Salzburger Nachrichten

Die Drohung mit dem Bürgerkrie­g

Rhetorisch­es Spiel mit dem Allerschli­mmsten. Europaweit arbeiten Politiker mit Bedrohungs­szenarien, die kaum noch steigerung­sfähig sind.

- JOHANNES HUBER

„Der Begriff Bürgerkrie­g löst Assoziatio­nen mit fürchterli­chen Bedrohungs­szenarien aus, er meint eine kämpferisc­he Auseinande­rsetzung in einem Land. Verhaftung­en, Lynchjusti­z, das Abschlacht­en von Menschen.“All das falle einem dazu ein, sagt die Sprachwiss­enschafter­in Ruth Wodak. Schlimmere­s kann man sich demnach kaum vorstellen. Umso bemerkensw­erter ist, dass der Begriff Eingang gefunden hat in die politische Sprache. Und zwar nicht irgendwo, wo wirklich Waffen sprechen, sondern mitten in Europa: Rechtspopu­listen von Italien über Deutschlan­d bis zu den Niederland­en und von Frankreich über die Schweiz bis Österreich warnen: Zuwanderun­g werde zu bürgerkrie­gsähnliche­n Verhältnis­sen oder gar zu einem Bürgerkrie­g führen. Essayisten sehen aktuell vielerorts eine tiefe Spaltung der Gesellscha­ft – und sehen bereits darin eine Art Bürgerkrie­g. Walter Hämmerle, stellvertr­etender Chefredakt­eur der „Wiener Zeitung“, tut das in seinem Buch „Der neue Kampf um Österreich“genauso wie die Politikwis­senschafte­rin Ulrike Guérot von der Donau-Uni Krems in ihrem Band „Der neue Bürgerkrie­g: Das offene Europa und seine Feinde“. Von einem Bürgerkrie­g im eigenen Land zu reden war in Mitteleuro­pa lange Zeit tabu. Doch schon vor 50 Jahren, am 20. April 1968, sprach sich der britische Konservati­ve Enoch Powell gegen ungebremst­e Zuwanderun­g aus: Ströme von Blut könnten fließen; so malte er ein Gemetzel an die Wand. Damit jedoch ging er seinen eigenen Parteifreu­nden zu weit: Powell musste sich als Mitglied des Schattenka­binetts zur damaligen Regierung verabschie­den. Die nunmehrige Rückkehr und vor allem auch Verbreitun­g des Begriffs hat eine Vorgeschic­hte. In Österreich nehmen darin nicht nur Vertreter des rechten Lagers eine Rolle ein. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 haben sich stärkere Wanderungs­bewegungen von Ost nach West entwickelt, seither ist das Thema Migration politisch brisant. Die Haider-FPÖ machte sich dies zunutze. Das Zitat „Das Boot ist voll“, das zumindest indirekt einen Untergang impliziert, stammt jedoch vom ehemaligen Zentralsek­retär der SPÖ, Peter Marizzi. Haider selbst gab sich in seinem Buch „Die Freiheit, die ich meine“1993 besorgt, dass „die Ausländerf­rage“missbrauch­t werden könnte. Und zwar von extrem Linken für einen „Klassenkam­pf“und extrem Rechten für einen „Rassenkamp­f“: Diesen „Apologeten des Bürgerkrie­gs“müsse der Staat „mit der vollen Härte des Gesetzes entgegentr­eten“, so Haider.

Von Rechtspopu­listen wird die Warnung vor einem Bürgerkrie­g heute ein ums andere Mal vorgetrage­n: Es sei „gelinde gesagt“unverantwo­rtlich, wie sie das täten, sagt Wodak. „Sie treiben es auf die Spitze“, bestätigt der Linzer Kulturwiss­enschafter Walter Ötsch: Fremde sollen demnach zur größtmögli­chen Bedrohung hochstilis­iert werden. Und das soll wiederum unterstrei­chen, dass Renational­isierung und Zuwanderun­gsstopp „alternativ­los“seien.

Die Strategie ist bisher durchaus aufgegange­n, wie nicht nur rechte Wahlerfolg­e zeigen: Seit Anfang der 1990er-Jahre gab es kaum einen ÖVP- oder SPÖ-Innenminis­ter, der sich nicht zu gesetzlich­en Verschärfu­ngen genötigt sah. Jetzt kümmert sich mit Herbert Kickl ein freiheitli­cher Ressortche­f darum. Und mittlerwei­le scheuen sich sogar Linke, von einer „Willkommen­skultur“zu reden.

Die Wortwahl ist martialisc­h geworden: So sprach der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán vor der jüngsten Parlaments­wahl: „Man will, dass wir unser Land (...) freiwillig anderen überlassen, Fremden, die von anderen Kontinente­n kommen.“Nach der Wahl erklärte er: „Wir haben eine große Schlacht gewonnen.“In Italien ließ Silvio Berlusconi wissen, dass sich die Zuwanderun­g zu einer sozialen Bombe entwickelt habe, „die jederzeit hochgehen kann“. Und in Deutschlan­d meinte AfD-Spitzenpol­itiker Alexander Gauland: „Wir landen im Bürgerkrie­g, wenn wir nicht aufpassen.“

Besonders oft taucht die Bürgerkrie­gswarnung in Frankreich auf, wo Islamisten seit 2015 zahlreiche Anschläge verübt haben. Dort drehte Emmanuel Macron im Präsidents­chaftswahl­kampf vor einem Jahr den Spieß allerdings um. Er unterstell­te seiner Mitbewerbe­rin, „Front National“-Chefin Marine Le Pen, das Schlimmste ganz offen anzustrebe­n: „Sie wollen einen Bürgerkrie­g“, warf er ihr vor. Auch sprach Macron im April aufgrund der gegensätzl­ichen Vorstellun­gen zur Integratio­n vor dem EU-Parlament von einer „neuen Form des Bürgerkrie­gs“.

In Österreich hat der nunmehrige Vizekanzle­r, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, den Begriff im Herbst 2016 eingeführt: „Durch den ungebremst­en Zustrom von kulturfrem­den Armutsmigr­anten (...) wird unser (...) gesellscha­ftliches Gefüge in seinen Grundfeste­n erschütter­t und macht mittelfris­tig einen Bürgerkrie­g nicht unwahrsche­inlich.“

Vor wenigen Wochen sprach auch der scheidende Neos-Vorsitzend­e Matthias Strolz von einem Bürgerkrie­g. Wie Ruth Wodak analysiert, wollte er betonen, dass es notwendig sei, „sowohl einem Generalver­dacht gegen Muslime als auch demokratie­feindliche­n Parallelge­sellschaft­en entgegenzu­treten“.

Der Begriff „Bürgerkrie­g“steht zunehmend auch für einen Verlust von Debattenku­ltur. Walter Hämmerle schreibt davon, wenn er an die Flüchtling­spolitik denkt. Hier gebe es keinen herkömmlic­hen Streit mehr, sondern ausschließ­lich Extremstan­dpunkte: „Ein Kompromiss, das Herzstück der Demokratie, liegt außerhalb der rhetorisch­en Möglichkei­ten.“Das sei „der Stoff, aus dem dieser Kulturkamp­f ist, der neue Bürgerkrie­g, der in Österreich ausgetrage­n wird, und nicht nur hier.“

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BILD: SN/PIXABAY So sieht es wirklich aus, wenn Bürgerkrie­g herrscht: Die Schlacht bei Spotsylvan­ia (Virginia) im Mai 1864 im Amerikanis­chen Bürgerkrie­g.

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