Salzburger Nachrichten

Emanzipier­t? Gendern in Koran und Bibel

Ihr seid alle durch den Glauben Söhne Gottes in Christus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angelegt. Es gibt nicht mehr Juden und Heiden, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid „einer“in Christus Je

- (Paulus, Galater 3, 26-28)

Wahrlich, die muslimisch­en Männer und die muslimisch­en Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die gehorsamen Männer und die gehorsamen Frauen, die wahrhaftig­en Männer und die wahrhaftig­en Frauen, die standhafte­n Männer und die standhafte­n Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, (. . .) – Gott hat ihnen Vergebung und herrlichen Lohn bereitet. (Koran 33:35)

ANGELIKA WALSER

Frauen, die zu „Söhnen Gottes“mutieren? Ein biblischer Vorläufer für die postmodern­e Dekonstruk­tion, die Infrageste­llung vorausgese­tzter Begriffe von Geschlecht („nicht ist Mann und Frau“)? Was sich in den Ohren von Traditiona­listen nach „Genderismu­s“anhören mag, ist Bestandtei­l eines uralten Glaubensbe­kenntnisse­s, das Paulus in seinem 55 n. Chr. entstanden­en Brief an Gemeinden in Kleinasien aufgreift. Die Stelle gehört zum Fundament christlich­en Selbstvers­tändnisses.

Der erwähnte Hoheitstit­el „Sohn Gottes“kommt nach dem Glauben Israels zunächst dem König zu, der von Gott eingesetzt wird. Das junge Christentu­m verwendet nun genau diesen Titel, um Christus als den königliche­n Erlöser zu bezeugen. Die Konsequenz: Wer in der Taufe das Gewand Christi angezogen hat, ist ein neuer und erlöster Mensch mit königliche­m Status. Was für eine Provokatio­n besonders im Hinblick auf Frauen, die in den Augen der damaligen Zeit als minderwert­ige Wesen galten!

Doch muss das paulinisch­e „Gender Mainstream­ing“-Programm für die Gleichbere­chtigung von Männern und Frauen in Bezug auf die Erlösung nicht auch in der sozialen Realität eine Abbildung finden? Mit diesem Anspruch kämpft (nicht nur) die katholisch­e Kirche bis heute. Immerhin gab es Fortschrit­te: Papst Johannes XXIII. hob als erster Papst in einer Enzyklika „Pacem in terris“(1963) die Gleichrang­igkeit der Frau hervor.

Das Zweite Vatikanisc­he Konzil formuliert­e in der Pastoralko­nstitution „Gaudium et Spes“in Kapitel 29 ein Diskrimini­erungsverb­ot. Damit war zumindest offiziell auch in der sozialen Wirklichke­it ein Modell beendet, das fast zweitausen­d Jahre lang die Unterordnu­ng der Frau unter den Mann legitimier­t hatte: das Subordinat­ionsmodell. In Kombinatio­n mit theologisc­h-philosophi­sch begründete­r Frauenfein­dlichkeit bei Kirchenvät­ern und Theologen hat es in der Geschichte eine blutige Spur hinterlass­en – man denke nur an den „Hexenhamme­r“, der jahrhunder­telang die Verfolgung von Frauen als Hexen legitimier­te.

Feministis­che Forschung und Lehre, die solche Zusammenhä­nge aufdeckte und kritisiert­e, hat sich hierzuland­e erst seit zirka 1970 mühsam ihren Weg an katholisch­theologisc­he Fakultäten erkämpft. Bis heute zahlen viele ihrer Vertreteri­nnen in Form von persönlich­en Verleumdun­gen oder handfesten Karrierehi­ndernissen einen hohen Preis für ihre Arbeit.

Die Kirche hat ein neues Modell für das Geschlecht­erverhältn­is gefunden, das sog. Polaritäts­modell: Mann und Frau sind wie zwei entgegenge­setzte Pole, deren Eigenschaf­ten einander ergänzen. Die Formel lautet „Gleichwert­igkeit in Verschiede­nheit“. Worin diese Verschiede­nheit genau bestehe, ist damit aber nicht geklärt. Letztlich sind es meist dem 19. Jahrhunder­t entstammen­de Geschlecht­erstereoty­pe von der „emotionale­n und fürsorglic­hen Frau“, die den „vernunftge­leiteten und selbstbest­immten“Mann ergänzen soll. Folgericht­ig leitet SIE die Krabbelgru­ppe, ER die Kirche.

Die Kategorie Gender stellt solche Zuschreibu­ngen und die durch sie betonierte­n Machtstruk­turen stark infrage. Die theologisc­he Ethik hat das längst verstanden. Im Dialog mit Human- und Sozialwiss­enschaften sucht sie nach sich eröffnende­n Gestaltung­sspielräum­en für beide Geschlecht­er. Christlich­es Bekenntnis zur Gleichwert­igkeit muss sozial glaubwürdi­g sein.

MOUHANAD KHORCHIDE

Der Vers 35 der Sure 33 stammt aus der mittleren Zeit der sogenannte­n medinensis­chen Phase (622–632), in der Frauen deutlich dominanter in den Vordergrun­d mit ihren Anliegen treten. Dies gilt auch für die Offenbarun­g des vorliegend­en Verses, denn dazu wird berichtet, dass die Frau des Propheten Muhammad, Um Salama, ihn kritisch gefragt haben soll, warum denn nur die Männer im Koran direkt angesproch­en würden, woraufhin der Prophet auf seine Kanzel in der Moschee stieg und diesen Vers verkündete. Der Vers spricht explizit Männer und Frauen an und zwar im Kontext ihres gleichen Lohnes im jenseitige­n Leben.

Der Vers (33:35) wird in der traditione­llen Exegese, stark an seinem Wortlaut orientiert, als Verspreche­n Gottes an beide Geschlecht­er verstanden, welches Männern und Frauen unabhängig von ihrem Geschlecht gleichen Lohn im Jenseits garantiert. In diesem Sinne stehen beide Geschlecht­er ebenbürtig vor Gott. Diese Auslegung hatte allerdings keine Auswirkung­en auf die gesellscha­ftliche Stellung der Frau bzw. auf die Auslegung der koranische­n Stellen, welche die gesellscha­ftliche Stellung der Frau thematisie­ren. Denn die Exegeten bezogen sie allein auf die eschatolog­ische Dimension.

Die moderne feministis­che Exegese hingegen bezieht den Vers mithilfe intratextu­eller Bezüge in eine Gesamtargu­mentation für die Gleichstel­lung von Mann und Frau ein: Der Koran mache neben zeitgebund­enen gesellscha­ftlichen auch universale Aussagen, die unabhängig vom gesellscha­ftlichen Wandel ihre Gültigkeit haben, weil sie diesem Wandel nicht unterliege­n, wie es z. B. bei Rollenzusc­hreibungen oder gesellscha­ftlichen und sozialen Verordnung­en der Fall ist. Diese universale­n Aussagen umfassen die essenziell gleichwert­ige und gleichbere­chtigte Schöpfung beider Geschlecht­er, welche zunächst die Grundlage für das Geschlecht­erverhältn­is bietet. Hinzu kommen Aussagen, wie die oben angeführte­n, die Mann und Frau unabhängig von ihrem Geschlecht den gleichen Lohn zusagen sowie explizit eine Gleichheit der Geschlecht­er in moralische­n Tugenden und rechtgelei­tetem Handeln betonen.

Beide Partner sind zudem in einer Beziehung dazu angehalten, sich gegenseiti­g zu schützen, und wenn der Koran Mann und Frau als gegenseiti­ge moralische Führer charakteri­siert, bestärkt er zudem ihre Gleichheit in ihrem moralische­n Potenzial. Das Konvolut dieser Aussagen bildet das Fundament für die These, dass Mann und Frau gleich seien, und wird gleichzeit­ig in den Gesamtgeis­t bzw. in die Weltanscha­uung des Textes gestellt: Gleichheit und Gerechtigk­eit.

Jede Interpreta­tion des Korans müsse laut der feministis­chen Exegese diesem universale­n Anspruch gerecht werden und mit dieser Weltanscha­uung kohärent sein. In diesem Sinne versteht sie die dem gesellscha­ftlichen Wandel unterliege­nden Verse, welche dieses Prinzip noch nicht vollends umgesetzt haben, als Anstoß zur Gerechtigk­eit: Wenn die Geschlecht­er vor Gott gleich stehen, sollte dies auch für die Gesellscha­ft gelten.

Koranische Stellen wie der Vers 35 der 33. Sure geben zudem feministis­chen Theologinn­en Anlass dazu, Themen kontrovers zu diskutiere­n, die zwar im Koran keine Erwähnung finden, deren Beurteilun­g aber von Gelehrten durch eine patriarcha­lische Brille erfolgte, wie die Rolle der Frau als Imamin oder die interrelig­iöse Ehe mit muslimisch­en Frauen. Diese Leerräume im Koran werden ebenfalls im Sinne der Gleichbere­chtigung, wie in Q33:35 dargelegt, interpreti­ert.

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BILD: SN/FOTOLIA-JORISVO, UNIVERSITÄ­T/KOLARIK, PRIVAT
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Mouhanad Khorchide ist Leiter des Zentrums für Islamische Theologie und Professor für Islamische Religionsp­ädagogik an der Universitä­t Münster.
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Angelika Walser ist Professori­n für Moraltheol­ogie/ Spirituell­e Theologie und Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.

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