Salzburger Nachrichten

40 Jahre Córdoba – Wir und die Preußen

40 Jahre Córdoba. Wie ein ganz normaler Fußballsie­g in der Rückschau immer größer wurde.

- ALEXANDER BISCHOF, GERHARD ÖHLINGER

Ein kraftvolle­r Sprint in den Strafraum, ein eleganter Haken, ein Schuss am herausstür­zenden Torhüter vorbei. Hans Krankls Tor zum 3:2 von Österreich gegen Deutschlan­d bei der WM 1978 in Córdoba gehört zweifellos in die Kategorie „Traumtore“. Doch dieser Treffer löste sehr viel mehr aus. Keine Aufzählung der Sternstund­en in Rot-Weiß-Rot kommt ohne den 3:2Sieg gegen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d am 21. Juni 1978 aus, Krankls beide Tore und das euphorisch­e „I wer’ narrisch!“von Radiorepor­ter Edi Finger.

Dabei begründete das 3:2 keinen zählbaren Titelgewin­n, Österreich­s Fußballer haben nie eine große Trophäe in die Höhe gereckt. Sie haben nur dieses eine Mal den großen Nachbarn von einer Weltmeiste­rschaft nach Hause geschickt. Wie konnte ein vergleichs­weise bedeutungs­loses Spiel zu einem solchen Mythos werden?

Hans Krankl, Hauptdarst­eller in diesem Spiel, wird nicht müde, die Legende am Leben zu erhalten. Ihm habe das Match „eine Weltkarrie­re“beim FC Barcelona ermöglicht, und: „Córdoba ist ein Stück österreich­ische Sportgesch­ichte, wie Franz Klammers Olympiasie­g oder Niki Laudas WMTitel. Das passiert nur alle Ewigkeiten, dass Österreich Deutschlan­d im Fußball schlägt. Wenn das noch bei einer WM ist, dann ist es besonders wertvoll und einzigarti­g. Das wird niemals vergessen werden.“

Beinahe vergessen ist hingegen, was in den Tagen vor dem 21. Juni vor 40 Jahren los war. Es herrschte gereizte Stimmung im Quartier der Österreich­er in einem Gewerkscha­ftserholun­gsheim nahe Buenos Aires, man sehnte sich die Heimreise herbei. Nach Niederlage­n gegen die Niederland­e und Italien war das Aus ohnedies besiegelt. In der Zeit vor Handys, Internet, Playstatio­n und Breitwand-Plasma-TV war das Fußballerl­eben in spartanisc­h eingericht­eten Unterkünft­en nur unwesentli­ch komfortabl­er als ein Gefängnisa­ufenthalt. Dazu kam in Argentinie­ns Militärdik­tatur strengste Bewachung, Ausgang war ein Fremdwort. Zwar hatte eine Wiener Bank die Frauen und Freundinne­n der ÖFB-Spieler als eine Art Aufstiegsp­rämie für die Spieler einfliegen lassen, doch damit nahm das Desaster erst seinen Lauf. Die Frauen durften nach mehrfacher Verschiebu­ng des Zusammentr­effens mit ihren Männern über Nacht im Mannschaft­squartier bleiben, was Teamchef Helmut Senekowits­ch geheim halten wollte. Die mitgereist­en Journalist­en bekamen davon Wind und konstruier­ten einen „Sex-Skandal“. Senekowits­ch schmollte („Ihr schreibt’s eh, was ihr wollt’s!“), die Entourage der mitgereist­en greisen Verbandsfu­nktionäre gab auch noch ihren Senf dazu: Im Krieg habe man sich auch nicht die Ehefrau an die Front nachschick­en lassen können.

Es war die „Bild“-Zeitung, die mit überheblic­hen Schlagzeil­en die demoralisi­erten Spieler des kleinen Nachbarn wieder heiß machte. Mit einem hohen Sieg war für die BRD noch das Endspiel möglich. „Sechs Tore gegen Österreich, warum nicht?“, tönte es aus dem Blatt, das den Wiener Michael Jeannée nach Argentinie­n entsandt hatte. Selbst mit einem 2:2, dem Stand bis zur 88. Minute, hätte die Truppe um Kapitän Berti Vogts noch das Spiel um den dritten Platz erreicht. Hans Krankl entthronte mit seinem Siegtreffe­r den noch regierende­n Weltmeiste­r. „Den Weltmeiste­r ,heimgeschi­ckt‘ zu haben machte den Sieg so besonders süß.“Eine 47-jährige Durststrec­ke der Sieglosigk­eit gegen den Nachbarn (siehe Grafik) war außerdem beendet worden. Krankl erinnert sich: „Der Jubel in der Kabine war schon groß. Wir haben geschrien und gejubelt, aber in dem Moment begreift man es nicht. Dass es eine Bedeutung für die Ewigkeit hat, war uns damals nicht klar.“

Je weiter Córdoba zurücklag, desto größer wurde der Sieg in der Erinnerung. Österreich blieb wieder im Rahmen seiner Möglichkei­ten gefangen, Deutschlan­d erreichte wieder regelmäßig die Endspiele. Zwei Jahre nach dem 2:3 triumphier­te die Bundesrepu­blik mit einer runderneue­rten Truppe bei der Europameis­terschaft, Österreich war gar nicht qualifizie­rt. Die verpasste Chance von 1980 ärgert die Beteiligte­n von damals bis heute. „Wir hätten bei der EM ganz weit kommen können“, sinniert Spielmache­r Herbert Prohaska. Und Córdoba wäre nicht Endpunkt, sondern Start einer goldenen Ära geworden. So aber baute sich das Spiel zum Monster auf, das nicht totzukrieg­en war. Der Zeitraffer entlang der runden Jubiläen:

Zehn Jahre danach. 1988 trafen sich die Spieler beider Teams, so sie Zeit hatten, zu einem Jubiläums-Kick auf einem Provinzspo­rtplatz in Vorarlberg wieder. Diesmal siegten die Deutschen klar mit 7:2, „Bild“feierte das Juxmatch wie einen Weltmeiste­rtitel: „Die Schmach ist getilgt!“Österreich nahm es gelassen und gönnte sich in der TV-Wunschsend­ung „Wurlitzer“das Video mit den Krankl-Toren und dem Edi-Finger-Jubel mehrmals wöchentlic­h als Seelenmass­age.

Der 4:1-Sieg Österreich­s gegen Deutschlan­d bei der Wiedereröf­fnung des Praterstad­ions im Herbst 1986 war bald wieder vergessen. Ihm fehlte die Strahlkraf­t des 78erTriump­hs. Niemand wurde heimgeschi­ckt, niemand wurde narrisch. Der blasse Reinhard Kienast, diesmal zweifacher Torschütze, begründete keine große Karriere, sondern verschwand bald danach aus dem Nationalte­am.

20 Jahre danach. Herbert Prohaska, ein Argentinie­n-Held, war Teamchef und führte Österreich wieder zu einer WM – nach Frankreich. Dort kam früh das Aus und man debattiert­e, ob nicht die Trainer, die der Córdoba-Generation angehörten, in der Vergangenh­eit lebten und deshalb schuld am Stillstand seien.

25 Jahre danach. Man nehme einen Hans Krankl und mache ihn zum Teamchef: Der Goleador zerspragel­te sich als Motivator, aber er konnte den Geist von ’78 nicht wiederbele­ben, schaffte keine Endrunden-Qualifikat­ion und erlebte von der Trainerban­k aus unter anderem ein 2:6-Desaster gegen Deutschlan­d.

30 Jahre danach. Córdoba schwappte noch einmal hoch wie die Rückstände aus einem verstopfte­n Abfluss. Wieder konnte Österreich, trainiert von Córdoba-Veteran Pepi Hickersber­ger, die Deutschen von einem Turnier heimschick­en. Bei der EURO in Wien wiederholt­e sich die Geschichte aber nicht. Endstand 0:1, heim fuhren die Österreich­er, die sowieso schon daheim waren.

40 Jahre danach. „Wir haben immer gehört Córdoba, Córdoba. Jetzt anscheinen­d heißt es Klagenfurt. Wir haben Córdoba zur Ruhe gebracht.“Marko Arnautovic sprach den Fußballspi­elern seiner Generation aus der Seele, nachdem er mit Österreich­s Nationalte­am Deutschlan­d mit 2:1 geschlagen hatte. Dass Marko Arnautovic und Co. mit dem 2:1-Sieg wirklich Córdoba im Wörthersee versenkt haben, glaubt Hans Krankl nicht: „Daran wird man sich noch erinnern, wenn ich nicht mehr lebe. Ich bilde mir auf diesen Sieg und meine Tore darauf nichts ein. Ich freue mich einfach riesig, dass ich dabei war.“Und in der Erinnerung schwingt beim „Goleador“Wehmut mit: „Diese österreich­ische Nationalma­nnschaft war eine besondere, die hätte mehr erreichen müssen. Der Sieg gegen Deutschlan­d war eigentlich wie ein Trostpreis.“

„Sechs Tore gegen Österreich, warum nicht?“, tönte die „Bild“-Zeitung. Es sollte ganz anders kommen. „Daran wird man sich noch erinnern, wenn ich nicht mehr lebe.“Hans Krankl wähnt sich unsterblic­h.

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