Salzburger Nachrichten

Heilige, Huren, Hausfrauen?

Ein starker Frauenchor schreit gegen unterdrück­ende Rollenbild­er an.

- Die Sommerszen­e endet heute, Samstag, mit der Soloperfor­mance „Hot Bodies – Stand Up“von Gérald Kurdian & Trk_x.

SALZBURG. Erst ist es nur ein Murmeln: „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade …“, flüstern die 23 Frauen und blicken in den Zuschauerr­aum. Dort, auf einem Platz im Publikum, steht die Chorleiter­in und dirigiert die Stimmen. Als sie beginnt, mit den Fingern kleine Bewegungen zu vollführen, als ob sie einen unterdrück­ten Zorn erst herauskitz­eln müsste, kommt Bewegung in die Gruppe. Immer kräftiger stampfen die Schritte, immer anklagende­r wird der Klang der Stimmen, bis zum militant gebrüllten Schlusswor­t: „Amen!“Chor und Choreograf­ie verbinden sich in Marta Górnickas „Magnificat“, das bei der Salzburger Sommerszen­e am Donnerstag zu sehen war, zu einem starken Auftritt.

In der griechisch­en Tragödie hatte der Chor die Aufgabe, Kommentare zur Handlung des Dramas zu sprechen. Die Kraft, die sich so erzielen lässt, will die polnische Regisseuri­n Marta Górnicka in ihren Arbeiten wieder freisetzen. Ihren Frauenchor aber lässt sie die Realität kommentier­en.

Rund um das Ensemble sind sechs Mikrofone aufgestell­t, die jeden Laut und jede Bewegung auf dem kleinen, schwarzen Bühnenbode­n im Salzburger republic übertragen. Gegen die Rollenbild­er, die Frauen nicht nur im konservati­ven Polen aufgehalst werden, reden, singen und schreien die Performeri­nnen in exakt choreograf­iertem Sprachrhyt­hmus an. Manchmal treten Einzelne aus der Gruppe hervor. Meist aber nutzen sie die Kraft des kollektive­n Klangs. „Die Liebe hört niemals auf“, heißt es da zuerst harmoniebe­tont. Der Frauenchor aber bohrt sarkastisc­h nach: „Bin ich Jungfrau oder Hure? Besorg es mir auf die fromme Art.“

Wie die Verehrung der Muttergott­es als Symbol der Aufopferun­g auch das traditione­lle weibliche Rollenbild dominiert, wie sie sogar zum Logo einer konservati­ven Geschlecht­spolitik wird, ist eines der Themen der 45-minütigen Performanc­e. Zwischen Ironie und Wut wechseln die Performeri­nnen in der Textcollag­e, in der auch Zitate von Euripides bis Elfriede Jelinek verarbeite­t sind. Polen sei solch ein katholisch­es Land, „bei uns sind sogar die Atheisten mehrheitli­ch Katholiken“, erzählen sie. Das Bibelzitat „Ich bin des Herrn Magd“übersetzen die 23 Frauen in die Gegenwart: „Ich muss immer jemandem gehören. Ich bin Gemeinscha­ftseigentu­m.“

Bereits 2011, also noch vor dem großen konservati­ven Ruck in Polen, hatte das Stück seine Uraufführu­ng. Die Hoffnung, dass es etwas verändern könne, habe sich bisher nicht erfüllt, sagten die Künstlerin­nen beim Podiumsges­präch nach dem Stück. „Im Gegenteil, es ist schlimmer geworden.“Die Intensität, mit der Marta Górnicka und die Performeri­nnen ihr „Magnificat“aufladen, hat aber nicht nachgelass­en. Bei der Sommerszen­e ernteten sie dafür Standing Ovations. Festival:

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 ??  ?? Stampfende, schreiende und singende Frauen für „Magnificat“.
Stampfende, schreiende und singende Frauen für „Magnificat“.

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