Die klassische Moderne half beim Neustart
In der Nachkriegszeit bewegte sich die heimische Kunst zwischen Tradition und Avantgarde. Das führte zu „Kunst-Kontroversen“.
GRAZ. Eine blaue Bergformation und davor ein rötlich-gelber Himmelskörper. Oder ist es nicht eine menschliche Figur, deren Kopf sich abgelöst hat und gen Himmel schwebt? Der Titel, den Mario Decleva seinem 1962 entstandenen Ölbild gegeben hat, belegt die erste Deutung: „Landschaft mit Mond“. Declevas Werk verströmt den Duft von Expressionismus und Surrealismus, zwei Kunstrichtungen, die Jahrzehnte zuvor Weltgeltung erlangt hatten. Der gebürtige Kroate Decleva, der von Kriegsende bis 1965 in Graz lebte und künstlerisch sozialisiert war, griff internationale Tendenzen auf, um die Moderne in Österreich voranzutreiben.
„Kunst-Kontroversen – Steirische Positionen 1945–1967“lautet der Titel einer Ausstellung, die den Blick auf Kulturkämpfe von einst lenken will. „Vertreter der Avantgarde und traditionsverbundene Künstler haben sich teils erbitterte Kämpfe um die Vorherrschaft in der bildenden Kunst geliefert“, sagt Peter Peer, der die Schau in der Neuen Galerie Graz kuratiert hat. Will heißen: hier die Protagonisten eines extremen Kulturkonservativismus, die einen „bodenständigen Heimatbegriff, gekoppelt mit einer intensivierten Religiosität“vertraten, da eine nachdrängende Generation, die bewusst den Dialog mit internationalen Zeitströmungen und Stilen – vom Kubismus, Surrealismus bis zur abstrakten Kunst – suchte. Gar nicht so selten gab es auch Überschneidungen der Lager.
Der Nachklang der historischen Richtungen stieß aus unterschiedlichen Gründen auf Kritik, für die einen waren die heimischen Adaptionen zu innovativ, für die anderen ein alter Hut. Die 260 ausgestellten Arbeiten vermitteln Einblicke in ein zwischen Tradition und Avantgarde angesiedeltes Reservat, in das Ringen der Kreativen um einen Neubeginn: viele Schritte zurück, einige nach vorn und auch am Stand wird kräftig getreten. Zeitgleich entstanden spätromantische Landschaftsbilder und gegenstandslose Experimente. Und: Die klassische Moderne diente allen als Möglichkeit zum Neustart. „Auch ältere Künstler sahen einen Weg, darin an die aktuelle Kunst aufzuschließen, ohne traditionelle Auffassungen und eben die Gegenständlichkeit aufgeben zu müssen“, betont Peer.
Die Großen der Kunstgeschichte bilden sich auch am Kunstort Graz ab: Was wie Jackson Pollock aussieht, ist ein Gemälde von Gerhard Lojen. Auch interessant: Während heute in der Kunstkritik häufig die Kuratoren auf dem medialen Pranger stehen, bekamen es weiland vor allem auch die Künstler ab. Im vom Kulturkampf geprägten Graz konn- te man etwa über in der Neuen Galerie ausgestellte Werke der Pop Art lesen, dass das nicht Kunst und nicht Zeichen der Zeit, sondern einfach plumpe Dummheit sei.
Nicht alles, was zu sehen ist, sind steirische Positionen und die dichte Hängung der Werke (u. a. von Friedrich Aduatz, Hans Bischoffshausen, Gottfried Fabian, Wolfgang Hollegha, Erich Kees, Hans Staudacher oder Günter Waldorf) ist ein Manko der Schau. Reduktion hätte sowohl den Werken als auch den Besuchern gut getan.