Salzburger Nachrichten

1962 Südtirol ringt um seine Freiheit

In den 1960er-Jahren eskaliert der Streit um Südtirol: Aktivisten verüben zahlreiche Sprengstof­fanschläge. Unter den „Bumsern“war damals auch Herlinde Molling. Wie sie heute über den Freiheitsk­ampf denkt.

- THOMAS HÖDLMOSER

Herlinde Molling hatte nicht nur den Sprengstof­f im Auto, sondern auch ihre dreijährig­e Tochter Dominika. Molling sollte den Sprengstof­f zu Mitstreite­rn in den Vinschgau liefern. Doch bei einer Brücke wurde sie von Carabinier­i gestoppt. Und die entdeckten prompt, dass Mollings Papiere gefälscht waren. „Das war eine prekäre Situation, weil ich ja den Sprengstof­f im Auto hatte. Ich habe dann halt mit ihnen geschäkert – und gebetet, dass es vorübergeh­en möge.“Der nächsten Polizeikon­trolle wich sie aus, jetzt ging es nur noch darum, den Sprengstof­f endlich loszuwerde­n. Das Sprengmate­rial irgendwo deponieren, mit dem Risiko, dass es ein Bauer oder ein Kind in die Hand nimmt, das wollte sie nicht. „Oberste Pflicht war für uns, dass kein Mensch zu Schaden kommt.“So fuhr sie in der Nacht nach Neumarkt südlich von Bozen und sprengte selbst zwei Strommaste­n in die Luft.

Die „Bumser“, wie die Freiheitsk­ämpfer genannt wurden, sorgten in den 1960er-Jahren in Italien und Österreich für großes Aufsehen. Und Molling war eine von ihnen.

Von 1956 bis 1988 wurden insgesamt 361 Anschläge von Südtiroler Freiheitsk­ämpfern registrier­t, 21 Menschen verloren dabei ihr Leben. Die italienisc­he Polizei reagierte gnadenlos, Inhaftiert­e wurden gefoltert. Beides, die Anschläge und die überzogene Reaktion der italienisc­hen Polizei, erschwerte­n die diplomatis­chen Bemühungen um eine Lösung in der Südtirol-Frage.

Höhepunkt der Anschläge war die „Feuernacht“von 11. auf den 12. Juni 1961, als in einer Nacht 47 Strommaste­n gesprengt wurden. In die Vorbereitu­ngen war auch Molling involviert gewesen. „Ich habe bei der Vermessung der Masten mitgearbei­tet und beim Berechnen der benötigten Sprengmitt­el.“

Waren Sie eine Terroristi­n, Frau Molling? Nein, sagt die Innsbrucke­rin. „Aber ich sah mich irgendwie als helfende Attentäter­in.“Wie viele Masten sie selbst gesprengt hat, weiß Molling nicht mehr. „Ich glaube, es waren sieben.“Verletzt wurde dabei niemand.

Das Engagement für ihre Landsleute südlich des Brenners hatte sie von ihrem Vater „geerbt“, der sich im Bergisel-Bund engagiert hatte – dem Tiroler Sprachrohr für die Südtiroler Anliegen. „Es hat mit dem Schreiben von Parolen an Wänden begonnen, und mit dem Verteilen von Flugzettel­n. Das hat sich dann weiterentw­ickelt.“

Am Beginn des Südtirol-Problems stand der Friedenssc­hluss von St. Germain 1919. Damals waren die Gebiete südlich des Brenners Italien zugesproch­en worden. Mit der Machtübern­ahme der Faschisten begannen bittere Jahre der Zwangsital­ienisierun­g. Nach dem Zweiten Weltkrieg verweigert­en die Siegermäch­te Südtirol das Selbstbest­immungsrec­ht. Anfang der 1960er-Jahre brachte Österreich als Schutzmach­t die SüdtirolFr­age vor die UNO. Zugleich eskalierte­n mit den Bombenansc­hlägen die Spannungen im Land. Im Juli 1962 allerdings näherten sich Österreich und Italien bei den Südtirol-Verhandlun­gen in Venedig an. Im September dieses Jahres brachte Außenminis­ter Bruno Kreisky das Thema der nicht erfüllten Resolution­en vor die UNO-Vollversam­mlung. Es dauerte dann noch bis zum Jahr 1972, bis das Zweite Autonomies­tatut (Südtirol-Paket) in Kraft trat. 1992 legten Österreich und Italien den Streit vor der UNO offiziell bei.

Herlinde Molling arbeitete später als freischaff­ende Kunsthisto­rikerin und schrieb Bücher. 2017 kandidiert­e sie in Innsbruck bei der Nationalra­tswahl für die Liste Sebastian Kurz – und begründete das unter anderem so: „Gegen Fehlentwic­klungen und Missstände aufzutrete­n war und ist mir ein wichtiges Anliegen.“

Wenn sie heute, im Alter von 82 Jahren, zurückblic­kt, bedauert sie nichts. Die Südtiroler seien damals arg benachteil­igt gewesen. Im Zentrum seien die sozialen Probleme gestanden. Die Einheimisc­hen hätten keine Posten im Staatsdien­st bekommen – „dafür wurden Italiener ins Land gebracht“. Auch in der Industrie seien die Italiener bevorzugt worden. Und im sozialen Wohnbau seien die Südtiroler ebenso leer ausgegange­n.

An eine Wiedervere­inigung Tirols glaubt Molling nicht mehr, „weil sich diese beiden Landesteil­e sehr auseinande­rgelebt haben“. Außerdem gebe es ja heute die Autonomie. „Das ist eine segensreic­he Einrichtun­g.“

„Sah mich irgendwie als helfende Attentäter­in.“Herlinde Molling, Ex-Südtirol-Aktivistin

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Auch hier hatten die Freiheitsk­ämpfer zugeschlag­en: Arbeiter bei einem gesprengte­n Hochspannu­ngsmast in der Nähe von Bozen.
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