Salzburger Nachrichten

Macdonald träumt von Kakao

Eine höhere Schule für die intelligen­testen, aber ärmsten Jugendlich­en aus ganz Afrika: Das gibt es seit fast 30 Jahren in Ghana. Von Studenten, die nach Harvard gehen, um Afrika zu retten.

- Anja Kröll berichtet für die SN aus Ghana

„Wie das Fast-Food-Lokal, das mit den Burgern“, sagt der große junge Mann mit dem strahlende­n Lächeln. Macdonald Nyatioja, dessen Name fast so wie der des amerikanis­chen Schnellres­taurants geschriebe­n wird, steht im Schatten eines Baums in Ghana. Jenseits der 30-Grad-Marke ist jede Bewegung mit Schweißaus­brüchen verbunden. Was Macdonald nicht davon abhält, seine Ansichten mit ausladende­n Gesten zu untermauer­n. Die rechte Hand wandert nach oben: „Jede einzelne Person ist relevant, um das Land, unser Afrika, besser zu machen. Wir brauchen Lösungen in den nächsten zehn Jahre“, sagt Macdonald und verschränk­t demonstrat­iv die Arme.

Es gibt wohl kaum einen besseren Ort, um über die Zukunft von Afrikas Jugend zu sprechen, als auf jenem Land, das sich um Macdonald und den schattigen Baum erstreckt: Das SOS Hermann Gmeiner Internatio­nal College in Ghanas Hafenstadt Tema, an dem Macdonald seit drei Jahren studiert. Seit 1990 können hier talentiert­e, aber arme Jugendlich­e aus ganz Afrika einen höheren Schulabsch­luss machen. Dieser – vergleichb­ar mit der Matura in Österreich – berechtigt sie zu einem Universitä­tsstudium, macht sie konkurrenz­fähig und erhöht ihre Chancen auf einen guten Job. Kurz gesagt: Bildung als Schlüssel für eine Zukunft. „Wir haben viel mehr Interessen­ten, als wir aufnehmen können. Rund 35 Prozent unserer Studenten sind Kinderdorf­Kinder, der Rest kommt aus Ghana“, erklärt Direktor Titi Ofei bei einem Rundgang durch die Schule. Vorbei an Labors, modernen Computerrä­umen, einer Bücherei, Lernecken und Sportplätz­en für die rund 350 Studenten.

Macdonald stammt aus Simbabwe. Nach dem Tod seiner Mutter kam er mit sechs Jahren in ein SOSKinderd­orf. „Ich wollte immer lernen und studieren. Afrika braucht Innovation“, sagt der 18-Jährige. Was Innovation für einen Jugendlich­en aus Simbabwe bedeutet? „Wir können nicht immer warten, dass wir Geld von anderen erhalten. Wir müssen selbst handeln.“

Selbst Verantwort­ung zu übernehmen ist eng mit der Geschichte Ghanas verknüpft. Die Republik in Westafrika war das erste schwarzafr­ikanische Land, das von seinen kolonialen Besatzern unabhängig wurde. Mehr als 28 Millionen Einwohner zählt Ghana. Es weist ein relativ hohes Wirtschaft­swachstum auf, kaum ethnische Konflikte oder Bürgerkrie­ge und politische Stabilität, die viele ausländisc­he Investoren in das Land lockte.

Das sind die guten Nachrichte­n. Die schlechten sehen so aus: 28 Prozent aller Menschen in Ghana leben in Armut, rund 20 Prozent haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasse­r. Besonders hart trifft es junge Menschen. Fast 40 Prozent der Bevölkerun­g sind jünger als 14 Jahre. 27.000 von ihnen sind mit HIV infiziert. Insgesamt gelten rund 1,1 Millionen Kinder in dem Land in Westafrika als Waisen. Sie leben auf der Straße, verdienen sich ihr Leben durch Betteln oder Stehlen und besuchen keine Schule. Laut Schätzunge­n sind sieben von zehn Straßenkin­dern in Ghana Analphabet­en. Doch auch ein Zuhause bedeutet nicht automatisc­h einen Schulbesuc­h. 34 Prozent aller ghanaische­n Kinder verrichten Kinderarbe­iten und bleiben somit Bildungsei­nrichtunge­n fern.

All dies scheint weit weg, wenn man durch die Gänge des Hermann Gmeiner Internatio­nal Colleges geht. Vorbei an Wänden mit Bronzetafe­ln, auf denen die Namen der Absolvente­n jedes Jahrgangs stehen. Auf jener der Klasse des Jahres 2005 findet sich ihrer: Flossy Azu. Die kleine Frau mit der großen Afrofrisur machte 2005 ihren Abschluss an der Schule. „Ich habe danach in Amerika und Japan gearbeitet“, erzählt die 32-Jährige, für die ein Leben in Afrika ohne Strom oder fließendes Wasser zum Alltag gehörte. Heute ist es ein Abschluss der Eliteunive­rsität Harvard, den Azu nach ihrer Zeit im Hermann Gmeiner Internatio­nal College vorweisen kann. Genau in dieses SOS-College ist sie vor einem Jahr zurückgeke­hrt – als Vertrauens­person für die Schüler und Administra­torin. „Mein Ziel ist es, den Jugendlich­en etwas für ihre Zukunft mitzugeben. Lernen bedeutet nicht, dass man Inhalte auswendig kann. Lernen sollte den kritischen Geist der Jugendlich­en fördern.“

Azus Rückkehr steht auch für das Motto der Schule: „Wissen im Dienste Afrikas.“Direktor Ofei erklärt es so: „Es geht nicht darum, dass all unsere Studenten in Afrika bleiben. Es geht darum, dass sie sich der schwierige­n Situation Afrikas bewusst werden und ihr Land nicht vergessen, auch wenn sie später einmal im Ausland leben sollten. Wir bilden sie aus, damit sie mit ihrem Wissen die Probleme unserer Nation lösen können.“

Ähnlich sieht dies Margaret Nkrumah, die als frühere Direktorin maßgeblich an der Ausrichtun­g des SOS-Colleges beteiligt war. „Es sind nicht Obama, oder Amerika, die Afrika verändern werden. Es sind die jungen, intelligen­ten Menschen dieses Landes.“

Menschen wie Macdonald unter dem schattigen Baum. Das Gespräch mit dem 18-Jährigen dreht sich mittlerwei­le um Kakao. Ghana zählt zu den führenden kakaoerzeu­genden Nationen der Welt. „Und jetzt stell dir vor, wir würden diesen Kakao nicht nach Amerika exportiere­n, um dann die Schokolade, die die Amerikaner dort herstellen, wieder in unser Land zu importiere­n, sondern ihn selbst verarbeite­n? Was wäre, wenn wir Afrikaner endlich lernen würden, unsere Rohstoffe zu nutzen?“, sagt der 18Jährige. Und dieses Mal braucht es keine ausladende Geste, um das Gesagte zu unterstrei­chen.

SOS-Kinderdorf fand seinen Anfang mit dem Bau des ersten Dorfes 1949 in Imst in Tirol. Heute hilft die Organisati­on in 135 Ländern weltweit Kindern in Not. Spende an SOS-Kinderdorf, IBAN AT62 1600 0001 0117 3240, Kennwort: Ghana

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BILD: SN/SOS-KD/KRÖLL Der 18-jährige Macdonald Nyatioja im SOS-College in Ghana.
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