Emanzipiert? Gendern in Koran und Bibel
Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Heiden, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid „einer“in Christus Je
Wahrlich, die muslimischen Männer und die muslimischen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftigen Männer und die wahrhaftigen Frauen, die standhaften Männer und die standhaften Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, (. . .) – Gott hat ihnen Vergebung und herrlichen Lohn bereitet. (Koran 33:35)
ANGELIKA WALSER
Frauen, die zu „Söhnen Gottes“mutieren? Ein biblischer Vorläufer für die postmoderne Dekonstruktion, die Infragestellung vorausgesetzter Begriffe von Geschlecht („nicht ist Mann und Frau“)? Was sich in den Ohren von Traditionalisten nach „Genderismus“anhören mag, ist Bestandteil eines uralten Glaubensbekenntnisses, das Paulus in seinem 55 n. Chr. entstandenen Brief an Gemeinden in Kleinasien aufgreift. Die Stelle gehört zum Fundament christlichen Selbstverständnisses.
Der erwähnte Hoheitstitel „Sohn Gottes“kommt nach dem Glauben Israels zunächst dem König zu, der von Gott eingesetzt wird. Das junge Christentum verwendet nun genau diesen Titel, um Christus als den königlichen Erlöser zu bezeugen. Die Konsequenz: Wer in der Taufe das Gewand Christi angezogen hat, ist ein neuer und erlöster Mensch mit königlichem Status. Was für eine Provokation besonders im Hinblick auf Frauen, die in den Augen der damaligen Zeit als minderwertige Wesen galten!
Doch muss das paulinische „Gender Mainstreaming“-Programm für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Bezug auf die Erlösung nicht auch in der sozialen Realität eine Abbildung finden? Mit diesem Anspruch kämpft (nicht nur) die katholische Kirche bis heute. Immerhin gab es Fortschritte: Papst Johannes XXIII. hob als erster Papst in einer Enzyklika „Pacem in terris“(1963) die Gleichrangigkeit der Frau hervor.
Das Zweite Vatikanische Konzil formulierte in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“in Kapitel 29 ein Diskriminierungsverbot. Damit war zumindest offiziell auch in der sozialen Wirklichkeit ein Modell beendet, das fast zweitausend Jahre lang die Unterordnung der Frau unter den Mann legitimiert hatte: das Subordinationsmodell. In Kombination mit theologisch-philosophisch begründeter Frauenfeindlichkeit bei Kirchenvätern und Theologen hat es in der Geschichte eine blutige Spur hinterlassen – man denke nur an den „Hexenhammer“, der jahrhundertelang die Verfolgung von Frauen als Hexen legitimierte.
Feministische Forschung und Lehre, die solche Zusammenhänge aufdeckte und kritisierte, hat sich hierzulande erst seit zirka 1970 mühsam ihren Weg an katholischtheologische Fakultäten erkämpft. Bis heute zahlen viele ihrer Vertreterinnen in Form von persönlichen Verleumdungen oder handfesten Karrierehindernissen einen hohen Preis für ihre Arbeit.
Die Kirche hat ein neues Modell für das Geschlechterverhältnis gefunden, das sog. Polaritätsmodell: Mann und Frau sind wie zwei entgegengesetzte Pole, deren Eigenschaften einander ergänzen. Die Formel lautet „Gleichwertigkeit in Verschiedenheit“. Worin diese Verschiedenheit genau bestehe, ist damit aber nicht geklärt. Letztlich sind es meist dem 19. Jahrhundert entstammende Geschlechterstereotype von der „emotionalen und fürsorglichen Frau“, die den „vernunftgeleiteten und selbstbestimmten“Mann ergänzen soll. Folgerichtig leitet SIE die Krabbelgruppe, ER die Kirche.
Die Kategorie Gender stellt solche Zuschreibungen und die durch sie betonierten Machtstrukturen stark infrage. Die theologische Ethik hat das längst verstanden. Im Dialog mit Human- und Sozialwissenschaften sucht sie nach sich eröffnenden Gestaltungsspielräumen für beide Geschlechter. Christliches Bekenntnis zur Gleichwertigkeit muss sozial glaubwürdig sein.
MOUHANAD KHORCHIDE
Der Vers 35 der Sure 33 stammt aus der mittleren Zeit der sogenannten medinensischen Phase (622–632), in der Frauen deutlich dominanter in den Vordergrund mit ihren Anliegen treten. Dies gilt auch für die Offenbarung des vorliegenden Verses, denn dazu wird berichtet, dass die Frau des Propheten Muhammad, Um Salama, ihn kritisch gefragt haben soll, warum denn nur die Männer im Koran direkt angesprochen würden, woraufhin der Prophet auf seine Kanzel in der Moschee stieg und diesen Vers verkündete. Der Vers spricht explizit Männer und Frauen an und zwar im Kontext ihres gleichen Lohnes im jenseitigen Leben.
Der Vers (33:35) wird in der traditionellen Exegese, stark an seinem Wortlaut orientiert, als Versprechen Gottes an beide Geschlechter verstanden, welches Männern und Frauen unabhängig von ihrem Geschlecht gleichen Lohn im Jenseits garantiert. In diesem Sinne stehen beide Geschlechter ebenbürtig vor Gott. Diese Auslegung hatte allerdings keine Auswirkungen auf die gesellschaftliche Stellung der Frau bzw. auf die Auslegung der koranischen Stellen, welche die gesellschaftliche Stellung der Frau thematisieren. Denn die Exegeten bezogen sie allein auf die eschatologische Dimension.
Die moderne feministische Exegese hingegen bezieht den Vers mithilfe intratextueller Bezüge in eine Gesamtargumentation für die Gleichstellung von Mann und Frau ein: Der Koran mache neben zeitgebundenen gesellschaftlichen auch universale Aussagen, die unabhängig vom gesellschaftlichen Wandel ihre Gültigkeit haben, weil sie diesem Wandel nicht unterliegen, wie es z. B. bei Rollenzuschreibungen oder gesellschaftlichen und sozialen Verordnungen der Fall ist. Diese universalen Aussagen umfassen die essenziell gleichwertige und gleichberechtigte Schöpfung beider Geschlechter, welche zunächst die Grundlage für das Geschlechterverhältnis bietet. Hinzu kommen Aussagen, wie die oben angeführten, die Mann und Frau unabhängig von ihrem Geschlecht den gleichen Lohn zusagen sowie explizit eine Gleichheit der Geschlechter in moralischen Tugenden und rechtgeleitetem Handeln betonen.
Beide Partner sind zudem in einer Beziehung dazu angehalten, sich gegenseitig zu schützen, und wenn der Koran Mann und Frau als gegenseitige moralische Führer charakterisiert, bestärkt er zudem ihre Gleichheit in ihrem moralischen Potenzial. Das Konvolut dieser Aussagen bildet das Fundament für die These, dass Mann und Frau gleich seien, und wird gleichzeitig in den Gesamtgeist bzw. in die Weltanschauung des Textes gestellt: Gleichheit und Gerechtigkeit.
Jede Interpretation des Korans müsse laut der feministischen Exegese diesem universalen Anspruch gerecht werden und mit dieser Weltanschauung kohärent sein. In diesem Sinne versteht sie die dem gesellschaftlichen Wandel unterliegenden Verse, welche dieses Prinzip noch nicht vollends umgesetzt haben, als Anstoß zur Gerechtigkeit: Wenn die Geschlechter vor Gott gleich stehen, sollte dies auch für die Gesellschaft gelten.
Koranische Stellen wie der Vers 35 der 33. Sure geben zudem feministischen Theologinnen Anlass dazu, Themen kontrovers zu diskutieren, die zwar im Koran keine Erwähnung finden, deren Beurteilung aber von Gelehrten durch eine patriarchalische Brille erfolgte, wie die Rolle der Frau als Imamin oder die interreligiöse Ehe mit muslimischen Frauen. Diese Leerräume im Koran werden ebenfalls im Sinne der Gleichberechtigung, wie in Q33:35 dargelegt, interpretiert.