Die Medien trommeln nur für einen
Mehr als 90 Prozent der türkischen Medien liegen auf Regierungslinie. Die Kandidaten der Opposition müssen sich im Wahlkampf andere Kanäle suchen.
Wer das türkische Staatsfernsehen TRT einschaltet, sieht seit Wochen ein Gesicht: das von Recep Tayyip Erdoğan. Wo immer der Präsident im Wahlkampf auftaucht, sie sind dabei, um ihn möglichst vorteilhaft und lang ins Bild zu setzen. 28 Stunden Sendezeit widmete TRT Erdoğan, seiner Regierungspartei AKP und der mit ihr verbündeten rechtsextremistischen MHP im Mai. Erdoğans fünf Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl und die sechs Oppositionsparteien kamen zusammen auf zwei Stunden und neun Minuten.
Nicht nur der Staatssender TRT rührt für Erdoğan die Werbetrommel. Auch die großen Privatsender, die inzwischen ausnahmslos von regierungsnahen Unternehmern kontrolliert werden, setzen den Staatschef so gut wie möglich ins Bild. Zwischen 1. und 25. Mai widmeten die beiden großen Nachrichtenkanäle NTV und CNN Türk Erdoğan 70 Stunden Sendezeit, seinem wichtigsten Konkurrenten Muharrem Ince aber nur 22 Stunden. Kandidatin Meral Akşener wurde mit 17 Minuten abgespeist, die Kurdenpartei HDP kam gar nicht vor.
„97 Prozent der Medien sind auf Regierungslinie“, sagt Aydin Engin. Der 77-jährige Autor, Regisseur und Journalist war zeitweilig kommissarischer Chefredakteur der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, nachdem der reguläre Redaktionsleiter, der Verlagschef und mehrere Redakteure verhaftet worden waren. Im Oktober 2016 wurde auch Aydin Engin festgenommen, aber der Haftrichter ließ ihn wegen seines hohen Alters wieder frei. Im Verfahren gegen 14 „Cumhuriyet“-Mitarbeiter verurteilte das Gericht Engin im April wegen „Terrorvorwürfen“zu siebeneinhalb Jahren Haft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Über 150 Journalisten sitzen derzeit in der Türkei in Haft, 189 Medienunternehmen ließ Erdoğan nach dem Putschversuch vom Juli 2016 per Dekret schließen. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RoG) liegt die Türkei unter 180 Staaten auf Platz 157, noch hinter Russland, Ruanda und Venezuela. Erol Önderoğlu, TürkeiChef von RoG: „Was wir in der Türkei erleben, ist eine des Journalismus.“
Die „Cumhuriyet“ist die letzte große Tageszeitung der Türkei, die sich nicht von der Regierung gängeln lässt. Aber der Druck wächst, wie die Prozesse gegen Redakteure und Verlagsmitarbeiter zeigen. Liquidierung
Im März wechselte die größte türkische Mediengruppe den Besitzer: Aydin Dogan verkaufte sein TVund Zeitungsimperium an die Erdoğan-nahe Demirören-Gruppe. Der Konzern, der im Bau- und Energiesektor tätig ist, kontrolliert nun 70 Prozent der türkischen Medien. Auch früher halbwegs objektiv berichtende Medien wie die Zeitungen „Hürriyet“und „Posta“sowie die TV-Sender CNN Türk und Kanal D sind nun auf Regierungslinie.
Die Oppositionsparteien versuchen dennoch, sich Gehör zu verschaffen, vor allem über Soziale Netzwerke. Der Kurdenpolitiker Selahattin Demirtaş, der wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft sitzt, veranstaltete aus seiner Zelle eine Twitter-Pressekonferenz.
„Wer hat ein Smartphone?“, rief der Oppositionskandidat Muharrem Ince kürzlich bei einer Kundgebung. Viele Arme reckten sich nach oben. „Dann fangt jetzt alle an zu streamen!“, rief Ince. „Es gibt Regierungsmedien, aber es gibt auch die Medien des Volks!“