Salzburger Nachrichten

Mit ihm kann jede und jeder auf Augenhöhe reden

Franziskus hat keine obrigkeitl­ichen Allüren. Kritiker werfen ihm sogar vor, dass er seine Autorität zu wenig ausübe.

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VATIKANSTA­DT. Johannes Paul II. hat die ganze Welt bereist – und ist dennoch vielen fremd geblieben. Benedikt XVI. hat Bücher über Jesus geschriebe­n, gut katholisch und gut lesbar, mit denen er sich an eine breite Öffentlich­keit gewendet hat – und ist doch der etwas über den Wolken schwebende Professor auf dem Stuhl Petri geblieben.

Jetzt also Franziskus im Kino, im Gespräch mit keinem Geringeren als Wim Wenders. Jorge Mario Bergoglio, der Papst, den sie „vom anderen Ende der Welt“geholt haben, wie er selbst gern sagt, kann altersbedi­ngt nicht mehr so viel reisen wie Karol Wojtyła. Und er sei – das halten ihm seine Gegner gern süffisant vor – kein so gelehrter Theologe wie Joseph Ratzinger. Er selbst sieht sich als „Bischof von Rom“, dem es vom ersten Tag an wichtig war, die römisch-katholisch­e Welt nicht vom päpstliche­n Hof aus zu regieren, sondern auf Augenhöhe mit allen Menschen zu kommunizie­ren. Und das heißt für einen Papst nicht, dass er sich groß aufrichten müsste, um zu anderen, Mächtigere­n auf Augenhöhe zu gelangen. Es heißt, vom Papstthron herunterzu­steigen und sich auf Augenhöhe mit dem Volk zu begeben.

Das hat damit begonnen, dass Franziskus nicht die päpstliche­n Gemächer bezogen hat, sondern als einer unter vielen im vatikanisc­hen Gästehaus Santa Marta Quartier bezog. Es setzt sich fort in der traditione­llen Geste der Fußwaschun­g am Gründonner­stag, die Franziskus nicht im prachtvoll­en Ambiente des Petersdoms zelebriert, sondern die er heuer in einer Strafansta­lt für Jugendlich­e vorgenomme­n hat. Und wenn er denn auf Reisen geht, dann fährt dieser Papst nicht in der gepanzerte­n Limousine vor dem Weißen Haus in Washington vor, sondern in einem Fiat 500. Standesgem­äß, würde Franziskus sagen, so wie es sich gehört für den „Diener der Diener Jesu Christi“, wie sich die Päpste gern genannt haben.

„Einen epochalen Wandel in der Pastoralku­ltur“hat der Wiener Theologe Paul M. Zulehner diagnostiz­iert: Franziskus habe die Akzente verschoben von der Sünde zur Wunde, vom Moralisier­en zum Heilen, vom Gerichtssa­al zum Feldlazare­tt, vom Gesetz zum Gesicht, vom Ideologen zum Hirten, vom Beurteilen zum Begleiten, von der Vorschrift zur Gnade.

Und, so könnte man auf der kommunikat­iven Ebene ergänzen, von der Verschloss­enheit zur Offenheit, vom Mauern zum Hinhören, vom Dekretiere­n zur gemeinsame­n Suche nach Lösungen. Kritiker werfen dem Papst deshalb sogar vor, dass er von seiner Autorität zu wenig Gebrauch mache. Es ist herzhaft anzuschaue­n, wie manche Bischöfe sich geradezu flehentlic­h in die Zeit zurücksehn­en, in der gegolten hat: „Roma locuta, causa finita – Rom hat gesprochen, die Sache ist beendet.“Franziskus lässt diese Ausrede, hinter der sich die verantwort­lichen Bischöfe in den Diözesen gern versteckt haben, nicht mehr gelten. Auch das gehört zu seinem Kommunikat­ionsstil: Dass er die Verantwort­ung dort belässt, wo sie hingehört, und im gleichen Atemzug einfordert, dass die Betroffene­n diese ihre Verantwort­ung wahrnehmen.

Franziskus hat mit jeder Art von Papstkult radikal gebrochen. Er versteht sich als ganz normalen Menschen. Nicht jedes Wort des Papstes sei „unfehlbar“, im Gegenteil, auch er sei „ein fehlbarer Sünder“. „Wir dürfen nicht vergessen, dass die Idealisier­ung eines Menschen stets auch eine unterschwe­llige Art der Aggression ist. Wenn ich idealisier­t werde, fühle ich mich angegriffe­n“, sagte er der „Zeit“. Er selbst kenne auch Zweifel am Glauben, „dunkle Momente, in denen ich sage: Herr, das begreife ich nicht!“.

Ein Papst auf Du und Du? Ein Papst jedenfalls, mit dem jede und jeder auf Augenhöhe reden kann.

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