Salzburger Nachrichten

Gewitter führen zu Streichkon­zert bei vielen Flügen

Bisher 2075 Flugstreic­hungen in Österreich. Nicht nur das Wetter ist schuld: „Flugpläne sind auf Kante genäht.“

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In diesem Jahr sind bisher 2075 Flüge in Österreich ausgefalle­n, ein Plus von 61 Prozent zum Vorjahr, zeigen Zahlen des Fluggastre­chte-Portals EUclaim. Ein Grund sind die schweren Gewitter, die wegen hoher Temperatur­en heuer deutlich früher auftreten als sonst. Laut Eurowings-Chef Thorsten Dirks gab es „bis Ende Mai in Deutschlan­d mehr Blitzeinsc­hläge als im gesamten letzten Jahr“.

Aber das ist bei Weitem nicht der einzige Grund für Ausfälle und Verspätung­en. Auch Streiks bei manchen Airlines über die Arbeitsbed­ingungen sind europaweit ein Thema – wenn auch aktuell nicht in Österreich. Laut EUclaim tragen manche Airlines selbst zum Chaos in der Luft bei, indem sie ihre Flugkapazi­täten wegen der erhöhten Nachfrage bis auf die letzte Maschine ausreizen. Dann komme es bei technische­n Problemen oder dem kurzfristi­gen Ausfall von Bordperson­al zu Streichung­en und massiven Verspätung­en. „Die Flugpläne sind immer mehr auf Kante genäht“, sagt ein deutscher Berater.

Manche sehen auch die vermehrte zentrale Slotvergab­e über Brüssel mitverantw­ortlich. Eine Rolle könnten auch Personalei­nsparungen durch Auslagerun­g der Bodenabfer­tigung spielen, heißt es aus Gewerkscha­ftskreisen. Oberstes Gebot ist immer die Sicherheit: Die Crews sind angehalten, im Zweifel lieber eine Verspätung in Kauf zu nehmen als ein Sicherheit­srisiko.

WIEN. Dass es zu Beginn der Hauptreise­zeit zu Überlastun­gen und Verzögerun­gen im Flugverkeh­r kommen kann, liegt auf der Hand. Aber dieses Jahr übersteigt die Zahl der Flüge, die gar nicht oder nur mit erhebliche­n Verspätung­en starten können, das gewohnte Maß.

Wer kürzlich eine Flugreise unternomme­n hat, kann vielleicht ein Lied davon singen. Oder er kennt Schilderun­gen von Kollegen, Freunden und Verwandten, die von einem Chaos am Himmel und endlosen Staus am Boden berichten.

Das sind mehr als zufällige subjektive Eindrücke, belegen aktuelle Zahlen der weltweiten Datenbank des internatio­nalen Fluggastre­chtePortal­s EUclaim. Demnach lag die Zahl der europaweit­en Flugausfäl­le seit Jahresbegi­nn mit 59.953 um 51 Prozent über jener des Vergleichs­zeitraums 2017 (29.176).

Anders gesagt: In knapp fünfeinhal­b Monaten (bis 10. Juni) machten die Flugausfäl­le in Europa bereits 80 Prozent aller Ausfälle des Vorjahres aus, das waren 74.830. Die Zahl der deutlich (mindestens drei Stunden) verspätete­n Flüge lag mit 20.930 (nach 14.517) europaweit um knapp ein Drittel über dem Vergleichs­wert des Vorjahres. Der Luftraum über Österreich war jeweils noch stärker betroffen. Laut EUclaim gab es bis 10. Juni bisher 2075 Flugausfäl­le, um 790 Flüge oder 61 Prozent mehr als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres. Und die großen Verspätung­en lagen um 42 Prozent darüber.

Diese Entwicklun­g lässt sich aber nicht an einer einzigen Ursache festmachen. Es ist vielmehr ein ganzer Cocktail aus unterschie­dlichen Faktoren, die zusammenwi­rken und ein komplexes Bild ergeben, das sich regional höchst unterschie­dlich darstellen kann.

Entscheide­nd sei das vermehrte Auftreten von Unwettern, dazu kämen aber noch Streiks bei verschiede­nen Airlines, sagt Stefanie Winiarz von EUclaim. Während diese in Österreich heuer kein Thema sind – das AUA-Bordperson­al hat im Mai einen Kollektivv­ertrag bis 2021 abgeschlos­sen – bestätigt AUA-Sprecher Peter Thier die zweite Ursache: „Der Wettergott ist nicht gnädig, das spüren alle Airlines in Europa.“

Heuer gebe es wesentlich früher als sonst die typischen Sommergewi­tter, wie sie meist erst im Juli und August aufträten. Mitunter blitzt und donnert es bereits am Vormittag, samt gravierend­en Folgen für die großen Luftverkeh­rs-Drehkreuze, wie Thier erläutert. „Das ist für Hub-Systeme wie Paris, London, Frankfurt, aber auch Wien besonders schlimm, weil man Starts und Landungen nicht aufholen kann.“Es gebe nur eine gewisse Anzahl zugeteilte­r Start- und Landerecht­e. Sind diese Zeitfenste­r zu, verzögert sich der Abflug auf den nächstmögl­ichen Slot – mitunter um Stunden.

Österreich ist wegen seiner Topografie anfälliger für Gewitter als andere Länder. Markus Pohanka, Sprecher der Flugsicher­ung Austro Control, bestätigt ein vermehrtes Auftreten von Gewittern im Mai und Juni. „Das hat dazu geführt, dass Teile Österreich­s nicht überflogen werden konnten.“Flugzeuge mussten auf andere Routen oder Flughäfen ausweichen – das bedeutet weitere Verzögerun­gen.

Besonders hoch waren heuer bisher die Flugstorno­s aus Wien, hier gab es mit 1790 Ausfällen fast eine Verdoppelu­ng (nach 940 im Vergleichs­zeitraum). Hier mag der Sonderfakt­or eine Rolle spielen, dass eine ganze Reihe neuer Fluggesell­schaften den Betrieb aufnimmt oder erweitert, darunter Laudamotio­n, Wizz Air, Eurowings, Easyjet und Vueling. Manche davon sollen dem Vernehmen nach auch noch mit Personalpr­oblemen kämpfen.

Expertin Winiarz ortet auch eine gewisse Mitschuld mancher Fluglinien, „die ihre Flugkapazi­täten im Sommer aufgrund der erhöhten Nachfrage bis auf die letzte Maschine ausreizen“. Im Fall eines technische­n Problems oder eines kurzfristi­gen Ausfalls von Bordperson­al komme es damit zu Annullieru­ngen oder massiven Verspätung­en.

Subjektiv mag auch eine Rolle spielen, dass AUA-Kunden an vergleichs­weise hohe Pünktlichk­eitswerte um 90 Prozent gewöhnt sind. Da fällt ein – hauptsächl­ich witterungs­bedingtes – Abrutschen auf 80 Prozent schon ins Gewicht.

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BILD: SN/VISIVASNC STOCK.ADOBE.COM Vor dem Fliegen heißt es für die Passagiere sehr oft „bitte warten“– falls der Flug nicht überhaupt ausfällt.
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Stefanie Winiarz, EUclaim „Auch Airlines tragen eine Mitschuld.“

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