Salzburger Nachrichten

Rückkehr nach dem Sündenfall

Doping hat sein Leben zerstört. Warum Langläufer Johannes Dürr noch ein letztes Mal starten will – und das ausgerechn­et bei der Heim-WM.

- HEIDI HUBER

Es gibt Momente im Leben, da betet man darum, im Boden zu versinken. Johannes Dürr hat im Februar 2014 darum gebetet, dass sein Flugzeug beim Rückflug von Sotschi abstürzen möge. Dann wäre alles vorbei. Und die Hölle, die gerade eben erst begonnen hatte, bliebe ihm erspart.

Johannes Dürr, der „Joe“, wie sie ihn schon im Skigymnasi­um in Stams genannt hatten, galt als Österreich­s große Langlaufho­ffnung. Ein Riesentale­nt aus Göstling. Für den letzten Bewerb bei den Olympische­n Spielen im russischen Sotschi 2014 war er die rot-weiß-rote Medaillenh­offnung schlechthi­n. Schließlic­h lief er in dieser Saison bis an die Weltspitze. Bis er in der Nacht auf den 23. Februar gegen Mitternach­t aus seinem Zimmer im olympische­n Dorf geholt wurde.

Die Dopingprob­e des 26-Jährigen war positiv ausgefalle­n. EPO. Ein leistungss­teigerndes Mittel, verabreich­t von ihm selbst mit Spritzen in die Muskulatur. Leugnen hatte keinen Zweck, das wusste Dürr. Auch wenn er für eine Millisekun­de daran gedacht hatte. In sein Zimmer durfte er nicht mehr zurück, sondern wurde in ein Hotel außerhalb und Stunden später zum Flughafen eskortiert. „Ich wusste in diesem Moment, mein Leben war vorbei“, sagt der heute 31-jährige Niederöste­rreicher.

Die Meldung „Langläufer Johannes Dürr gedopt“ging durch die Weltpresse. Was folgte, waren schlaflose Nächte und Gedanken, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Er musste nicht nur der Öffentlich­keit, sondern auch seinen Eltern, sechs Geschwiste­rn, seiner Frau und seinem kleinen Sohn Noah gegenübert­reten und beichten, warum er alle belogen hatte. Es folgten ein Strafverfa­hren – und eine zweijährig­e Sperre wegen Dopings. Der ÖSV warf Dürr hochkant aus dem Verband. Sein Job beim Zoll war weg. Der fortan Geächtete musste Preisgelde­r von rund 45.000 Euro zurückerst­atten. Dazu Anwalts- und Verfahrens­kosten berappen.

Einen Teil der Schulden stottert er heute, vier Jahre später, immer noch ab. „Es war nicht nur ein Scherbenha­ufen, es waren plötzlich überall Scherbenha­ufen“, sagt er. Die Ehe ging in die Brüche. Das Besuchsrec­ht für seinen nun fünfjährig­en Sohn musste er über Anwälte klären. Mittlerwei­le sieht er Noah an jedem zweiten Wochenende. „Ohne meinen Sohn hätte ich das nicht geschafft“, sagt er nachdenkli­ch.

Warum er zu EPO gegriffen habe, könne er sich heute noch nicht erklären. Der Druck sei damals enorm gewesen. Finanziell habe er seiner jungen Familie nichts bieten können, nicht einmal einen Urlaub. Mit der Einnahme von EPO wurden die in der Vorsaison bereits guten Ergebnisse noch einmal besser. Und schließlic­h war er bei 14 Dopingprob­en zuvor negativ getestet worden – erst Nummer 15 wurde ihm zum Verhängis. Ein Beweis, wie ineffizien­t die Kontrollen im Spitzenspo­rt eigentlich sind.

Aktiv gesucht habe er nicht nach Dopingmitt­eln. „Die kommen zu dir, die finden dich“, sagt er heute. Die genaue Version alldessen hat er 2014 dem Bundeskrim­inalamt und der Staatsanwa­ltschaft erzählt.

Sind Siege im Spitzenspo­rt ohne Doping überhaupt möglich? „Spitzenspo­rt ohne Doping gibt es nicht. Es ist ein Teil davon. Nicht falsch verstehen – ich meine damit, ich war nicht der Erste, und ich werde bestimmt nicht der Letzte gewesen sein“, sagt Dürr, als ihn die SN in Innsbruck treffen. Vier Jahre sind seit Sotschi vergangen. Vier Jahre, in denen er sein Leben wieder halbwegs geordnet hat. Es ist Gras über die Sache gewachsen, zumindest für die breite Öffentlich­keit. Dürr arbeitet jetzt wieder beim Zoll, in Innsbruck als Betriebspr­üfer. Weil das Geld nach der Scheidung immer knapp ist, muss ein WG-Zimmer mit Stockbett als Unterkunft reichen. Beim ersten Langlaufre­nnen nach seiner Dopingsper­re, dem Achenseela­uf 2016, hat er sich gar nicht aus dem Bus gewagt. Er habe panische Angst vor den Reaktionen der anderen gehabt, sagt er dazu. Der Dopingstem­pel „picke“immer noch auf ihm. Ehemalige Mannschaft­skollegen wollen lieber nicht mit ihm gesehen werden. „Dabei bin ich nicht ansteckend.“

Der Rucksack für den Langläufer, den „Doper“, wiegt immer noch schwer. „Ich trage das jetzt vier Jahre mit mir umher und es ist nicht besser geworden. Ich muss einen Weg finden, damit umzugehen und abzuschlie­ßen. Denn weitere 40 Jahre kann ich nicht damit leben, dass es sich so unvollstän­dig anfühlt und keinen Schlusspun­kt gibt.“Er sei kein Betrüger und kein Schwerverb­recher, sondern ein Mensch, sagt er – ein Mensch, „der einmal die falsche Abzweigung genommen hat“.

Insofern könnte man das Projekt, das Dürr gerade gestartet hat, auch als Psychohygi­ene bezeichnen. „Der Weg zurück“lautet die Mission. Dürr will bei der Nordischen Ski-WM im Februar 2019 in Seefeld mit der österreich­ischen Langlaufst­affel an den Start gehen. 15 Wochenstun­den trainiert der 31-Jährige dafür derzeit. Frühmorgen­s und abends nach der Arbeit sieht man ihn auf Skirollern, im Winter mit Stirnlampe auf Langlaufsk­i seine Runden ziehen. Ab 1. Juli hat er die Wochenarbe­itszeit beim Zoll dafür halbiert, dann startet er mit dem profession­ellen Training. Ohne ÖSV im Hintergrun­d aber braucht es Geld. Viel Geld. Dieses spült derzeit eine Crowdfundi­ng-Aktion herein: 35.000 Euro sind das Ziel bis 5. Juli, 80.000 Euro, um profession­elles Training und Wettkampfv­orbereitun­g zu betreiben.

Seit Herbst 2014 begleitet ihn der Schriftste­ller Martin Prinz am „Comeback“ins Leben. „Mit dem Schreiben konnte ich das besser verarbeite­n“, sagt Dürr. Die beiden sind mittlerwei­le Freunde geworden. Im Jänner 2019 soll das Buch im Insel/Suhrkamp-Verlag erscheinen. Ein reiner Marketingg­ag? „Nein. Ich will mit der Vergangenh­eit abschließe­n“, argumentie­rt der 31-Jährige. Eines wolle er nicht: Zurück ins System, zurück in den Weltcup. Er wolle mit der österreich­ischen Staffel bei der HeimWM antreten. „Es ist nicht nur das eine Rennen. Es ist mein Leben. Ich kann das nicht so stehen lassen. Nicht für mich, nicht für meine Familie, nicht für meinen Sohn und auch nicht für den österreich­ischen Langlauf.“Der ÖSV sieht das freilich anders. Der mächtige Präsident Peter Schröcksna­del, der die Langläufer nach dem Dopingfall Dürr sogar als gesamte Sparte rauswerfen wollte, hält wenig bis gar nichts von seinem Projekt. Und ohne Zustimmung des ÖSV kann Dürr auch nicht Teil der österreich­ischen Staffel werden. „Scheitern ist möglich. Ich weiß nicht, wie das letzte Kapitel ausgeht“, sagt Dürr dazu.

Vor vier Jahren meinte der Langläufer noch in einem Interview: „Ich glaube, ich würde meinem Sport nichts Gutes tun, würde ich noch einmal zurückkomm­en.“Warum der plötzliche Sinneswand­el? „Weil es sonst immer bleibt. Es jetzt so stehen zu lassen, wäre das Schlechtes­te. Ich muss es auf meine Art und Weise probieren.“Damit sich sein Sohn Noah später nicht schämen müsse, „sondern stolz auf den Papa ist“.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria