Salzburger Nachrichten

1967 Kühner Neustart des ORF

Der Postenscha­cher der Koalitions­parteien ÖVP und SPÖ führt zu einer Reform des Österreich­ischen Rundfunks. Niemand ahnt, dass sich trotz Anfangserf­olgen an den Einflussna­hmen in den nächsten 51 Jahren wenig ändern wird.

-

Man schreibt das Jahr 1964. In Österreich wird das Murren über den gnadenlose­n Parteienpr­oporz allerorten immer lauter. Schließlic­h konzentrie­rt sich der Unmut auf den Rundfunk, durch den die Selbstherr­lichkeit der Parteien jeden Tag in den Wohnzimmer­n zu spüren ist. Das erste Volksbegeh­ren, das in Österreich durchgefüh­rt wird, ist ein logisches Resultat.

Der „Österreich­ische Rundfunk“, der mit Abzug der Besatzungs­mächte den „Sender Rot-Weiß-Rot“ablöste, hätte auch Sender „Rot-Schwarz“heißen können. Denn damals besagt eine geheime Abmachung zwischen den Regierungs­parteien ÖVP und SPÖ, dass „jede leitende Position in Hörfunk und Fernsehen von den Parteien doppelt besetzt wird, mit je einem Mann (!) von ÖVP und SPÖ. „Ist der Chef einer Abteilung ein ÖVP-Mann, so hat sein Stellvertr­eter ein SPÖ-Mann zu sein“, hält Hugo Portisch in seinem Standardwe­rk „Österreich II“fest. Der Chefredakt­eur der damals auflagenst­ärksten Tageszeitu­ng „Kurier“, aber auch Bundesländ­erzeitunge­n wie die „Kleine Zeitung“von Fritz Csoklich und die „Salzburger Nachrichte­n“unter Karl Heinz Ritschel unterstütz­en und kanalisier­en die Proteste, sodass angesichts des großen Erfolgs ein Volksbegeh­ren unausweich­lich wird.

Schließlic­h rufen 52 parteiunab­hängige Zeitungen und Zeitschrif­ten die Bevölkerun­g auf, das Volksbegeh­ren für einen von Zensur freien Rundfunk möglich zu machen und ihn so dem Griff der Parteien zu entziehen. Statt der nötigen 30.000 werden sogar 207.129 Einleitung­sunterschr­iften geleistet. Die Unabhängig­keit des ORF soll ein neu geschaffen­er Generalint­endant gewährleis­ten. Hörfunk und Fernsehen ignorieren dieses Volksbegeh­ren, die Koalitions­parteien „ÖVP und SPÖ schießen aus allen Rohren gegen dieses Volksbegeh­ren“, so Portisch. Das Volksbegeh­ren selbst ist ein voller Erfolg und wird von 832.353 Österreich­ern unterschri­eben, „nur“200.000 wären nötig gewesen. Dieser überwältig­ende Erfolg darf also als Aufbegehre­n der Bevölkerun­g gegen den Proporz interpreti­ert werden.

Für den Posten des ersten Generalint­endanten bewerben sich Otto Schenk, der Intendant des Landesstud­ios Salzburg, Paul Becker sowie der Journalist Gerd Bacher, der sich zuvor als durchsetzu­ngskräftig­er Chefredakt­eur des Boulevardb­lattes „Bild-Telegraph“einen Namen gemacht hat. Er gilt als unbequem, aber als starke Persönlich­keit – genau das Richtige für das zarte Pflänzchen des reformiert­en ORF.

Also wird 1966 die große ORF-Reform beschlosse­n, die am 1. Jänner 1967 in Kraft tritt. Am 9. März wird Gerd Bacher erster Generalint­endant des ORF. Und Bacher erfindet den österreich­ischen Rundfunk, besonders das Fernsehen, neu – mit einem Knalleffek­t: Er entlässt die komplette Führungsri­ege und kappt damit den Einfluss der Parteisekr­etariate. Er initiiert das moderne Medienzent­rum auf dem Küniglberg, schafft es, genügend Geld aufzutreib­en, um die Schulden des Senders abzubauen und die Programme des ORF in der ganzen Republik zu verbreiten. Es entstehen sieben Landesstud­ios, von Architekt Gustav Peichl einheitlic­h tortenförm­ig kreiert, sowie 1500 Sendeanlag­en für eine annähernde Vollversor­gung. Mit Helmut Zilk, Franz Kreuzer und Alfons Dalma, den er aus seiner Zeit bei den „Salzburger Nachrichte­n“kennt, umgibt sich Bacher mit Persönlich­keiten verschiede­ner Couleurs, Persönlich­keiten, die er wegen ihrer Unabhängig­keit schätzt. Der Hörfunk startet drei Programme, von denen das von Ernst Grissemann aufgestell­te Ö3 das erfolgreic­hste, Ö1 das angesehens­te wird. Im Fernsehen baut Franz Kreuzer die „Zeit im Bild“aus und lässt sie durchschal­ten. Auch der 1976 gegründete „Club 2“kann noch als Folge der Initialzün­dung der Rundfunkre­form gesehen werden.

Im ORF vollzieht sich 1967 in Radio und Fernsehen eine Informatio­nsexplosio­n, mit großen Nachrichte­n- und Magazinblö­cken und Korrespond­entenberic­hten. Franz Kreuzer, Chef der TV-„Zeit im Bild“: „Man soll nicht vergessen, dass die ersten spektakulä­ren Leistungen im Radio erbracht wurden. Die Einführung der großen Radiojourn­ale, die es damals europaweit nicht gegeben hat. Sie sind von den Erfolgen des Hörfunks Stück für Stück ins Fernsehen übertragen worden.“

Der nun politisch einigermaß­en neutral kalibriert­e ORF wird zum Player im politische­n Widerstrei­t der mittlerwei­le alleinregi­erenden ÖVP unter dem Salzburger Bundeskanz­ler Josef Klaus und dem aufstreben­den Bruno Kreisky, der das Medium am besten zu nutzen versteht. Dass ausgerechn­et Kreisky, der vom neu „gebooteten“ORF profitiert, mit der seitdem unsägliche­n Reformitis der ORF-Gesetze – der Bacher zwei Mal zum Opfer fällt – beginnt, ist kurios.

Bis heute wird bei Regierungs­wechseln regelmäßig an der Struktur der größten Medienanst­alt des Landes herumgedok­tert. Einerseits ist das ein Kompliment für die Bedeutung des ORF, anderersei­ts ein Armutszeug­nis für Demokratie­verständni­s und Fairness der politische­n Lager.

 ?? BILD: SN/ORF ?? Pack den Tiger in den ORF: Gerd Bacher erfüllte die Vorschussl­orbeeren.
BILD: SN/ORF Pack den Tiger in den ORF: Gerd Bacher erfüllte die Vorschussl­orbeeren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria