40 Jahre Córdoba – Wir und die Preußen
40 Jahre Córdoba. Wie ein ganz normaler Fußballsieg in der Rückschau immer größer wurde.
Ein kraftvoller Sprint in den Strafraum, ein eleganter Haken, ein Schuss am herausstürzenden Torhüter vorbei. Hans Krankls Tor zum 3:2 von Österreich gegen Deutschland bei der WM 1978 in Córdoba gehört zweifellos in die Kategorie „Traumtore“. Doch dieser Treffer löste sehr viel mehr aus. Keine Aufzählung der Sternstunden in Rot-Weiß-Rot kommt ohne den 3:2Sieg gegen die Bundesrepublik Deutschland am 21. Juni 1978 aus, Krankls beide Tore und das euphorische „I wer’ narrisch!“von Radioreporter Edi Finger.
Dabei begründete das 3:2 keinen zählbaren Titelgewinn, Österreichs Fußballer haben nie eine große Trophäe in die Höhe gereckt. Sie haben nur dieses eine Mal den großen Nachbarn von einer Weltmeisterschaft nach Hause geschickt. Wie konnte ein vergleichsweise bedeutungsloses Spiel zu einem solchen Mythos werden?
Hans Krankl, Hauptdarsteller in diesem Spiel, wird nicht müde, die Legende am Leben zu erhalten. Ihm habe das Match „eine Weltkarriere“beim FC Barcelona ermöglicht, und: „Córdoba ist ein Stück österreichische Sportgeschichte, wie Franz Klammers Olympiasieg oder Niki Laudas WMTitel. Das passiert nur alle Ewigkeiten, dass Österreich Deutschland im Fußball schlägt. Wenn das noch bei einer WM ist, dann ist es besonders wertvoll und einzigartig. Das wird niemals vergessen werden.“
Beinahe vergessen ist hingegen, was in den Tagen vor dem 21. Juni vor 40 Jahren los war. Es herrschte gereizte Stimmung im Quartier der Österreicher in einem Gewerkschaftserholungsheim nahe Buenos Aires, man sehnte sich die Heimreise herbei. Nach Niederlagen gegen die Niederlande und Italien war das Aus ohnedies besiegelt. In der Zeit vor Handys, Internet, Playstation und Breitwand-Plasma-TV war das Fußballerleben in spartanisch eingerichteten Unterkünften nur unwesentlich komfortabler als ein Gefängnisaufenthalt. Dazu kam in Argentiniens Militärdiktatur strengste Bewachung, Ausgang war ein Fremdwort. Zwar hatte eine Wiener Bank die Frauen und Freundinnen der ÖFB-Spieler als eine Art Aufstiegsprämie für die Spieler einfliegen lassen, doch damit nahm das Desaster erst seinen Lauf. Die Frauen durften nach mehrfacher Verschiebung des Zusammentreffens mit ihren Männern über Nacht im Mannschaftsquartier bleiben, was Teamchef Helmut Senekowitsch geheim halten wollte. Die mitgereisten Journalisten bekamen davon Wind und konstruierten einen „Sex-Skandal“. Senekowitsch schmollte („Ihr schreibt’s eh, was ihr wollt’s!“), die Entourage der mitgereisten greisen Verbandsfunktionäre gab auch noch ihren Senf dazu: Im Krieg habe man sich auch nicht die Ehefrau an die Front nachschicken lassen können.
Es war die „Bild“-Zeitung, die mit überheblichen Schlagzeilen die demoralisierten Spieler des kleinen Nachbarn wieder heiß machte. Mit einem hohen Sieg war für die BRD noch das Endspiel möglich. „Sechs Tore gegen Österreich, warum nicht?“, tönte es aus dem Blatt, das den Wiener Michael Jeannée nach Argentinien entsandt hatte. Selbst mit einem 2:2, dem Stand bis zur 88. Minute, hätte die Truppe um Kapitän Berti Vogts noch das Spiel um den dritten Platz erreicht. Hans Krankl entthronte mit seinem Siegtreffer den noch regierenden Weltmeister. „Den Weltmeister ,heimgeschickt‘ zu haben machte den Sieg so besonders süß.“Eine 47-jährige Durststrecke der Sieglosigkeit gegen den Nachbarn (siehe Grafik) war außerdem beendet worden. Krankl erinnert sich: „Der Jubel in der Kabine war schon groß. Wir haben geschrien und gejubelt, aber in dem Moment begreift man es nicht. Dass es eine Bedeutung für die Ewigkeit hat, war uns damals nicht klar.“
Je weiter Córdoba zurücklag, desto größer wurde der Sieg in der Erinnerung. Österreich blieb wieder im Rahmen seiner Möglichkeiten gefangen, Deutschland erreichte wieder regelmäßig die Endspiele. Zwei Jahre nach dem 2:3 triumphierte die Bundesrepublik mit einer runderneuerten Truppe bei der Europameisterschaft, Österreich war gar nicht qualifiziert. Die verpasste Chance von 1980 ärgert die Beteiligten von damals bis heute. „Wir hätten bei der EM ganz weit kommen können“, sinniert Spielmacher Herbert Prohaska. Und Córdoba wäre nicht Endpunkt, sondern Start einer goldenen Ära geworden. So aber baute sich das Spiel zum Monster auf, das nicht totzukriegen war. Der Zeitraffer entlang der runden Jubiläen:
Zehn Jahre danach. 1988 trafen sich die Spieler beider Teams, so sie Zeit hatten, zu einem Jubiläums-Kick auf einem Provinzsportplatz in Vorarlberg wieder. Diesmal siegten die Deutschen klar mit 7:2, „Bild“feierte das Juxmatch wie einen Weltmeistertitel: „Die Schmach ist getilgt!“Österreich nahm es gelassen und gönnte sich in der TV-Wunschsendung „Wurlitzer“das Video mit den Krankl-Toren und dem Edi-Finger-Jubel mehrmals wöchentlich als Seelenmassage.
Der 4:1-Sieg Österreichs gegen Deutschland bei der Wiedereröffnung des Praterstadions im Herbst 1986 war bald wieder vergessen. Ihm fehlte die Strahlkraft des 78erTriumphs. Niemand wurde heimgeschickt, niemand wurde narrisch. Der blasse Reinhard Kienast, diesmal zweifacher Torschütze, begründete keine große Karriere, sondern verschwand bald danach aus dem Nationalteam.
20 Jahre danach. Herbert Prohaska, ein Argentinien-Held, war Teamchef und führte Österreich wieder zu einer WM – nach Frankreich. Dort kam früh das Aus und man debattierte, ob nicht die Trainer, die der Córdoba-Generation angehörten, in der Vergangenheit lebten und deshalb schuld am Stillstand seien.
25 Jahre danach. Man nehme einen Hans Krankl und mache ihn zum Teamchef: Der Goleador zerspragelte sich als Motivator, aber er konnte den Geist von ’78 nicht wiederbeleben, schaffte keine Endrunden-Qualifikation und erlebte von der Trainerbank aus unter anderem ein 2:6-Desaster gegen Deutschland.
30 Jahre danach. Córdoba schwappte noch einmal hoch wie die Rückstände aus einem verstopften Abfluss. Wieder konnte Österreich, trainiert von Córdoba-Veteran Pepi Hickersberger, die Deutschen von einem Turnier heimschicken. Bei der EURO in Wien wiederholte sich die Geschichte aber nicht. Endstand 0:1, heim fuhren die Österreicher, die sowieso schon daheim waren.
40 Jahre danach. „Wir haben immer gehört Córdoba, Córdoba. Jetzt anscheinend heißt es Klagenfurt. Wir haben Córdoba zur Ruhe gebracht.“Marko Arnautovic sprach den Fußballspielern seiner Generation aus der Seele, nachdem er mit Österreichs Nationalteam Deutschland mit 2:1 geschlagen hatte. Dass Marko Arnautovic und Co. mit dem 2:1-Sieg wirklich Córdoba im Wörthersee versenkt haben, glaubt Hans Krankl nicht: „Daran wird man sich noch erinnern, wenn ich nicht mehr lebe. Ich bilde mir auf diesen Sieg und meine Tore darauf nichts ein. Ich freue mich einfach riesig, dass ich dabei war.“Und in der Erinnerung schwingt beim „Goleador“Wehmut mit: „Diese österreichische Nationalmannschaft war eine besondere, die hätte mehr erreichen müssen. Der Sieg gegen Deutschland war eigentlich wie ein Trostpreis.“
„Sechs Tore gegen Österreich, warum nicht?“, tönte die „Bild“-Zeitung. Es sollte ganz anders kommen. „Daran wird man sich noch erinnern, wenn ich nicht mehr lebe.“Hans Krankl wähnt sich unsterblich.