt. Seither fühlen sich die Musiker deutlich stärker gemaßregelt – anders als in früheren Jahren. Jerusalem gilt als Zankapfel im Streit zwischen Israelis und Palästinensern. Israel hat Ostjerusalem und damit die Altstadt 1967 während des Sechstagekriegs erobert. Die Palästinenser wollen den Ostteil der Stadt allerdings als Hauptstadt für einen zukünftigen Staat Palästina.
„Die Polizei hat mich festgenommen und mir gesagt, ich solle nicht mehr singen, weil wir die Siedlungen stören“, sagt der 26-jährige Mohammed Hajaj. Der Anführer des morgendlichen Marsches bezieht sich damit auf die jüdischen Bewohner im muslimischen Viertel der Altstadt. Bereits fünf Mal sei er verhaftet worden, sagt er. Drei Mal habe er Strafe zahlen müssen – jeweils umgerechnet 110 Euro.
Kinder lugen aus den Haustüren, während Hajaj und seine Begleiter vorbeiziehen. Aber als die Gruppe eines der wenigen jüdischen Gebäude im muslimischen Viertel passiert, wird sie still.
Die Jerusalemer Altstadt ist in vier Viertel aufgeteilt: das muslimische, das jüdische, das christliche und das armenische. Das muslimische Viertel ist das größte mit rund 30.000 Einwohnern. Im jüdischen Viertel leben dagegen nur ein paar Tausend.
Die Sänger und Trommler ziehen nicht durch das jüdische Viertel. Ihr Konflikt besteht mit den 85 jüdischen Familien, rund 1000 Menschen, die an schwer bewachten Orten im muslimischen Viertel leben. Die Familien gehören zu einer nationalistisch-religiösen Strömung in Israels Gesellschaft, die auf eine größere jüdische Bevölkerung in der Altstadt und im restlichen Ostjerusalem hofft.
„Es stört mich“, sagt Ruti, eine jüdische Lehrerin, über die Misaharati. Sie lebt seit einem Jahr im muslimischen Viertel. Die 30-Jährige sagt, dies habe nichts mit Religion oder Politik zu tun, es gehe lediglich um den Lärm. Manche Palästinenser sehen einen Zusammenhang mit Trumps Jerusalem-Anerkennung und dem strikten Vorgehen der Polizei. „Die Israelis versuchen, die Welt wissen zu lassen, dass Jerusalem die Hauptstadt von Israel ist“, sagt der Jerusalemer Aktivist Nasser Kus. Bisher seien während des Ramadans fünf Misaharati vorübergehend festgenommen worden.
Die Polizei wiederum sagt, man sei „entschlossen“, gegen dieses Phänomen vorzugehen. Gleichzeitig wolle man „die empfindliche Balance zwischen der Sicherung der Freiheit, der Religion und der öffentlichen Ordnung sowie der Lebensqualität für alle Bürger in der Stadt“erhalten.