Salzburger Nachrichten

Das große Spiel um die Macht auf der Welt

Multipolar­e Weltordnun­g. Es gibt keine Wiederkehr des Kalten Krieges – aber ein Ringen der Mächte um Einfluss-Sphären.

- HELMUT L. MÜLLER

Sobald sich der Ton zwischen Moskau und Washington verschärft, warnen Analytiker vor einem neuen Kalten Krieg. Aber es ist alarmistis­ch und abwegig, den Konflikt zwischen den USA und Russland heute mit jenem von einst gleichzuse­tzen. Der Kalte Krieg war eine bestimmte historisch­e Konstellat­ion; sie währte vier Jahrzehnte lang bis zur Auflösung des Ostblocks 1989 und zum Zerfall der UdSSR 1991; sie kehrt in dieser Form nicht wieder.

Die Formel vom Kalten Krieg beschrieb den Gegensatz zwischen zwei unvereinba­ren ideologisc­hen Systemen in Ost und West. Unversöhnl­ich standen sich der kommunisti­sche, von Moskau kommandier­te Ostblock und das Bündnis westlicher Demokratie­n gegenüber. Der Dualismus zweier Lager führte zu heißen „Stellvertr­eterkriege­n“in der Dritten Welt und zu einer Spirale der Aufrüstung. Die Angst vor einem Atomkrieg zwischen zwei Supermächt­en war allgegenwä­rtig, am stärksten spürbar in der Kuba-Krise 1962.

Die heutige Welt sieht jedoch anders aus. Es gibt keinen Wettlauf zwischen zwei unterschie­dlichen ideologisc­hen und ökonomisch­en Systemen, die darauf abzielen, sich in der ganzen Welt auszubreit­en. An die Stelle der sowjetisch­en Planwirtsc­haft ist in Russland ein Staatskapi­talismus getreten.

Mit den USA und der UdSSR konkurrier­ten seinerzeit die stärkste und die zweitstärk­ste Wirtschaft der Welt miteinande­r. Heute hingegen ist Russlands Wirtschaft kleiner als jene Italiens; und ihr technologi­scher Rückstand ist viel größer als je im 20. Jahrhunder­t. Auf der anderen Seite könnten die Vereinigte­n Staaten wirtschaft­lich bald von China überholt werden.

Ein weiterer großer Unterschie­d: In Europa gibt es keinen Eisernen Vorhang mehr, mit dem sich der kommunisti­sche Block einst von der westlichen Welt abschottet­e. Heute haben russische Unternehme­n und Privatpers­onen enge Verbindung­en mit dem Westen, die russische Wirtschaft ist von Rohstoffex­porten in den Westen abhängig. Nur mit westlichem Know-how hat Russland überhaupt die Chance auf eine Modernisie­rung.

Im Internet-Zeitalter hat auch die russische Obrigkeit keine Möglichkei­t mehr, den Austausch von Informatio­nen komplett zu stoppen. Und anders als im Kalten Krieg gibt es auf dem Globus des Jahres 2018 keine Blöcke. Ungarn und die Türkei etwa bleiben weiterhin in der NATO, auch wenn Viktor Orbán und Recep Tayyip Erdoğan wie Putin auf Distanz zur liberalen Demokratie sind – und eine Annäherung an dessen Kremlreich suchen.

Als einzige Konstante nach der WeltWende von 1989/1991 erscheint das AtomArsena­l samt der Strategie der nuklearen Abschrecku­ng. Es stellt Russland tatsächlic­h auf eine Stufe mit den USA. Auf Augenhöhe mit Amerika möchte Präsident Wladimir Putin sein, der damit ein gleich großes Gewicht für Russland reklamiert wie in den Zeiten des Kalten Krieges. Doch vom früheren Status als Supermacht hat Moskau nur die Rolle als Atommacht behalten – und sein Vetorecht im Weltsicher­heitsrat.

Statt der bipolaren Welt entwickelt sich heute ein multipolar­es System. In ihm können die westlichen Staaten (USA und Europa) nicht mehr wie bisher die Regeln diktieren. Neue globale Spieler wie China, Indien, etc. drängen darauf, die künftige Weltordnun­g mitzubesti­mmen.

Statt einer Konfrontat­ion zwischen zwei großen Lagern wie im Kalten Krieg tritt zunehmend ein Wertekonfl­ikt zwischen autoritäre­n Staaten, angeführt von China und Russland, und den westlichen Demokratie­n. Wenig demokratis­ch gesinnte Herrscher in Afrika zum Beispiel wissen es zu schätzen, dass die Chinesen bei ihren Investitio­nen auf dem Schwarzen Kontinent nicht nach Maßstäben wie Menschenre­chten oder Rechtsstaa­tlichkeit fragen – anders als die in dieser Hinsicht lästigen Europäer. Ein neues „großes Spiel“ist im Gang, bei dem sich Mächte bestimmte Einfluss-Sphären sichern wollen. Geopolitik hat offenkundi­g Hochkonjun­ktur.

Der Begriff „großes Spiel“(great game) bezeichnet den historisch­en Konflikt zwischen Großbritan­nien und Russland um die Vorherrsch­aft in Zentralasi­en. Diese Auseinande­rsetzung kulminiert­e im 19. Jahrhunder­t in einem Kampf um die Dominanz in Afghanista­n. Das „große Spiel“von heute ist jedenfalls global. Vor allem drei dominante Spieler sind ebenso darin verwickelt. China, Russland und der Westen konkurrier­en auf dreierlei Weise miteinande­r, nämlich geografisc­h, wirtschaft­lich und politisch. Auf drei Schauplätz­en stoßen die Einfluss-Sphären der drei Spieler exemplaris­ch aufeinande­r, nämlich in Syrien, in der Ukraine und in der Asien-Pazifik-Region.

Im Ringen um Einfluss-Sphären nutzt Russland vor allem militärisc­he Mittel. Im „nahen Ausland“sichert sich Moskau eine Einflusspo­sition dank „eingefrore­ner Konflikte“– etwa in der Republik Moldau (Transnistr­ien) und in Georgien (Abchasien, Südossetie­n). In der Ostukraine hat Russland militärisc­h intervenie­rt und gegen internatio­nales Recht die Halbinsel Krim gekapert. Aus der Sicht von Strategen in Moskau ging es dabei primär um die Kontrolle über die russische Schwarzmee­rflotte. In Syrien wiederum hat Russland auf der Seite von Machthaber Baschar al-Assad militärisc­h eingegriff­en. Moskau will so seinen einzigen Zugang zum Mittelmeer sichern und als Machtfakto­r im Nahen Osten auftreten.

Die Volksrepub­lik China ist vor allem darauf bedacht, eine Dominanz in der asiatische­n Nachbarsch­aft zu gewinnen. Im Südchinesi­schen Meer geht Peking dabei rigoros und wider internatio­nale Regeln vor. Der Unterschie­d zu Russland: Bei seinem globalen Vormarsch setzt China in erster Linie auf den wirtschaft­lichen Hebel, um politische­n Einfluss zu gewinnen. Durch ein Netz von Infrastruk­turprojekt­en („Neue Seidenstra­ße“) bringt es viele Länder von Asien bis Europa in eine neue Abhängigke­it. Nach ähnlichem Muster gewinnt der finanzstar­ke Riese immer mehr Klienten

Vom Kalten Krieg ist vor allem das Atom-Arsenal übrig geblieben.

 ??  ??
 ??  ?? Akteure im „großen Spiel“, einst und jetzt: oben US-Präsident Dwight D. Eisenhower und Josef Stalin, unten Donald Trump und Xi Jinping, der starke Mann Chinas.
Akteure im „großen Spiel“, einst und jetzt: oben US-Präsident Dwight D. Eisenhower und Josef Stalin, unten Donald Trump und Xi Jinping, der starke Mann Chinas.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria