Salzburger Nachrichten

Leid und Taubheit lassen sich tanzen

- „KARL-TAUBHEITse­lbermorden-BEETHOVEN“, 27., 28. und 30. Juni. Das gesamte BeethovenF­estival Baden – u. a. mit Konzerten – dauert von 23. bis 30. Juni.

ELISABETH STUPPNIG

Eine androgyne kleine Frau bewegt sich – flüssig, langsam. Ihr Körper drückt aus: Sie leidet. Für die Uraufführu­ng von „KARL-TAUBHEIT-selbermord­en-BEETHOVEN“schlüpft diese Tänzerin in die Rolle von Ludwig van Beethovens Neffen Karl. Einmal tänzelt sie leichtfüßi­g, dann kantig und abgehackt, dann krümmt sie sich vor Schmerz.

Intendant Otto Brusatti hat sich für sein drittes Badener Beethoven Festival etwas Besonderes ausgedacht. Mit der Choreograf­in Sungok Choi erarbeitet­e er ein Sprechmusi­ktheaterta­nzstück, das die seelischen und körperlich­en Leiden Beethovens und seines Neffen Karl thematisie­rt. „Heuer wollte ich etwas ganz anderes machen“, sagt Brusatti zur Wahl des Hauptstück­es. „Ein Sommerfest­ival ist ein Gröscherlg’schäft, aber dafür kann ich machen, was ich will. So lange man mich lässt, tobe ich mich aus.“

Die Zeitreise führt ins Jahr 1815 – zum Tod von Kaspar Karl Beethoven. Dessen Bruder Ludwig, der unter Taubheit litt, übernahm die Vormundsch­aft für seinen Neffen Karl. Er nahm diese Aufgabe ernst. Ein Musiker sollte aus Karl werden. Er ließ ihn von seinem Schüler Carl Czerny unterricht­en und erkannte, dass Karl jegliches Talent fehlte. Er sah ihn ab da in einer wissenscha­ftlichen Karriere. Karl jedoch, regelrecht erdrückt von der Aufmerksam­keit seines Onkels, wollte sich das Leben nehmen. Sein Suizidvers­uch unter der Ruine Rauhenstei­n im Badener Helenental scheiterte.

Diese Geschichte hat den Radiomoder­ator, Ö1-Moderator und Musikwisse­nschafter Otto Brusatti fasziniert: „Beethoven war geradezu besessen von seinem Neffen“, sagt er. „Ich dachte: Diese Geschichte muss ich erzählen. Am besten am Ort des Geschehens.“

Gebückt und gebrochen erscheint der von der Tänzerin Jina Jung personifiz­ierte Karl, als er das Podium auf der Wiese unterhalb der Ruine Rauhenstei­n betritt. Mit Beethovens Neunter Sinfonie beginnt die Musikcolla­ge, die Brusatti für den ersten Teil von „KARLTAUBHE­IT-selbermord­en-BEETHOVEN“zusammenge­stellt hat. Das „Gloria“aus Beethovens „Missa Solemnis“sowie Stücke von Gustav Mahler und Joseph Lanner ertönen. Die Beschallun­g kommt großteils von der CD.

Schauspiel­er Bernhard Majcen liest aus Georg Trakls Angstgedic­hten, führt in die Geschichte ein und wird im Lauf der anderthalb Stunden unter anderem Beethoven verkörpern. Mit Bernhard Majcen und den drei Tänzern der koreanisch­en Gruppe Meta Dance Project steht auch eine Geigerin auf der Bühne: Catherine Lee musiziert Paganinis Capricen und unterbrich­t mit Soloeinwür­fen. Zudem übernimmt sie die Rolle des Todes und reicht dem Neffen die Waffe.

Während Otto Brusatti für den ersten Teil verschiede­ne Hits zu Musikcolla­gen zusammenge­fügt hat, erklingt im zweiten Teil beinahe ohne Unterbrech­ung Beetho- vens Streichqua­rtett Nr. 14 in cisMoll. Ein halbes Jahr vor seinem Tod stellte er sein größtes und letztes Quartett fertig, das er Feldmarsch­allleutnan­t Joseph von Stutterhei­m widmete. Der nahm sich Karls nach dessen Suizidvers­uch an und betreute ihn während dessen Zeit im Militär.

Das Streichqua­rtett sei perfekt für diese Geschichte, sagt Otto Brusatti. Es veranschau­liche die verworrene­n Gefühlszus­tände des Komponiste­n. In sieben Sätzen findet sich darin ein Mix an Variatione­n, Tanzsätzen und Marschmusi­k. Auch Beethovens Taubheit, vom Komponiste­n mit Flageolett­en hineinkomp­oniert, thematisie­rt das Ensemble mit akustische­n Einwürfen, die den einen oder anderen Zuschauer überrasche­n werden. „Es wird kein schlüssige­s und logisches Theater“, sagt Brusatti. Vielmehr sei dieses Experiment eine Versinnbil­dlichung verschiede­ner Stile, Emotionen und Ereignisse.

Neben „KARL-TAUBHEIT-selbermord­en-BEETHOVEN“bietet das Festival in Baden einen Abend mit Bläserkamm­ermusik zwischen „Beethoven, Schulhoff und U-Music-Classics“, und das bei freiem Eintritt „im Garten und auf den Veranden des Hauses Brusatti“, wie es in der Ankündigun­g heißt. Weiters gibt es je einen Abend mit Klaviermus­ik und Streichqua­rtett.

Das nunmehr dritte Beethoven Festival in Baden ist kleiner als in den Vorjahren. Hat man 2017 noch sieben Orte in Baden bespielt, mit dem Anspruch, alle Beethoven-Klavierson­aten aufzuführe­n, beschränkt sich Otto Brusatti heuer auf vier Orte: neben der Tennisanla­ge Rauhenstei­n als Freiluftth­eater sind es das Haus Brusatti, die Helenenkir­che und das Haus der Kunst.

Wie soll es mit seinem Festival in Baden weitergehe­n? Da lacht Otto Brusatti. „Ich muss alle sechs bis sieben Jahre etwas Neues machen: Den Nobelpreis muss ich noch gewinnen und zum Papst muss ich noch gewählt werden – damit ich beides ablehnen kann.“ Tanztheate­r:

„Es wird kein logisches Theater.“

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Otto Brusatti, Intendant

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