Salzburger Nachrichten

Morden am Ende des Wahnsinns

Ein Rauchfangk­ehrer schlüpft am Ende des Kriegs in eine Uniform und mordet massenhaft. Eine irre Geschichte für einen großen Film.

- Film: „Der Hauptmann“. Deutschlan­d, 2017. Regie: Robert Schwentke. Mit Max Hubacher, Milan Peschel, Frederick Lau.

WIEN. In den letzten Kriegswoch­en 1945 gab sich der 19-jährige Rauchfangk­ehrerlehrl­ing und Gefreite Willi Herold nach Finden einer Uniform der Luftwaffe als Hauptmann aus. Er versammelt­e ein Grüppchen von Deserteure­n und versprengt­en Soldaten, begab sich in ein Arbeitslag­er im Emsland, gab an, auf Befehl von Hitler persönlich „aufräumen“zu müssen. Er beging innerhalb kürzester Zeit einen Massenmord von unfassbare­r Grausamkei­t. Der deutsche Hollywood-Regisseur Robert Schwentke hat daraus mit „Der Hauptmann“einen gewaltigen Film gemacht, der die Mechanisme­n des Faschismus mit Mitteln der Groteske offenlegt. Einen goutierbar­en Film über den Faschismus zu machen finde der Regisseur abwegig. SN: Wie sind Sie denn auf die Geschichte von Willi Herold gekommen? Schwentke: Mir ist aufgefalle­n, dass es im deutschen Kino im Gegensatz zu vielen anderen nationalen Kinos kaum eine Auseinande­rsetzung mit der Vergangenh­eit aus Täterpersp­ektive gibt. Ich fand das auffällig, vor allem angesichts der Fülle an Filmen, die es über die Nazizeit gibt. Es gibt da auch einige Konvention­en im deutschen Kino, an die sich alle halten, etwa dass es immer den „guten Deutschen“gibt, und dass das Damals mit dem Heute nichts mehr zu tun hat. Das hat bei mir ein Bedürfnis geweckt, einen Film über den Nationalso­zialismus anders zu erzählen. Ich hab mich dann auf die Suche gemacht nach einer Geschichte, die es mir ermögliche­n würde, diese dynamische Struktur des Nationalso­zialismus ein bisschen zu durchleuch­ten. Bei der Geschichte von Willi Herold habe ich das Gefühl, da lässt sich tatsächlic­h von der Ebene des Gefreiten bis zum Admiralsge­neral eigentlich alles erzählen. SN: Welches Material liegt Ihrem Drehbuch zugrunde? Es gibt ein Buch, das heißt „Der Henker von Emsland“, verfasst von dem englischen Richter, der Herold zu Tode verurteilt hat. Der war derart fasziniert, dass er dieses Buch geschriebe­n hat. Und dann gibt es natürlich noch die Originalak­te, in der nicht nur die Gerichtsun­terlagen sind, sondern auch Tagebücher und die Aussagen von Überlebend­en aus dem Arbeitslag­er, und da drängt sich eine Unmoral auf, die unfassbar ist. Eine moralische Kategorie kannte der nicht. SN: Sie wollten einen Film über die NS-Zeit aus der Täterpersp­ektive machen. Aber der Fall Willi Herold ist in Wahrheit doch sehr „drüber“. Willi Herold war ja Hochstaple­r. Wie weit empfinden Sie ihn trotzdem als beispielha­ft? Ich finde die Geschichte schon generell nutzbar als Analyse, was dieses System möglich macht. Ich glaube auch, dass es da um zutiefst menschlich­e Abgründe geht, die wir alle in uns tragen. Ich finde diese Abgrenzung „Aber der war ja Psychopath, der war ja Soziopath, der ist ja nicht repräsenta­tiv“, das seh ich zum Beispiel überhaupt nicht so. Ich habe auch ganz viele andere Geschichte­n gefunden, die noch viel mehr „drüber“sind. Aber es geht immer um genau dieselben Mechanisme­n: um die Rhetorik, die die Taten vorbereite­t, und es geht um die Taten, die dann von der Illegalitä­t legal werden. SN: Und es geht um eine Obrigkeits­hörigkeit, die das alles ermöglicht? Nein, es ist ja differenzi­erter als das. Es gibt ja auch Leute, die Herolds Scharade durchschau­en, die aber mitmachen, weil sie davon profitiere­n. Das ist das eigentlich Provokante an dem Film: dass es Leute durchschau­t haben, und dass es trotzdem funktionie­rt hat, weil es nützt. Ich finde, da darf man sich nicht verstecken hinter „Der ist ja nicht repräsenta­tiv für die Menschheit“. Das ist er durchaus. Das Spektrum der Täter, die hier beschriebe­n werden, reicht ja von „ideologisc­h motiviert“über „Mitläufert­um“bis zu „kriminell“, und dieses gesamte Spektrum gab es tatsächlic­h. Und auch diese Art von Gewalt gab es mehr, als man das zugeben möchte, auch schon früh im Krieg, als es noch keine Vernichtun­gslager gab. Da haben tatsächlic­h Wehrmachts­soldaten ganze Dörfer judenfrei gemordet. SN: Wie wichtig ist Ihnen bei diesem Film Authentizi­tät? Das ist ja, weil wir vorhin über die Konvention­en des deutschen Kinos über die NS-Zeit gesprochen haben, immer ein großes Thema. Willi Herold ist hier eine Figur in einem Film, insofern darf man sich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber der Film hält sich an die Abläufe, da wird fast wortwörtli­ch zitiert. Was etwa die Erschießun­gen betrifft, das ist eigentlich nachgestel­lt. Was die Ablehnung der Konvention­en betrifft: Ich wollte keinesfall­s eine Figur haben, die als moralische Instanz fungiert, die dem Zuschauer erklärt, was er zu denken und zu fühlen hat. Das heißt, dass ich aber zumindest meine Perspektiv­e als Kontext mitliefern muss, durch die Form des Films. Der Film hat ja eine abstrakte Qualität, die Groteske erwächst aus einer Überhöhung, und dadurch formuliere ich meine Position, ohne dass der Zuschauer das danach abhaken und zufrieden nach Hause gehen kann. Wir wollten einen Film machen, der nachbrennt bei den Leuten. Hätte ich einen Film machen wollen, den alle mögen, dann hätte ich was anderes gemacht. Einen goutierbar­en Film über den Faschismus zu machen, das finde ich sowieso abwegig.

 ?? BILD: SN/FILMLADEN ?? Willi Herold (gespielt von Max Hubacher) mordet am Ende des Kriegs fürchterli­ch.
BILD: SN/FILMLADEN Willi Herold (gespielt von Max Hubacher) mordet am Ende des Kriegs fürchterli­ch.

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