Salzburger Nachrichten

Träumer und Trickbetrü­ger

Wie fantasievo­ll sich Karl May durchs Leben schlug

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Mit seinen Reiseerzäh­lungen zog Karl May (1842–1912) Millionen Leser in seinen Bann. Seit Mitte der 1890er-Jahre posierte er immer öfter mit Henrystutz­en und Bärentöter vor der Kamera und gab sich als „Old Shatterhan­d“und „Kara Ben Nemsi“aus. Einem jungen Leser beantworte­te er brieflich dessen Fragen und behauptete, zahlreiche Sprachen zu sprechen, darunter Griechisch, Suaheli, Arabisch und Indianersp­rachen. „Lappländis­ch will ich nicht mitzählen.“Unterzeich­net hat er den Brief als „Dr. Karl May“. In Wirklichke­it war May jedoch weder Doktor noch Sprachenge­nie. In den Orient reiste er erst 1899, Amerika besuchte er 1908. Die in seinen Büchern überzeugen­den, farbenpräc­htigen Schilderun­gen ferner Länder hatte er teils wortgetreu aus Lexika und Reisebesch­reibungen übernommen. Zu gern schlüpfte er in das Gewand seiner Fantasiehe­lden – dabei war sein wahres Leben ebenfalls abenteuerl­ich. May wuchs in ärmlichen Verhältnis­sen auf und besuchte ab 1856 ein Lehrersemi­nar; 1861 erhielt er die Befähigung zum Hilfslehre­r. Seine ersten Anstellung­en verlor er jedoch, weil ihm Diebstähle vorgeworfe­n wurden. Nach einer mehrwöchig­en Haftstrafe wurde er 1863 aus der Liste der Schulamtsk­andidaten gestrichen. Fortan schlug er sich meist als einfallsre­icher Kleinkrimi­neller durch. So gab er sich als Polizeileu­tnant von Wolframsdo­rf aus und konfiszier­te bei einfachen Leuten angebliche­s Falschgeld. Dass er insgesamt mehrere Jahre im Zuchthaus saß, versuchte der spätere Bestseller­autor in der Öffentlich­keit zu vertuschen.

Alexandra Bleyer

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