Die Hochsicherheits-WM
Trotz großer Ängste vor allem in der britischen Presse droht ausländischen Fans bei der Mundiale in Russland kaum Gefahr. Eher könnte dort mehr Sicherheit produziert werden, als nötig ist.
Man werde den Russen einen dritten, vierten und fünften Weltkrieg liefern, verkündete kürzlich die englische Hooligan-Gruppe „Smoggies Elite“dem Boulevardblatt „Daily Star“. „Soll der Gegner Eisenstangen, Messer und Baseballschläger verwenden, uns Briten reichen die eigenen Fäuste.“Wladimir Markin, Fan-Beauftragter des russischen Fußballverbands, konterte ebenfalls kriegerisch. Gegenüber Radio Goworit Moskwa riet er „böswilligen ausländischen Fans“, die russische Geschichte zu studieren. „Und sich aufmerksam den Krieg gegen die deutschen Faschisten anzusehen. Wie viele solcher Herren haben wir schon empfangen und wie sind sie geendet?“Verbal ist das Thema Sicherheit bei der bevorstehenden Fußball-WM in Russland heftig umstritten.
Vergangenes Jahr warnte ein Film der BBC vor Kampfsportrussen, die Fußballspiele als Anlass für Massenschlägereien nähmen und bei der EM 2016 in Frankreich Totschlagattacken auf englische Fans veranstaltet hätten. Aber der Unterschied ist, dass bei dieser WM die Russen als Gastgeber selbst die Verantwortung tragen. Maximale Sicherheit für Sportler und Fans sei der Schlüssel für eine erfolgreiche WM, erklärte Wladimir Putin im Februar der vaterländischen Polizeiführung. „Von der Gründlichkeit Ihrer Arbeit hängt das Image des Landes ab.“
Russland wird eine Hochsicherheits-WM ausrichten. Allein 40.000 Katastrophenschützer und 14.000 Mitarbeiter privater Sicherheitsdienste kommen zum Einsatz. Die genaue Zahl der Polizisten, Nationalgardisten, Geheimdienstler und Militärs, die Städte und Stadien schützen, ist nicht bekannt, es werden mehrere Hunderttausend sein, mit Zehntausenden Überwachungskameras. Und Experten verweisen darauf, dass die „Organe“die russischen Hooligans längst unschädlich gemacht haben. „Die Leute, die zu Gewalttätigkeiten neigen, sind Polizei und Sicherheitsdiensten seit Jahren bekannt, haben Stadionverbot, mit den Führern der Ultras führt man die nötigen prophylaktischen Gespräche“, sagt Samwel Awakjan, Chefredakteur des Sportportals championat.com unserer Zeitung. Tatsächlich liegt die letzte öffentliche Massenprügelei zwischen russischen Fußballfans drei Jahre zurück. Vielleicht produziert die Staatsmacht sogar mehr Sicherheit als nötig. Es hagelt Verbote, vor allem für die eigenen Bürger. Schon im Mai verschärft man in den WM-Städten die Meldebestimmungen für Privatbesucher drastisch, sie müssen sich binnen drei Tagen bei der Polizei registrieren. Warteschlangen drohen. So wie beim Testspiel gegen Argentinien vergangenen November, als laut der Internetzeitung Swobodnaja Pressa ein Großteil der zahlreichen Zuschauer aus Sicherheitserwägungen das Stadion überhaupt erst zwei Stunden nach Spielende verlassen konnte.
Auch das Aufgebot an Sicherheitskräften wirkt nach Massenkino, vor allem der Einsatz sogenannter Registerkosaken in den WM-Städten. Mitglieder paramilitärischer Vereine, die oft nur wenig mit den Nachfahren der freiheitsliebenden Grenzkrieger gemein haben. Moskauer „Kosaken“blamierten Anfang Mai die Staatsmacht, als sie bei einer Anti-Putin-Kundgebung Demonstranten mit Peitschen angriffen. Der Donkosake Andrei Dorodnizyn schätzt den polizeilichen Professionalismus der Registerkosaken „auf null“. Um des nationalen Kolorits willen habe man in der Region Rostow zur WM sogar eine berittene Kosaken-Hundertschaft aufgestellt, aus allen möglichen Leuten. „Sie werden bezahlt, aber sie sitzen schon jetzt auf Koffern, weil es heißt, ihre Hundertschaft würde mangels Geld nach der WM wieder aufgelöst.“
Bleibt zu hoffen, dass niemand die Pferde durchgehen. Auch während des Confederations Cups 2017 wachten in Sotschi über 700 Kuban-Kosaken. Allerdings zu Fuß. Und bei den Spielen dort wie in den anderen Austragungsorten war die Stimmung oft fröhlich, immer friedlich.
Die Londoner Boulevardzeitung „Sun“stellt in einem Merkblatt für WM-Fahrer fest, die Russen seien gutmütige Menschen ohne Vorurteile. Und man werde trotz aller Alkoholverbote von ihnen sehr viel Trinksprüche zu hören bekommen. Wichtigster Sicherheitshinweis der „Sun“: „Mischen Sie Wodka nicht mit Bier.“Diese WM könnte mehr Völkerfreundschaft erleben als erwartet.