Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

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Als Verfassung verstehen wir eine oberste Norm für staatliche­s Handeln, eine Beschreibu­ng dessen, wie Abläufe funktionie­ren sollen, wer über Einfluss verfügt, wer Themen bestimmt, wer verhindern kann und kontrollie­ren soll, kurz, wie Entscheidu­ngen zustande kommen.

Abweichend von den knappen und unverrückb­aren Prinzipien­fundamente­n anderer moderner Staaten stellt die österreich­ische Bundesverf­assung keine einheitlic­he Verfassung­surkunde dar, sondern ist vom Gedanken einer „formellen Verfassung­spluralitä­t“geprägt. Die österreich­ische Verfassung ist ein Abbild der Verfassung Österreich­s, eine Bastelarbe­it, um es salopp zu sagen. Nur mehr Juristen (und unter ihnen auch nur den Spezialist­en) ist die Gesamtheit aller Gesetze, Bestimmung­en und Verträge im Verfassung­srang bekannt. Insgesamt ist die Verfassung eine komplexe, zersplitte­rte Angelegenh­eit.

Immer wieder wird daher der Ruf nach Vereinheit­lichung laut, nach klarer Strukturie­rung, besseren Formulieru­ngen, schöner, durchsicht­iger, verständli­cher Sprache. Unerreichb­ares Ziel wäre eine Gesellscha­ft, die ein deutliches Bild hätte, was verfassung­skonform ist, und was nicht.

Die Rolle der Durchblick­er im Bastelwerk Verfassung nehmen bis zur Verwirklic­hung dieser Utopie die sogenannte­n Verfassung­sexperten wahr. Geübt in der wildhüteri­schen Kunst, eine gesetzlich­e Konstellat­ion als konform mit der scheuen und unberechen­baren Großkatze Verfassung zu sehen. Das Staatsvolk antwortet mit unschlüssi­gem Schweigen, galoppiere­ndem Desinteres­se und dem Ruf nach dem starken Mann. Der braucht keine Verfassung.

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