Nicaraguas Präsident steht mit dem Rücken zur Wand
Der einstige Freiheitskämpfer Daniel Ortega ist nur noch am eigenen Machterhalt interessiert.
MANAGUA. Man hat Daniel Ortega schon länger nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Der nicaraguanische Präsident hat sich mit seiner Frau und Vizepräsidentin Rosario Murillo im Regierungspalast verschanzt, während draußen die Wut wächst und die Barrikaden zahlreicher werden. Während vor allem junge Leute darauf setzen, den seit elf Jahren amtierenden sandinistischen Präsidenten zu stürzen, wollen die katholische Kirche und Unternehmer des Landes Ortega zu einem geordneten Rückzug bewegen. Der Präsident müsse die Macht „so schnell wie möglich“abgeben, verlangte Arbeitgeberchef José Adán Aguerri dieser Tage.
Doch Ortegas Unterhändler nennen die Forderung „den Weg zu einem Staatsstreich“und lehnen einen vorzeitigen Abgang des autoritären Herrschers kategorisch ab.
Acht Wochen nach Beginn der Proteste, deren Auslöser eine mittlerweile zurückgenommene Pensionsreform war, ist keine Beruhigung in Sicht. Ein weitgehend frustriertes und verarmtes Volk wehrt sich gegen einen Staatschef, der als linker Hoffnungsträger begann und zu einem selbstherrlichen und korrupten Caudillo wurde, der eine Familiendynastie in Nicaragua etabliert hat.
Längst vergleichen Kritiker wie Vilma Núñez, Chefin eines Menschenrechtszentrums, Ortegas Regime mit dem Clan um den brutalen Diktator Anastasio Somoza, den die Sandinisten und Ortega vor fast 40 Jahren unter dem Applaus der halben Welt stürzten. „Auch Daniel Ortega geht über Leichen“, sagt Núñez. Seit 18. April, als die Auseinandersetzungen begannen, sind laut NGOs mehr als 100 Menschen getötet worden. Amnesty International beschuldigt die Sicherheitskräfte, mit unverhältnismäßiger Härte gegen die vor allem jugendlichen Protestierer vorzugehen und viele von ihnen ermordet zu haben. Ortega bezeichnet die Protestierer als Agenten der Opposition und ausländischer Mächte.
Dem verstockten Staatschef ist die Lage längst entglitten. Die massive Repression mit Spezialeinheiten der Polizei und zivilen, regierungstreuen Schlägertrupps haben die Wut nur noch angefacht. Die Demonstranten wehren sich mit Straßensperren, Steinen und selbst gebauten Sprengsätzen gegen die Staatsgewalt. In Washington verurteilte die Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die Übergriffe der Sicherheitskräfte auf die Bevölkerung. Aber dem 72 Jahre alten Ortega scheint das egal zu sein. Erst Anfang 2017 hatte er seine vierte Präsidentschaft angetreten, sein Mandat läuft noch bis Ende 2021. Es ist aber schwer vorstellbar, dass sich der Staatschef so lang im Amt halten kann. Aber im Moment ist auch kaum denkbar, dass er dem Druck der Straße bald nachgibt.
Auslöser des Konflikts war eine geplante Reform der Sozialkassen, die zu Pensionskürzungen und drastisch erhöhten Abgaben geführt hätte. So sollte laut Regierung der Zusammenbruch der Pensionsversicherung verhindert werden. Kritiker entgegnen, der Ortega-Clan habe die Kassen geplündert.
Zur Überraschung von Freund und Feind weitete sich der Protest wie ein Lauffeuer zu einem landesweiten Aufstand aus. Er „spiegelt zehn Jahre Missbrauch und Demütigung der Bevölkerung durch die Regierung“, erklärt der Oppositionspolitiker Azalea Solís. Ortega müsste aus eigener Erfahrung wissen, wo sozialer Protest in Nicaragua enden kann. Er war der führender Kopf der FSLN-Rebellen, die 1979 den Diktator Somoza stürzten.
Ortega wurde später Präsident, 1990 aber abgewählt. 2007 kehrte er zurück – und seither hat er alles dafür getan, die Macht nicht erneut abzugeben. Er verbündete sich mit rechten korrupten Politikern, umgarnte die Kirche und gewann die Unternehmer für sich. Er hat die Verfassung gebeugt, um sich wiederwählen zu lassen, und seine Gegner nach und nach politisch kaltgestellt. Heute ist der frühere Revolutionär einer jener lateinamerikanischen Herrscher, die weder links noch rechts sind, sondern deren einzige Ideologie der Machterhalt ist.
Mittlerweile hat der mächtige Arbeitgeberverband COSEP offen mit Ortega gebrochen und fordert Neuwahlen spätestens Anfang 2019.