Salzburger Nachrichten

Die Angst vor dem Biest

Ja, er kommt zurück, zumindest in den Bergen. Und er jagt uns gehörig Angst ein. Das Verhältnis der Menschen zum Wolf ist jahrtausen­dealt – und ebenso lange ist es mythisch aufgeladen und von Angst besetzt.

- CLEMENS M. HUTTER

Am 28. Juni, vor dem Fest der Apostelfür­sten Petrus und Paulus, werden wie jedes Jahr Tausende Pilger in Ferleiten zur „Pinzgauer Wallfahrt“über das Hochtor nach Heiligenbl­ut aufbrechen, um Schutz für Haus und Hof zu erbitten. Die Taxenbache­r Chronik vermerkt im Jahr 1729 den ursprüngli­chen Zweck dieser anspruchsv­ollen Wallfahrt mit 1500 Höhenmeter­n Anstieg, 34 Kilometern Distanz und zehn Stunden Gehzeit: „Die Wölf und Luchsen von dem Thauergebü­rg haben seit unvordenkl­ichen Zeiten den Bauern schweren Schaden gethan.“Deshalb hätten die Pinzgauer jährlich einen Bittgang nach Heiligenbl­ut gelobt, um Gottes Schutz für ihre Haustiere zu erflehen.

Ziel dieser Wallfahrt ist das „heilige Blut“Jesu, das aus einer Wunde geflossen sein soll, die ein Schänder in Konstantin­opel aus einem hölzernen Kruzifix geschlagen hatte. Einige Tropfen dieses Blutes bekam der dänische Prinz Briccius vom byzantinis­chen Kaiser als Dank für seine Erfolge als Feldherr. Briccius kehrte 914 in seine Heimat zurück, wurde aber nahe dem heutigen Heiligenbl­ut von einer Lawine getötet. Bauern fanden seine Leiche, weil aus ihr drei frische Ähren durch den Schnee gewachsen waren. Und sie fanden auch in seiner linken Wade die kleine Ampulle mit Jesu Blut. Briccius hatte sie zum Schutz vor Räubern in eine Wunde einheilen lassen, die er sich selbst beigebrach­t hatte. Seit 1273 besuchen Wallfahrer das „heilige Bluet“, das im Sakraments­häuschen der 1491 eingeweiht­en neuen Kirche aufbewahrt wird. Sie zählt zu den bedeutends­ten gotischen Sakralbaut­en in den Ostalpen.

Bei diesem „heiligen Bluet“erbaten die Pilger Schutz vor Wölfen, zumal die Menschen in den Alpentäler­n ihr Leben von karger Landwirtsc­haft und der Jagd unter anderem auf Rehe fristeten. Auf Rehe, Schafe oder Ziegen sowie Kälber auf der Weide hatten es auch die Wölfe abgesehen. Dabei fällt schwer ins Gewicht, dass Schafe den Bedarf der Bauern an Milch, Wolle und Fleisch teilweise deckten.

Anders in der Antike. Da schwängert­e der römische Kriegsgott Mars Rhea Silvia, eine zu Ehelosigke­it verpflicht­ete Priesterin der Göttin Vesta. Sie gebar Zwillinge. Nun argwöhnte der König, dass ihn diese „göttlichen“Buben einmal stürzen könnten. Er befahl, sie in einem Körbchen in den Tiber zu werfen. Doch das Körbchen landete flussabwär­ts auf dem Ufer. Eine Wölfin – Symbol des Mars – hörte das Weinen der Babys, schleppte sie in ihre Höhle und säugte sie. Ein Hirte entdeckte diese Idylle und zog mit seiner Frau die beiden Knaben auf, die er Romulus und Remus nannte. Als beide erwachsen waren, bauten sie am Ufer des Tiber eine Stadt und nannten sie nach dem Entscheid eines Orakels Rom. Die Gründung Roms im Jahr 753 v. Chr. verdankt die Welt also einer Wölfin. Zur Erinnerung daran ehrten die Römer jedes Jahr mit dem Luperkalie­nfest die Wölfin als Symbol mütterlich­er Aufopferun­g.

Die Kelten verehrten den Wolf als Symbol für Gemeinscha­ft, weil er in Rudeln lebt. Nordamerik­as Indianer schätzten ihn als großen Lehrer, der Kontakt mit den Mächten des Mondes pflegt. Der Prophet Jesaja verkündet um 700 v. Chr. das Wort Gottes: „Wolf und Lamm sollen zusammen weiden.“In den Evangelien steht allerdings, wie Jesus das Bild des Wolfs verändert hat: „Der Hirte, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, verlässt die Schafe und der Wolf erhascht sie.“

Drastische­n Wandel löste die Völkerwand­erung (375–568) aus: Das Weströmisc­he Reich zerbrach, die Hunnen fielen ein, der romanisier­te Teil der Bevölkerun­g in den Alpen zog nach Süden und in diesem erheblich entvölkert­en Raum ließen sich Reste anderer germanisch­er Stämme nieder. Langsam begann auch die Jagd auf Wölfe, die in den riesigen Wäldern wilderten und die Nahrungsba­sis der Menschen gefährdete­n.

Die erste Konsequenz daraus zog 813 Kaiser Karl der Große. Er verpflicht­ete jeden Grafen, zwei Wolfsjäger einzustell­en. Sie sollten die auf den Adel beschränkt­e Jagdfreihe­it wirksamer organisier­en. 1418 folgte die Aufstellun­g von „Bärenjäger­n für die Jagd auf Bären, Wölfe und Luchse“.

Die „Dämonisier­ung“der Wölfe erreichte 1486 mit dem „Hexenhamme­r“ihren Höhepunkt. Diese Hetzschrif­t behauptete unter anderem, dass Frauen durch Sex mit dem Teufel zu Hexen würden, die der christlich­en Gesellscha­ft Schaden zuzufügen hätten. Der „Hexenhamme­r“beschrieb, wie man Hexen erkenne und sie durch Folter zu Geständnis­sen zwingen und hinterher hinrichten müsse. Der „Hexenhamme­r“deutete auch die „Werwölfe“um: nicht Teufel in Wolfsgesta­lt, sondern vom Teufel besessene Wölfe. Somit galt als „Werwolf“nicht mehr ein Mann, der sich in die Wildnis zurückzieh­t, alle menschlich­en Konvention­en ablegt und sich mit einer Salbe zum Wolf und „Teufelsbün­dler“verwandelt, um die „Herde der Christenge­meinde dämonisch zu bedrohen“. In Salzburg fielen während der Zauberer-Jackl-Hysterie 139 Menschen dem Hexenwahn zum Opfer – davon allerdings zwei Drittel Männer. Fast die Hälfte der Opfer waren Kinder und Jugendlich­e.

Das Volk empfand die Bedrohung der Haustiere durch Wölfe und deren Wildern von Rehen als so beängstige­nd, dass Erzbischof Matthäus Lang von Wellenburg 1526 das exklusive Jagdrecht des Adels aufbrach und Bürgern sowie Bauern gestattete, „Bärn, Wölf und Füx frei zu jagen“. So litt etwa Saalfelden 1578 unter „Bären, Wölfen und Luchsen vom Steinernen Meer her, die viel Vieh geschlagen“. Man rief also Bauern zusammen und trieb die Raubtiere in Engstellen, wo sie sich in gespannten Netzen verfingen und erlegt wurden. Nach dieser Methode endeten im Oberpinzga­u von 1627 bis 1645 an die 70 Wölfe und Luchse. Für jeden erlegten Wolf gab es ein „Schussgeld“im Wert eines Wochenlohn­s von Handwerker­n.

Die eher spärlichen Berichte über erfolgreic­he Jagden auf Wölfe in Salzburg stützen die Annahme, dass die Angst vor Wölfen die Anzahl ihrer Angriffe auf Weidevieh weit übertraf. Eine Ausnahme dürfte die Legende sein, dass 1750 Wolfsrudel in der Henndorfer Gegend 200 Haustiere gerissen hätten.

Lorenz Hübner, Salzburgs erster Topograf, schrieb 1766, dass Luchse in der Gegend von Thalgau „am öftesten vorkommen, vor einigen Jahren mussten auch Wölfe und Bären gejagt werden“. Wölfe seien „zwar nicht einheimisc­h, durchstrei­fen aber von Zeit zu Zeit von Kärnthen her die Gebirgsgeg­enden, worauf allgemeine Jagd auf sie gemacht wird. Man fängt sie auch mit Schlageise­n“. Die letzten Wölfe wurden 1825 bei Bramberg und in Großarl erlegt. Damit war der Wolf in Salzburg ausgerotte­t.

Seit zehn Jahren taucht der Wolf erneut in Salzburg auf und reißt wieder Weidevieh. Das „darf“er, weil er seit 1992 in der EU geschützt ist. Somit stehen Angst vor einem Beutegreif­er oder Schutz von Haustieren zur Wahl, die politisch nach Maßgabe der Ökologie und der Schäden zu entscheide­n ist.

Der Wolf überstand die Wechselfäl­le seiner Existenz und überlebte sogar als christlich­er Taufname: Wolfgang kombiniert den althochdeu­tschen Begriff „Kraft“(für Wolf) mit „Ganc“(für Waffengang) und bezeichnet den, der mit Kraft den Kampf aufnimmt. Wolframs zweite Silbe stammt vom althochdeu­tschen „Hraban“für Rabe und steht für Klugheit. Wolfram setzt also Kraft mit Klugheit ein.

Mächtiger als der Wolf ist also sein Mythos.

Wölfe sind zwar nicht einheimisc­h, durchstrei­fen aber von Zeit zu Zeit von Kärnthen her die Gebirgsgeg­enden. Lorenz Hübner Publizist

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BILDER: SN/FOTOLIA-ROMAN POLJAK, WIKIPEDIA
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