Wer einfache Lösungen verkauft, verkauft die Bürger für dumm
Auch wenn es manche Regierungen nicht gern hören wollen: Die Flüchtlingsproblematik ist zu komplex für simple Ansagen.
Die Rhetorik hat sich in den vergangenen drei Jahren drastisch geändert. Als im Mai 2015 die EU-Kommission in Brüssel ihre Migrationsagenda vorstellte, waren nur wenige Wochen zuvor rund 500 Menschen bei einem Schiffsunglück im Mittelmeer ertrunken. „Unsere Bürger erwarten von den Mitgliedsstaaten und den EU-Institutionen, dass sie dieser Tragödie Einhalt gebieten“, sagte damals Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission.
Was erwarten wir heute von den EU-Ländern und den Institutionen in Brüssel? Einen „ordentlichen Grenzschutz“, wie ihn Bundeskanzler Sebastian Kurz fordert? Mehr „Hilfe vor Ort“, damit sich die Menschen gar nicht erst auf den Weg nach Europa machen müssen, wie es der Außenminister Sebastian Kurz forderte? Mehr Solidarität, wenn es um die Verteilung von und damit um die Verantwortung für Flüchtlinge geht, wie es die Erstankunftsländer Italien und Griechenland fordern? Schnelle und gerechte Asylverfahren, wie es Rechtsberater und Asylbewerber fordern? Erwarten wir zügige Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern, wie es längst nicht mehr nur Viktor Orbán fordert?
Wir sollten das alles erwarten – und zwar gleichzeitig. Die Vorschläge dafür liegen seit Jahren auf dem Tisch. Die 2015 entworfene Migrationsagenda hatte eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen. Einige wurden bereits umgesetzt, wie die Aufstockung der EU-Grenzschutzagentur Frontex. An anderen scheiterte die EU bislang: Die geplante Verteilung von Flüchtlingen zeigte, wie wenig Solidarität es unter den EU-Ländern und letztlich vor allem gegenüber Migranten in einigen Staaten gibt; die Verhandlungen von Rückführungsabkommen laufen noch immer und werden oft auf bilateraler statt auf EU-Ebene geführt; von einer einheitlicheren, stärkeren Asylpolitik sind wir weiter entfernt denn je – geschweige denn von neuen Möglichkeiten, legal in die EU einzuwandern.
All das brauchen wir aber in Kombination, um eine geordnete, gerechte, menschenwürdige Zuwanderung möglich zu machen. Wer einzelne, einfache Lösungen in der Flüchtlingspolitik verkauft, verkauft die Bürger für dumm.