Steine, Stämme und Kerle im Kilt
Färöer-Inseln. Hoch im Norden dreht sich alles um Schafe, Fische und Rhabarber.
Die Sommerhitze hat in Mitteleuropa Einzug gehalten. Die FäröerInseln hingegen, auf halbem Wege zum Polarkreis, führen an einem einzigen Tag das abwechslungsreiche nordische Wetter vor: morgens Sonne, dann Regenschauer, mittags urplötzlich Nebelschwaden – und dann geht alles wieder von vorn los. Bestand hat nur die „hochsommerliche“Temperatur: Die liegt auch im Juli und August bei rund 13 Grad, dank des Golfstroms, der die 18 Inseln umspült. Hartgesottene lädt der Atlantik mit maximal elf Grad zum Baden ein. Zum Ausgleich jedoch sind die Inseln mit sattem Grün bewachsen. Zwar gibt es weder Baum noch Strauch, dafür sind die Berghänge und Täler mit 80.000 Schafen gesprenkelt. Kein Wunder also, dass die Färöer landläufig auch „Schafsinseln“genannt werden.
Anna und Óli Rubeksen sind Schafzüchter aus Passion. Auf ihrem Hof in Velbastaður unweit der Hauptstadt Tórshavn halten sie auf 200 Hektar Weideland 150 Mutterschafe. „Die Tiere sind unser Leben. Sie gehören seit Wikingerzeiten zu den Färöern wie Berge und Meer“, meint der 59-jährige Óli. Gemeinsam mit seiner Ehefrau tischt er ein fünfgängiges färingisches Menü auf mit allem, was Hof, Garten und Meer Schmackhaftes bieten. Denn Anna und Óli haben das Kochen vom Hobby zu einer Überraschung gemacht: Seit vier Jahren laden sie Besuchergruppen zu „Heimablídni“ein – Gastfreundschaft in der heimischen Küche. Da gibt es Fisch und Lammfleisch in allen Varianten und mit heimischen Kräutern. Als Beilage Kartoffeln. Die einzige Feldfrucht, die in diesem rauen Klima gedeiht. Und natürlich Rhabarber, der auf den färingischen Küchentischen als Kompott, Marmelade und Suppe aufgetragen wird. Dazu Rhabarberwein oder die Färöer-Spezialität Bier mit Rhabarber und Engelwurz. „Unser Traum war, Gästen aus der weiten Welt unser Zuhause zu zeigen, sie auf färingische Art zu bewirten, unsere Lebensweise zu veranschaulichen“, fasst Anna zusammen.
Doch nun auf zu einer Wandertour. Auf einem steinigen, mitunter glitschigen Pfad geht es über einen Bergrücken mit dünner Grasnarbe gen Kirkjubøur auf der Insel Streymoy. Immer wieder legt sich der Blick auf kleine Seen, Wasserfälle, Fjorde und Inselchen. Steinpyramiden in Sichtweite sichern seit alters den Weg bei Nebel. Ein intaktes Straßennetz mit Tunneln und Brücken war auf den Färöer-Inseln vor hundert Jahren noch undenkbar.
Elin Hentze, alteingesessene Färingerin, führt durch das hübsche Kirkjubøur mit seinen gerade einmal 80 Bewohnern: Holzhäuser mit grasbewachsenen Dächern, Schafe, Hütehunde und Färöerponys links und rechts des Weges. Und dann geht es zu den drei Sehenswürdigkeiten, die das Städtchen bekannt gemacht haben. Dicht am Meer liegt die schlichte Olavskirche aus dem Jahre 1111, umgebaut 1874, die älteste Dorfkirche der Inselgruppe. Darüber thront als Ruine die Magnuskathedrale, entstanden um 1300. Ob sie je fertiggestellt wurde, bleibt ein Rätsel. Kirkjubøur war einst geistig-kulturelles Zentrum der Färöer, wo bis zur Reformation immerhin 34 Bischöfe residierten.
Dicht neben Olavskirche und Kathedrale thront der „Königsbauernhof“aus dem 12. Jahrhundert als Teil des einstigen Bischofssitzes, mit landestypischen Grassoden gedeckt, mit schwarzem Anstrich und rotbunten Fensterrahmen. Er soll das älteste noch bewohnte Holzhaus Europas sein. In beachtlicher 17. Generation residiert hier die Familie Patursson und präsentiert stolz die „Rauchstube“– jetzt ein kleines Museum mit Haushaltsgeräten und Werkzeugen aus längst vergangenen Zeiten, wo einst gekocht, gefeiert und getanzt wurde. Der Rauch des Holzfeuers zog durch eine Öffnung im Dach ab. So war es warm und heimelig, auch zum abendlichen Geschichtenerzählen.
Doch was wäre ein Färöer-Trip, ohne Tórshavn, einer der kleinsten Hauptstädte der Welt, einen Besuch abzustatten? Fast die Hälfte der 50.000 Färinger lebt hier, in der Fußgängermeile, die zum Hafen führt, liegen dicht an dicht Restaurants und Cafés, Andenkenläden und Boutiquen mit den beliebten färöischen Wollstrickwaren. Und dann das schlichte Holzhaus des Parlaments. Beeindruckend. Vor allem wegen des winzigen Raums für die 33 Abgeordneten.
Auf dem Weg ins Regierungsviertel – die Färöer-Inseln sind wie Grönland ein autonomes Gebiet Dänemarks mit Selbstverwaltung – geht es durch die romantischen Gässchen der Landzunge Tinganes. Anstelle von Bars und Kneipen reihen sich dort altehrwürdige Holzhäuschen wie in einem Freilichtmuseum aneinander. Wäsche flattert auf Leinen in engen Höfen; Blumenkübel zieren die Hauseingänge. Dann kommt der Amtssitz des Ministerpräsidenten in Sicht – ein rotbraun gestrichenes historisches Lagerhaus aus dem 18. Jahrhundert. Schlicht, aber oho, denn der Premier – färöisch Løgmaður und übersetzt „Gesetzesmann“– blickt aus dem Fenster der Amtsstube gleich auf die nahe Hafenbucht und über ein weites Stück seiner Heimat.