Morden am Ende des Wahnsinns
Ein Rauchfangkehrer schlüpft am Ende des Kriegs in eine Uniform und mordet massenhaft. Eine irre Geschichte für einen großen Film.
WIEN. In den letzten Kriegswochen 1945 gab sich der 19-jährige Rauchfangkehrerlehrling und Gefreite Willi Herold nach Finden einer Uniform der Luftwaffe als Hauptmann aus. Er versammelte ein Grüppchen von Deserteuren und versprengten Soldaten, begab sich in ein Arbeitslager im Emsland, gab an, auf Befehl von Hitler persönlich „aufräumen“zu müssen. Er beging innerhalb kürzester Zeit einen Massenmord von unfassbarer Grausamkeit. Der deutsche Hollywood-Regisseur Robert Schwentke hat daraus mit „Der Hauptmann“einen gewaltigen Film gemacht, der die Mechanismen des Faschismus mit Mitteln der Groteske offenlegt. Einen goutierbaren Film über den Faschismus zu machen finde der Regisseur abwegig. SN: Wie sind Sie denn auf die Geschichte von Willi Herold gekommen? Schwentke: Mir ist aufgefallen, dass es im deutschen Kino im Gegensatz zu vielen anderen nationalen Kinos kaum eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus Täterperspektive gibt. Ich fand das auffällig, vor allem angesichts der Fülle an Filmen, die es über die Nazizeit gibt. Es gibt da auch einige Konventionen im deutschen Kino, an die sich alle halten, etwa dass es immer den „guten Deutschen“gibt, und dass das Damals mit dem Heute nichts mehr zu tun hat. Das hat bei mir ein Bedürfnis geweckt, einen Film über den Nationalsozialismus anders zu erzählen. Ich hab mich dann auf die Suche gemacht nach einer Geschichte, die es mir ermöglichen würde, diese dynamische Struktur des Nationalsozialismus ein bisschen zu durchleuchten. Bei der Geschichte von Willi Herold habe ich das Gefühl, da lässt sich tatsächlich von der Ebene des Gefreiten bis zum Admiralsgeneral eigentlich alles erzählen. SN: Welches Material liegt Ihrem Drehbuch zugrunde? Es gibt ein Buch, das heißt „Der Henker von Emsland“, verfasst von dem englischen Richter, der Herold zu Tode verurteilt hat. Der war derart fasziniert, dass er dieses Buch geschrieben hat. Und dann gibt es natürlich noch die Originalakte, in der nicht nur die Gerichtsunterlagen sind, sondern auch Tagebücher und die Aussagen von Überlebenden aus dem Arbeitslager, und da drängt sich eine Unmoral auf, die unfassbar ist. Eine moralische Kategorie kannte der nicht. SN: Sie wollten einen Film über die NS-Zeit aus der Täterperspektive machen. Aber der Fall Willi Herold ist in Wahrheit doch sehr „drüber“. Willi Herold war ja Hochstapler. Wie weit empfinden Sie ihn trotzdem als beispielhaft? Ich finde die Geschichte schon generell nutzbar als Analyse, was dieses System möglich macht. Ich glaube auch, dass es da um zutiefst menschliche Abgründe geht, die wir alle in uns tragen. Ich finde diese Abgrenzung „Aber der war ja Psychopath, der war ja Soziopath, der ist ja nicht repräsentativ“, das seh ich zum Beispiel überhaupt nicht so. Ich habe auch ganz viele andere Geschichten gefunden, die noch viel mehr „drüber“sind. Aber es geht immer um genau dieselben Mechanismen: um die Rhetorik, die die Taten vorbereitet, und es geht um die Taten, die dann von der Illegalität legal werden. SN: Und es geht um eine Obrigkeitshörigkeit, die das alles ermöglicht? Nein, es ist ja differenzierter als das. Es gibt ja auch Leute, die Herolds Scharade durchschauen, die aber mitmachen, weil sie davon profitieren. Das ist das eigentlich Provokante an dem Film: dass es Leute durchschaut haben, und dass es trotzdem funktioniert hat, weil es nützt. Ich finde, da darf man sich nicht verstecken hinter „Der ist ja nicht repräsentativ für die Menschheit“. Das ist er durchaus. Das Spektrum der Täter, die hier beschrieben werden, reicht ja von „ideologisch motiviert“über „Mitläufertum“bis zu „kriminell“, und dieses gesamte Spektrum gab es tatsächlich. Und auch diese Art von Gewalt gab es mehr, als man das zugeben möchte, auch schon früh im Krieg, als es noch keine Vernichtungslager gab. Da haben tatsächlich Wehrmachtssoldaten ganze Dörfer judenfrei gemordet. SN: Wie wichtig ist Ihnen bei diesem Film Authentizität? Das ist ja, weil wir vorhin über die Konventionen des deutschen Kinos über die NS-Zeit gesprochen haben, immer ein großes Thema. Willi Herold ist hier eine Figur in einem Film, insofern darf man sich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber der Film hält sich an die Abläufe, da wird fast wortwörtlich zitiert. Was etwa die Erschießungen betrifft, das ist eigentlich nachgestellt. Was die Ablehnung der Konventionen betrifft: Ich wollte keinesfalls eine Figur haben, die als moralische Instanz fungiert, die dem Zuschauer erklärt, was er zu denken und zu fühlen hat. Das heißt, dass ich aber zumindest meine Perspektive als Kontext mitliefern muss, durch die Form des Films. Der Film hat ja eine abstrakte Qualität, die Groteske erwächst aus einer Überhöhung, und dadurch formuliere ich meine Position, ohne dass der Zuschauer das danach abhaken und zufrieden nach Hause gehen kann. Wir wollten einen Film machen, der nachbrennt bei den Leuten. Hätte ich einen Film machen wollen, den alle mögen, dann hätte ich was anderes gemacht. Einen goutierbaren Film über den Faschismus zu machen, das finde ich sowieso abwegig.