Zentralmatura rein, Kreativität raus: Schule im Normierungswahn
In der Arbeitswelt brauchen wir Leute, die eigenständig denken und handeln. Genau das wird an den Schulen abgeschafft.
So viel ist sicher: In der Arbeitswelt bleibt kein Stein auf dem anderen. Wer weiß heute, welche Jobs in den nächsten Jahren neu entstehen werden? Wie viele Menschen und wie viele Computerkollegen es in einem Unternehmen geben wird? Genau deshalb, weil so vieles so unklar ist, halten Betriebe Ausschau nach Mitarbeitern, die wandlungsfähig sind: die Lust am Lernen haben, gut mit neuen Situationen umgehen und in gemischten Gruppen arbeiten können, auch wenn nicht alle einer Meinung sind, weil sie gelernt haben, offene wie verdeckte Konflikte anzugehen und zu lösen.
Der Trend wird anhalten. Wir brauchen folglich ein Bildungssystem, das andere Schwerpunkte setzt als in der Vergangenheit: eines, das soziales Lernen in Gruppen trainiert, das offene, neugierige Wesen vieler Kinder und Jugendlichen mit individuellen Angeboten unterstützt und den Lehrern eine neue Rolle als persönlicher Entwicklungscoach der Schüler gibt. Aber was passiert stattdessen in der Praxis?
Wer mit Lehrern spricht, hat den Eindruck, dass sie vielmehr die Rolle eines Dompteurs spielen müssen, der einer bunten Zirkustruppe das gleiche Dressurstück beibringen muss, weil es der Lehrplan verlangt. Doch in der Zirkustruppe macht sich schon im zarten Alter von 14 Jahren die Angst breit, das von ihr geforderte Kunststück nicht zustande zu bringen.
Die Zentralmatura ist spätestens ab der ersten Klasse Oberstufe, ob im Gymnasium oder an einer berufsbildenden höheren Schule, das alles bestimmende Thema geworden: Vier Jahre lang, und an manchen Schulen noch mehr, fürchten sich Lehrer, Jugendliche und ihre Eltern vor den wenigen Tagen, an denen sich entscheiden wird, ob sie der österreichweiten Norm entsprechen oder eben nicht. Damit schwappt just in einem Alter, in dem Jugendliche vieles (zu Recht) kritisch hinterfragen, in komplexen Zusammenhängen denken lernen und eigene Ideen umsetzen könnten, eine große Standardisierungswelle über sie herein.
Es bleibt kaum Spielraum, um der Lust am Lernen und individuellen Neigungen nachzugehen. Die Idee, Leistungen zu normieren und vergleichbar zu machen, stammt aus dem Industriezeitalter, in dem es Fließbandarbeit gab und die Vorstellung herrschte, man könne aus Menschen normierte Arbeitskräfte machen.
Schon bei Einführung der Zentralmatura vor einigen Jahren war klar, dass das nicht funktioniert. Man glaubte jedoch fest an das Wunschbild vergleichbarer Abschlüsse. Inzwischen liegt der Verdacht nahe, dass die Zentralmatura eine innovationsdämpfende Wirkung hat: Wir ziehen eine Generation braver Pauker heran anstatt eigenständiger Denker und Umsetzer, die Lust darauf haben, genau dieser Welt den sprichwörtlichen „Haxen auszureißen“.