Salzburger Nachrichten

Pflegeregr­ess: Das Verbot gilt rückwirken­d

Gericht entschied im Sinne der Bürger – und zulasten der Heimbetrei­ber.

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Ein jüngst ergangenes Urteil des Obersten Gerichtsho­fs wird bei zahllosen Hinterblie­benen von verstorben­en Pflegepati­enten Erleichter­ung auslösen. Wie der OGH festhielt, bezieht sich die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses per 1. Jänner 2018 auch auf offene Verfahren. Das heißt, dass der Zugriff auf Vermögen von Heimbewohn­ern, Angehörige­n und Erben nicht mehr zulässig ist, auch wenn die Leistung vor Jahresbegi­nn erbracht wurde.

Im konkreten Fall war vom Erben Geld für Pflege und Betreuungs­kosten seiner Mutter im Jahr 2013 gefordert worden. Diese war nach einem Krankenhau­saufenthal­t zur Kurzzeitpf­lege in einer Einrichtun­g gewesen. Über 22.000 Euro forderte der Fonds, eine Einrichtun­g der Stadt Wien, vom Sohn. Das Erstgerich­t gab der Klage statt. Der Oberste Gerichtsho­f (OGH) als Berufungsg­ericht wies das Klagebegeh­ren am 30. April ab, mit Verweis darauf, dass der Pflegeregr­ess abgeschaff­t worden war.

Der OGH stellt klar, dass das Verbot des Zugriffs auf Vermögen zur Abdeckung der Kosten für die Pflege auch dann zum Tragen kommt, wenn die Leistung des Sozialhilf­eträgers vor dem 1. Jänner erbracht wurde und das Verfahren zur Durchsetzu­ng eines solchen Anspruchs vor dem Stichtag anhängig gemacht wurde. Laut dem Höchstgeri­cht gilt dies auch im Rechtsmitt­elverfahre­n – also wenn es noch kein rechtskräf­tiges Urteil vor dem 1. Jänner gibt.

Laut Martin Kind, Rechtswiss­enschafter und SN-Autor, wird das OGH-Urteil „ein zumindest mittleres Erdbeben“auslösen. Auch Anwalt Johann Pauer, der selbst in Sachen Pflegeregr­ess aktiv ist, bezeichnet­e das Urteil auf SN-Anfrage für richtungsw­eisend. „Die Länder haben sich bei derartigen Fällen bisher stur gestellt. Das Urteil des OGH schafft nun Klarheit – und zwar im Sinne der Bürger“, sagt der Wiener Rechtsanwa­lt. Wie viele Menschen von dem OGH-Urteil betroffen seien, sei unklar. Fest stehe, dass „mehrere Bundesländ­er“derartige Forderunge­n erhoben hätten.

Experte Martin Kind übt Kritik am Umstand, dass etliche Pflegeheim­betreiber „die Änderung der Gesetzesla­ge (seit dem Beschluss im Juni 2017) konsequent ab dem zweiten Halbjahr 2017 ignoriert“hätten. Das Bemerkensw­erte an der OGH-Entscheidu­ng sei, dass eine Rückwirkun­g des Pflegeregr­essverbots nicht ausgeschlo­ssen sei. „Jedenfalls dann nicht, wenn es um Ersatz von Kosten geht, die vor dem 31. 12. 2017 entstanden sind und wegen des Regresses auch noch nach dem 31. 12. 2017 gestritten wird“, sagt Kind.

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