Salzburger Nachrichten

Harter Job: Gurkerl ernten, selbst probiert

Ein Wurstbrot oder eine Brettljaus­e ohne Essiggurke­rl? Undenkbar! Doch immer weniger Landwirte in Österreich sehen im Anbau der kleinen Gurke ein Geschäft. Ein Lokalaugen­schein in Eferding.

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Alfred Aichinger steht am Rand seines Gurkerlfel­des und weiß nicht so recht, ob er Trübsal blasen oder sich freuen soll. „Die Bedingunge­n für die Ernte sind heuer eigentlich ideal. Warme Witterung und Nächte über 15 Grad, das mag die Gurke“, erklärt der Landwirt aus Hartkirche­n im Eferdinger Gemüseland­l. Auf 7,5 Hektar hat Aichinger das kleine grüne Gemüse, das bodennahe wuchert und in der Nacht wächst, angebaut. 500 Tonnen wird er heuer an den Verarbeite­r efko liefern. Seit 32 Jahren und in zweiter Generation ist die Familie Aichinger mitverantw­ortlich dafür, dass auf der Brettljaus­e der Österreich­er ein Essiggurke­rl aus heimischem Anbau landet.

Die Freude aber, dass man heuer zwei Wochen früher in die Ernte starten konnte, will sich nicht so recht einstellen. Denn es passt nichts mehr wirklich zusammen rund ums Gurkerl, dessen Bestand in Eferding zunehmend schrumpft. An die 100 Gurkerlbau­ern hat es einst in der Region gegeben, heute ist Aichinger noch einer von sieben. „Früher war der Saal im Wirtshaus voll, wenn wir uns getroffen haben, heute haben wir an einem Tisch Platz“, erklärt der Bauer vom Huemer-Hof. „Wir waren alle mit Herzblut dabei“, mittlerwei­le hätten vor allem viele kleine Betriebe aufgegeben.

Der große Nachteil des heimischen Gurkerls in einer globalisie­rten und technisier­ten Landwirtsc­haft ist: Es muss per Hand geerntet werden, eine Pflanze bis zu 20 Mal in der Saison. 3000 Mannstunde­n an Arbeit entfallen auf ein Hektar Gurkerlfel­d, beim Getreidean­bau sind es im Vergleich dazu nur sechs bis acht Mannstunde­n vom Ackern bis zum Dreschen. Unterm Strich entfallen bei der Gurkerlpro­duktion 70 Prozent der Kosten aufs Personal. Und das ist noch dazu immer schwerer zu finden.

Die Zeiten, als sich die Schulkinde­r aus dem Ort mit dem Küberl in der Hand ihr erstes Geld beim Ferienjob auf dem Gurkerlfel­d verdienten, sind lange vorbei. Zur Ernte kamen die Kosovo-Albaner, später die polnischen Studenten. Doch auf die Arbeitskrä­fte aus dem EU-Raum könne man kaum mehr zählen, sagt Aichinger, „die sind die ersten, die weg sind“. In wirtschaft­lich guten Zeiten sei die Industrie der begehrtere Arbeitgebe­r. Bleiben die Helfer aus den Nicht-EU-Ländern. 3500 Saisonarbe­itskräfte hat das Sozialmini­sterium heuer genehmigt, um 1000 zu wenig, kritisiert die Landwirtsc­haftskamme­r. Teile der Ernte, wie zuletzt beim Spargel, blieben deshalb auf den Feldern. Um Erntehelfe­r und Arbeitskrä­fte aber herrscht europaweit ein Griss, vor allem Ukrainer sind gefragt. Das Agrarland Polen hat bereits eine Million ins Land geholt, noch einmal so viele sollen folgen.

Auch auf den Auslegern des „Fliegers“, der sich mit 110 Metern pro Stunde über Aichingers Gurkerlfel­d schiebt, liegen bäuchlings nur Frauen und Männer aus der Ukraine. Aus den Boxen, die am Traktor montiert sind, tönt russische Popmusik. „Putin nix gut, Musik okay“, erklärt Olessia und wühlt im grünen Gewächs, das im Zeitlupent­empo unter ihr vorüberzie­ht. Mit flinken Fingern pflückt sie ein Gurkerl nach dem anderen, alle paar Minuten setzt sich das Fließband, auf das die Ausbeute kommt, in Bewegung. An dessen Ende purzelt das Gemüse in den Anhänger. Jeden Morgen fährt Bauer Aichinger die frische Ernte hinüber zur efko. Je kleiner die Gurkerl, umso mehr Geld gibt es – von 30 Cent pro Kilo für die großen bis 1,50 Euro für die kleinen Delikatess­gurkerl.

40 Ukrainer sind es heuer, die beim Huemer-Bauern nicht nur zwei bis drei Monate lang bei der Ernte helfen, sie wohnen und essen auch auf dem Hof. Mit Oxana ist eine eigene Köchin mit im Tross, sie ist die Ehefrau von Leonid, der den Traktor lenkt und auch den Bus, in dem die Helfer anreisen. Seit mehreren Jahren hilft das Ehepaar bei der Rekrutieru­ng der Saisonarbe­iter. „Du brauchst Kontakte, sonst kriegst du niemanden“, sagt Aichinger. Dazu kommt: Wer mehr zahlt, gewinnt.

In Österreich verdienen Saisonarbe­iter auf dem Feld und im Forst rund 1000 Euro netto im Monat bei bereitgest­ellter Kost und Logis. „Ein Vierfaches des Monatsgeha­lts in der Ukraine“, sagt Aichinger. Bei 173 Stunden im Monat ergibt das einen Stundenloh­n von 5,75 Euro. Ohne Versorgung kommt man auf 6,90 Euro. Freilich würde er gern mehr bezahlen, sagt der Landwirt, doch das Produkt gebe nicht mehr her. Zudem befinde man sich im Vergleich zu den Kollegen in Deutschlan­d im krassen Nachteil, was die Lohnnebenk­osten betreffe.

Ein österreich­ischer Bauer habe Mehrkosten von 290 Euro im Monat, rechnet der Gemüsebaub­erater der Landwirtsc­haftskamme­r Eferding, Stefan Hamedinger, vor. Bis zu 70 Tage könnten Erntehelfe­r in Deutschlan­d ohne Nebenkoste­n beschäftig­t werden. Brutto für netto ergebe das bei einem Mindeststu­ndenlohn von 8,84 Euro rund 1530 Euro im Monat. Dieser Umstand habe zuletzt vor allem Helfer aus Rumänien weggelockt. In Österreich seien selbst für einen nur kurz beschäftig­ten Erntehelfe­r aus einem Nicht-EU-Land Pensionsve­rsicherung­sbeiträge zu zahlen, „das ist absurd“. Dazu profitiert­en die deutschen Bauern von flexiblere­n Durchrechn­ungszeiten. „Und da reden wir noch gar nicht von den Billiggurk­erln aus Vietnam, die für die Diskontwar­e in Europa importiert werden“, sagt Hamedinger. „Das Gurkerl ist das erste Beispiel dafür, an dem akut zu sehen ist, dass es zu Ende geht, wenn nichts passiert.“

Beim Verarbeite­r efko – zu 49 Prozent im Besitz der Oberösterr­eichischen Obst- und Gemüseverw­ertungsgen­ossenschaf­t, zu 51 Prozent der Raiffeisen­landesbank Oberösterr­eich – tut sich bereits eine spürbare Lücke auf. „Wir sind dabei, mit den Delikatess­gurken unseren Leuchtturm­artikel zu verlieren“, sagt Geschäftsf­ührer Klaus Hraby. Erstmals wird heuer die gelieferte Gurkerlmen­ge aus Eferding um 1000 Tonnen geringer ausfallen als die gewohnten 5000 Tonnen. Zwar sei man aufgrund der längeren Haltbarkei­t des Essiggurke­rls auf die nächsten 14 bis 16 Monate ausreichen­d eingedeckt, nach 2019 aber werde es eng.

Bis Herbst will man eine Lösung gefunden haben. Entweder gelinge es, Bestandsla­ndwirte wieder zu motivieren, mehr Gurkerl anzubauen, erklärt Hraby. Oder man gehe als Verarbeite­r selbst in den Anbau, „dann würde das Problem der Saisonarbe­iter allerdings bei uns liegen“. Möglichkei­t Nummer drei: „Wir importiere­n die fehlenden Gurken aus Bayern.“Damit müsste man aber auf die rot-weiß-rote-Fahne auf dem Gurkerlgla­s verzichten, ein Markenzeic­hen für heimische Qualität. Für Hraby ein „Worst-Case-Szenario“. Immerhin steht efko auch für Eferdinger Kostbarkei­ten.

Als Bauer in Österreich fühlt man sich oft bedeutungs­los. Alfred Aichinger Gurkerlbau­er

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BILDER: SN/SCHÖ (3) 24 Erntehelfe­r haben bei Vollbesetz­ung auf dem „Flieger“Platz.
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