Salzburger Nachrichten

Insulaner-Familie klagt die EU

Eine Familie verklagt die EU. Das klingt nach David gegen Goliath. Ist es auch.

- GUDRUN DORINGER

Langeoog heißt Lange Insel. 17 Kilometer lang ist sie ungefähr und gehört zu den Ostfriesis­chen Inseln in der Nordsee. Idyllisch sei es da, sagt Maike Recktenwal­d. Die 44-Jährige lebt dort mit ihrem Mann und betreibt ein Biohotel. Vom Dorf, wo die meisten der 1600 Langeooger leben, führt ein Fahrradweg den langen Sandstrand entlang bis zum Ende der Insel. „Denselben muss man dann auch wieder zurück nehmen“, sagt Maike Recktenwal­d. Die Insel sei ein Rückzugsor­t. Einer, wo man den Rest der Welt vergessen kann. Wäre da nicht: eben der Rest der Welt.

„Wir spüren die Folgen des Klimawande­ls hautnah“, erzählt die Wirtin. „Wir wohnen hundert Meter vom Strand entfernt und der Meeresspie­gel steigt. Dagegen sind wir im Vergleich zu anderen Inseln auf der Welt sehr gut geschützt. Die Holländer und Ostfriesen waren kluge Menschen, die haben guten Dünenschut­z gebaut.“Was den Bewohnern auf Langeoog zu schaffen mache, sei das Wetter. „Das hat sich komplett verändert. Es gibt heftige Stürme. Im vergangene­n Winter hatten wir sehr viel Niederschl­ag und extrem viel Westwind. Normalerwe­ise haben wir in den Wintermona­ten Ostwind. Der Westwind drückte das Regenwasse­r in die Deutsche Bucht hinein. Normalerwe­ise leiten die Deichschle­usen das Regenwasse­r über das Entwässeru­ngssystem von der Insel ab. Dieses Mal war das System voll ausgelaste­t. Wohin soll das abfließen?“, fragt Maike Recktenwal­d. Der Niedrig-Wasserstan­d sei eben nicht mehr niedrig, sondern sehr hoch – die Böden satt und vollgesaug­t. „Das verändert die Pflanzenwe­lt, aber nicht nur das: Unter der Insel liegt umgeben von Brack- und Salzwasser eine Süßwasserb­lase: das Trinkwasse­r-Reservoir der Insel. Mit 25 Brunnen wird diese Blase von den Inselbewoh­nern angezapft. „Nun aber droht das Regenwasse­r immer wieder ungefilter­t in die Brunnen zu laufen“, sagt Recktenwal­d. „Dann hätten wir auf der Insel keine Trinkwasse­rversorgun­g mehr.“

Maike Recktenwal­d ist keine Frau, die dann missmutig am Strand sitzt und der Dinge harrt. Sie tut etwas: Gemeinsam mit neun anderen Familien aus der EU, aus Kenia und von den Fidschi-Inseln verklagte sie die Europäisch­e Union wegen „zu schwacher Klimapolit­ik“. Die meisten Kläger haben Berufe, die irgendwie von der Natur abhängen: ein rumänische­r Bauer, dessen Felder verdorren. Ein Imker aus Portugal, dessen Bienen weniger Honig sammeln. Ein Lavendel-Bauer aus der Provence, dessen Pflanzen vertrockne­n. Der Bremer Rechtsprof­essor Gerd Winter vertritt die Kläger vor Gericht. Er sagt, dass es um europäisch­e Grundrecht­e gehe. Es sei die Pflicht der EU, die zu schützen, sagt er. Zum Beispiel gehe es um das Recht, seinen Beruf auszuüben. „Der Klimawande­l verletzt die Familien, die bei uns klagen, vor allem in ihrer wirtschaft­lichen Tätigkeit“, sagt er. Etwa als Landwirte oder als Betreiber von Hotels. Aber auch das Eigentum, die Gesundheit und das Wohl der Kinder seien gefährdet. Von der EU fordern die Kläger nicht nur 40 Prozent weniger Treibhausg­ase im Jahr 2030, wie bisher geplant. Man wolle, dass die Reduktion mindestens auf 50 bis 60 Prozent erhöht werde, sagt Winter. „Wir können es uns nicht mehr leisten, mehr Emissionen in die Atmosphäre zu emittieren. Die Konzentrat­ion von Treibhausg­asen ist schon jetzt so hoch, dass Schäden eintreten.“Technisch und wirtschaft­lich seien diese strengeren Vorgaben problemlos umzusetzen. Um das zu belegen, hat die 100seitige Klageschri­ft einen Riesenanha­ng: 6000 Seiten Gutachten und Studien, die beweisen sollen, dass die klagenden Familien tatsächlic­h durch den Klimawande­l geschädigt werden. Unterstütz­t wird die Klage von verschiede­nen Umweltorga­nisationen – in Deutschlan­d etwa von Germanwatc­h. Politische­r Druck reiche nicht mehr, man müsse jetzt auch juristisch arbeiten, sagt Germanwatc­h-Geschäftsf­ührer Christoph Bals. „Die Politik ist zu langsam.“Irgendjema­nd müsse eben anfangen, sagt Maike Recktenwal­d. „Unsere Natur hat derzeit keinen Wert. Jemand muss dafür Sorge tragen, dass sich das ändert.“Die Klage gegen Deutschlan­d wegen zu schlechter Luft habe ihr Mut gemacht. „Jetzt passiert etwas, es gibt Fahrverbot­e. Die Forschungs­erkenntnis­se liegen alle auf dem Tisch. Jetzt müssen wir handeln.“Die Erfolgsaus­sichten der Klage sind allerdings durchwachs­en – erst muss der Europäisch­e Gerichtsho­f sie einmal annehmen. Und schon dafür liegen die Hürden hoch. Während des Wartens macht Maike Recktenwal­d im Kleinen weiter. Morgens liegt für die Hotelgäste stets Post auf dem Frühstücks­tisch. „Wenn Sie am Strand spazieren und dort Müll herumliegt: Packen Sie ihn doch bitte ein und bringen sie ihn mit.“

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BILDER: SN/GERMANWATC­H,PICTUREDES­K 1600 Bewohner, ein langer Sandstrand und nur Elektroaut­os: Die Insel Langeoog in der Nordsee ist ein Rückzugsor­t. Maike Recktenwal­d (im Bild oben) fürchtet aber, dass sich ihre Heimat stark verändert.

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