Bisher profitiert der Zukunftsrivale China Das Bündnis des Westens darf nicht zu Bruch gehen
Einen vereinten Westen gibt es dank Donald Trump immer weniger. Umso vereinter müsste Europa in dieser Lage auftreten.
Für die Europäer ist das jüngste Schauspiel auf der internationalen Bühne wie eine eiskalte Dusche gewesen. Zuerst stieß US-Präsident Donald Trump die westlichen Partner beim G7-Treffen vor den Kopf. Er behandelte die Freunde wie Feinde. Danach wertete Trump Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un beim Show-Gipfel in Singapur zum Ehren- und Staatsmann auf. Er erklärte einen langjährigen Feind flugs zum neuen Freund. Wir erleben eine Umwertung der Werte. Die Welt wird auf den Kopf gestellt.
Trotz seiner jähen Stimmungswechsel hat Trump inzwischen hinreichend klargemacht, dass er die Strukturen der Weltpolitik sprengen will. Washington betreibt unter seiner Regie keine wertebasierte Außenpolitik, sondern eine interessengeleitete. Die Menschenrechte spielen bei den Treffen Trumps mit den Führern in Pjöngjang, Peking oder Riad keine Rolle mehr.
Aus dem System des Multilateralismus samt Institutionen und Verträgen, das es nach 1945 geschaffen hat, will sich Washington ausklinken. An die Stelle einer regelbasierten Weltordnung sollen bilaterale Verabredungen treten, die von größerem Vorteil für Amerika sind.
Den Wert von Amerikas Allianzen, die jahrzehntelang zur globalen Spitzenstellung der USA beigetragen haben, stellt Trump massiv infrage. Seine berechtigte Forderung nach einer gerechteren Lastenverteilung in der Sicherheitspolitik übertreibt der Präsident dermaßen, dass dadurch schon Amerikas Sicherheitsgarantie für die Verbündeten in der NATO und in Asien in Zweifel gezogen wird. Die Handelspolitik hat Trump zu einer Frage der nationalen Sicherheit erklärt. Wirtschaftliche Konkurrenten wie Europa sind damit für Amerika unsinnigerweise keine echten strategischen Verbündeten mehr. Vergebens hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Trump beschworen, handelspolitische Sanktionen „nicht gegen die Alliierten“zu verhängen.
Die transatlantische Partnerschaft ist selten so strapaziert worden wie durch Trumps Kurs. Die Verbundenheit von Demokratien, die wir bisher mit dem Begriff „Westen“beschrieben haben, zerfällt jetzt vor unseren Augen.
Dass Amerika seine globale Rolle reduziert, hat sich längst angekündigt. Das Land ist müde und möchte nicht mehr der Weltpolizist sein. Verunsicherung herrscht, weil mit China ein neuer Zukunftsrivale aufsteigt. Präsident Barack Obama hat noch versucht, die bisherige Weltordnung mit dem Beistand von Bündnispartnern zu erhalten. Die Europäer halfen beim Atom-Deal mit dem Iran. Die Transpazifische Partnerschaft (TPP) mit asiatischen Staaten sollte die Machtambitionen Pekings in der Region bremsen.
Sein Nachfolger kappt dagegen die Verbindung zwischen einer kooperativen internationalen Ordnung und Amerikas wohlverstandenem Eigeninteresse. Für Trump ist die Welt eine Arena des Kampfes und ein Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist. Die Parole „America first“signalisiert eine Abkehr von der internationalistischen und idealistischen Tradition amerikanischer Weltpolitik. Das ist zum Schaden der Welt, des Westens und Amerikas.
Ohne die stärkste Macht Amerika gibt es keinen Hüter der globalen Ordnung mehr. Auch China kann und will vorerst diese Aufgabe nicht übernehmen.
Kontraproduktiv ist es, wenn Trump wenig pfleglich mit den Alliierten umgeht. Er verspielt damit ein wichtiges Stück jener „weichen Macht“, die Amerika dank seiner Wertebündnisse gegenüber Autokratien wie China und Russland hat.
Die Nationale Sicherheitsstrategie der USA stuft beide Staaten explizit als Gegner ein. Tatsächlich verschafft Trump mit seinem strategielosen Handeln dem chinesischen Machtkonkurrenten Vorteile.
Durch das Nein Washingtons zur TPP hat die Volksrepublik mehr Spielraum in der asiatisch-pazifischen Region bekommen. Trumps Ankündigung in Singapur, die gemeinsamen Militärmanöver mit Südkorea könnten gestoppt und die dort stationierten US-Truppen abgezogen werden, hat Amerikas Alliierte in Seoul und Tokio alarmiert. Die chinesische Führung hingegen quittiert mit Genugtuung, wie auf diese Weise der Abstand zur US-Militärpräsenz in der Nachbarschaft wachsen könnte. Denn Pekings Ziel ist es, die Amerikaner aus der Region hinauszudrängen und selbst die Vorherrschaft zu übernehmen.