Salzburger Nachrichten

Das Schicksal von Union und GroKo steht auf der Kippe

Wagt Deutschlan­ds Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) den Alleingang, steht die Koalition vor dem Aus.

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BERLIN. Am Freitag sorgte eine Twitter-Meldung für Verwirrung auf der politische­n Bühne Deutschlan­ds. Angeblich hatte die CSU die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU aufgekündi­gt. Wenig später war klar, dass es sich um eine bewusste Falschmeld­ung des Satiremaga­zins „Titanic“handelte. Auch die weitaus weniger sensatione­lle Meldung, wonach Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) als Vermittler zwischen CDU und CSU fungieren werde, wurde wenig später dementiert. Sie hatte kurzzeitig für Aufregung und Hoffnung gesorgt.

Die deutsche Politik ist ein großes Fragezeich­en. Alles ist offen. Es ist einerseits denkbar, dass sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) wieder zusammenra­ufen. Möglich ist aber auch, dass nicht nur die Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU auseinande­rbricht, sondern auch die GroKo. Nur Neuwahlen sind höchst unwahrsche­inlich. Denn die gingen vor allem zulasten von CDU, CSU und SPD.

Ein Ende der Union aus CDU und CSU würde auch dazu führen, dass die CDU künftig in Bayern antreten würde, während sich die CSU auf ganz Deutschlan­d ausdehnen könnte. Das wäre für die CDU einfacher, müsste sie doch ihre Organisati­onsstruktu­r nur in einem weiteren Bundesland aufbauen. Ob sich diese Entwicklun­g für die CSU bei der Landtagswa­hl im Oktober auszahlen würde, darf bezweifelt werden.

Zwar hätte sie einerseits Stärke bewiesen, aber um den Preis, dafür die Koalition gesprengt zu haben und nicht mehr in Berlin mitzuregie­ren. Für die CSU käme eine Ausdehnung auf den Rest Deutschlan­ds inzwischen auch Jahre zu spät, weil sie dort jetzt mit der AfD um Wähler konkurrier­en müsste.

Zwei Termine werden über das Schicksal der Fraktionsg­emeinschaf­t und damit auch über das Fortbesteh­en der GroKo entscheide­n. Der erste am Montag, an dem sich Seehofer von seinem Parteivors­tand Prokura für seinen geplanten Alleingang holen will. Die wird er zweifellos erhalten. Und dann stellt sich die Frage, ob und wann er zur Tat schreiten wird. Es sei daran erinnert, dass er auch eine Klage gegen Merkels Flüchtling­spolitik vor dem Bundesverf­assungsger­icht angekündig­t hat. Erfolgt ist sie nie.

Seehofer muss spätestens am Dienstag seine Ministeran­weisung zur Rückweisun­g der Flüchtling­e an den Grenzen umsetzen. Sonst verliert er seine Glaubwürdi­gkeit. Dann ist Merkel am Zug. Sie könnte ihn aus dem Kabinett werfen, was wohl zum Ende der Fraktionsg­emeinschaf­t führen würde. Merkel müsste dann versuchen, einen Ersatz für den Koalitions­partner CSU zu finden. Das sind derzeit nur FDP oder Grüne. Wobei die Grünen wohl die besseren Karten haben dürften, nachdem die FDP Jamaika hat platzen lassen.

Die Frage ist, ob Merkel dann weitermach­en wird – beziehungs­weise ob ihre eigene Partei sie weitermach­en lassen würde. In der Bundestags­fraktion wird schon über Nachfolger spekuliert. Am ehesten vorstellba­r wäre Schäuble als Übergangsk­anzler. Vielleicht aber geht Merkel nächste Woche einfach zur Tagesordnu­ng über und tut, als hätte es keinen Alleingang Seehofers gegeben. Allerdings wäre ihre Autorität schwerbesc­hädigt.

Der zweite entscheide­nde Termin ist der EU-Gipfel Ende des Monats. Dort will Merkel eine europäisch­e Lösung finden bzw. bilaterale Vereinbaru­ngen schmieden. Wenn das nicht gelingt, hätte Seehofer recht behalten und Merkel müsste klein beigeben. Sie würde dann zur Kanzlerin von Seehofers Gnaden.

Am Freitag spitzte sich die Lage weiter zu, als die Leiterin des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf), Jutta Cordt, von Seehofer entlassen wurde.

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