1962 Südtirol ringt um seine Freiheit
In den 1960er-Jahren eskaliert der Streit um Südtirol: Aktivisten verüben zahlreiche Sprengstoffanschläge. Unter den „Bumsern“war damals auch Herlinde Molling. Wie sie heute über den Freiheitskampf denkt.
Herlinde Molling hatte nicht nur den Sprengstoff im Auto, sondern auch ihre dreijährige Tochter Dominika. Molling sollte den Sprengstoff zu Mitstreitern in den Vinschgau liefern. Doch bei einer Brücke wurde sie von Carabinieri gestoppt. Und die entdeckten prompt, dass Mollings Papiere gefälscht waren. „Das war eine prekäre Situation, weil ich ja den Sprengstoff im Auto hatte. Ich habe dann halt mit ihnen geschäkert – und gebetet, dass es vorübergehen möge.“Der nächsten Polizeikontrolle wich sie aus, jetzt ging es nur noch darum, den Sprengstoff endlich loszuwerden. Das Sprengmaterial irgendwo deponieren, mit dem Risiko, dass es ein Bauer oder ein Kind in die Hand nimmt, das wollte sie nicht. „Oberste Pflicht war für uns, dass kein Mensch zu Schaden kommt.“So fuhr sie in der Nacht nach Neumarkt südlich von Bozen und sprengte selbst zwei Strommasten in die Luft.
Die „Bumser“, wie die Freiheitskämpfer genannt wurden, sorgten in den 1960er-Jahren in Italien und Österreich für großes Aufsehen. Und Molling war eine von ihnen.
Von 1956 bis 1988 wurden insgesamt 361 Anschläge von Südtiroler Freiheitskämpfern registriert, 21 Menschen verloren dabei ihr Leben. Die italienische Polizei reagierte gnadenlos, Inhaftierte wurden gefoltert. Beides, die Anschläge und die überzogene Reaktion der italienischen Polizei, erschwerten die diplomatischen Bemühungen um eine Lösung in der Südtirol-Frage.
Höhepunkt der Anschläge war die „Feuernacht“von 11. auf den 12. Juni 1961, als in einer Nacht 47 Strommasten gesprengt wurden. In die Vorbereitungen war auch Molling involviert gewesen. „Ich habe bei der Vermessung der Masten mitgearbeitet und beim Berechnen der benötigten Sprengmittel.“
Waren Sie eine Terroristin, Frau Molling? Nein, sagt die Innsbruckerin. „Aber ich sah mich irgendwie als helfende Attentäterin.“Wie viele Masten sie selbst gesprengt hat, weiß Molling nicht mehr. „Ich glaube, es waren sieben.“Verletzt wurde dabei niemand.
Das Engagement für ihre Landsleute südlich des Brenners hatte sie von ihrem Vater „geerbt“, der sich im Bergisel-Bund engagiert hatte – dem Tiroler Sprachrohr für die Südtiroler Anliegen. „Es hat mit dem Schreiben von Parolen an Wänden begonnen, und mit dem Verteilen von Flugzetteln. Das hat sich dann weiterentwickelt.“
Am Beginn des Südtirol-Problems stand der Friedensschluss von St. Germain 1919. Damals waren die Gebiete südlich des Brenners Italien zugesprochen worden. Mit der Machtübernahme der Faschisten begannen bittere Jahre der Zwangsitalienisierung. Nach dem Zweiten Weltkrieg verweigerten die Siegermächte Südtirol das Selbstbestimmungsrecht. Anfang der 1960er-Jahre brachte Österreich als Schutzmacht die SüdtirolFrage vor die UNO. Zugleich eskalierten mit den Bombenanschlägen die Spannungen im Land. Im Juli 1962 allerdings näherten sich Österreich und Italien bei den Südtirol-Verhandlungen in Venedig an. Im September dieses Jahres brachte Außenminister Bruno Kreisky das Thema der nicht erfüllten Resolutionen vor die UNO-Vollversammlung. Es dauerte dann noch bis zum Jahr 1972, bis das Zweite Autonomiestatut (Südtirol-Paket) in Kraft trat. 1992 legten Österreich und Italien den Streit vor der UNO offiziell bei.
Herlinde Molling arbeitete später als freischaffende Kunsthistorikerin und schrieb Bücher. 2017 kandidierte sie in Innsbruck bei der Nationalratswahl für die Liste Sebastian Kurz – und begründete das unter anderem so: „Gegen Fehlentwicklungen und Missstände aufzutreten war und ist mir ein wichtiges Anliegen.“
Wenn sie heute, im Alter von 82 Jahren, zurückblickt, bedauert sie nichts. Die Südtiroler seien damals arg benachteiligt gewesen. Im Zentrum seien die sozialen Probleme gestanden. Die Einheimischen hätten keine Posten im Staatsdienst bekommen – „dafür wurden Italiener ins Land gebracht“. Auch in der Industrie seien die Italiener bevorzugt worden. Und im sozialen Wohnbau seien die Südtiroler ebenso leer ausgegangen.
An eine Wiedervereinigung Tirols glaubt Molling nicht mehr, „weil sich diese beiden Landesteile sehr auseinandergelebt haben“. Außerdem gebe es ja heute die Autonomie. „Das ist eine segensreiche Einrichtung.“
„Sah mich irgendwie als helfende Attentäterin.“Herlinde Molling, Ex-Südtirol-Aktivistin