Schmerz, lass nach
Gesunde Zähne und ein perfektes Lächeln: Das ist heute möglich, war aber lange Zeit unvorstellbar. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts entwickelte sich in Frankreich die Zahnheilkunde.
LONDON. Ihre Lippen seien schmal und die Zähne schwarz, berichtete im Jahr 1578 ein aufmerksamer deutscher Reisender, nachdem er bei einem Hofbesuch auf Königin Elizabeth I. getroffen war. Er sprach von „einem Defekt, an dem viele Engländer zu kranken scheinen, weil sie allzu viel Zucker verwenden“.
Tatsächlich galt die Queen als Liebhaberin von Süßigkeiten. Die Monarchin konnte sich die Naschereien immerhin leisten. Zucker war ein Luxusgut im 16. Jahrhundert, weshalb auch Karies eine typische Krankheit der Elite darstellte.
In allen Porträts blieben die Lippen von Elizabeth I. deshalb zusammengepresst – dieser Umstand ist vermutlich nicht nur der Eitelkeit geschuldet, sondern den quälenden Zahnschmerzen, unter denen sie litt. Aus Angst vor der Behandlung verweigerte sie jeden Eingriff, bis der Bischof von London sich freiwillig vor ihren Augen einen Zahn ziehen ließ, um „sie zu überzeugen, dass der Schmerz nicht so schlimm war“.
Das wiederum ist Ansichtssache, wie die Ausstellung „Teeth“(„Zähne“) der unabhängigen Wellcome Collection in London derzeit zeigt. Über lange Zeit griffen Barbiere oder Schmiede zu ihrem groben Werkzeug, um die Zähne der Patienten zu ziehen, oft auf dem Marktplatz vor Publikum, ohne Betäubung. Die Schau präsentiert bis zum 16. September mehr als 150 Stücke, anhand derer sie auf 300 Jahre Medizin- und Kulturgeschichte des Zahns zurückblickt.
Erst Anfang des 18. Jahrhunderts begann sich im vorrevolutionären Frankreich die Zahnheilkunde zu entwickeln. „Die Menschen realisierten, dass es einen Markt dafür gibt – nicht nur, damit sie sich wohler fühlten, sondern auch, um besser auszusehen“, sagt James Peto, einer der Kuratoren der Ausstellung. Statt verfaulter Zähne konnte man nun mit offenem Munde lachen und hatte einen frischen Atem – „die Menschen wurden selbstsicherer“.
Pierre Fauchard, ein ehemaliger Schiffsarzt bei der Marine, gilt als erster Zahnchirurg und veröffentlichte 1728 zum ersten Mal eine wissenschaftliche Abhandlung, die ebenfalls in der Ausstellung präsentiert wird – neben historischen und modernen Zahnarztstühlen, alten Instrumenten zum Zähneziehen oder Zahnbürsten wie etwa dem silbervergoldeten Exemplar von Kaiser Napoleon. Mit sich weiterentwickelnden Technologien im 19. und 20. Jahrhundert wurde Mundhygiene auf dem Kontinent wie auch auf der Insel immer bedeutender. Das Bewusstsein setzte ein, dass Gesundheit und Aussehen Hand in Hand gehen. Werbeplakate aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für Zahnpasta und Poster mit Appellen, regelmäßig Zähne zu putzen, veranschaulichen das. Gleichwohl war der Besuch beim Zahnarzt lang den Reichen vorbehalten, wie die Schädel zweier Frauen im Vergleich zeigen. Einer stammt von einer wohlhabenden Dame, gestorben 1837, die bei ihrem Tod unter anderem eine teure Brücke im Mund trug. Der andere ist von einer Engländerin, sie lebte bis 1849, die mangels finanzieller Ressourcen niemals einen Mediziner sah: Ihre faulen verbliebenen Zähne sind bedeckt mit verhärtetem Belag. „Bis heute herrscht eine Ungleichheit beim Zugang zur medizinischen Versorgung und es ist wichtig, das zu thematisieren“, sagt James Peto. Während bereits der deutsche Besucher am Hof von Königin Elizabeth I. anmerkte, dass viele Engländer an einem „Defekt“zu leiden schienen, sind die Briten diesen Ruf nie losgeworden. „Wir sind berühmt für unsere schlechten Zähne“, gibt Kurator James Peto zu. Das sei teilweise auf den Kontrast zwischen den Engländern und den USAmerikanern zurückzuführen, die im Königreich gern für ihre zu weißen Zähne und ihr perfektes Hollywood-Lächeln entweder bewundert oder verspottet würden. „Komödien und Karikaturen haben das dann noch überhöht.“
Hinzu komme, dass „die Briten sich einfach ein bisschen weniger um die Erscheinung ihrer Zähne kümmern, manchmal auch wegen ihres Stolzes auf ein charaktervolleres Lächeln“, erklärt Peto – und natürlich, er lächelt dabei.