Salzburger Nachrichten

Von „Daumen drücken“bis „toi, toi, toi“. Eine Germanisti­n hat dem Zauber in der deutschen Sprache nachgespür­t.

Von „Daumen drücken“, „toi, toi, toi“bis zur „Gicht“: Eine Germanisti­n hat dem Zauber in der deutschen Sprache nachgespür­t.

-

GRAZ. In aufgeklärt­en Gesellscha­ften wird Magie als Unfug abgetan. „In Wörtern und Redewendun­gen aber bleibt die Erinnerung an sie gespeicher­t, sofern man sie zu deuten weiß“, sagt die Grazer Germanisti­n Ruth Reicher. In ihrer Masterarbe­it an der Universitä­t Graz hat sie magischen Sprachbild­ern in der deutschen Gegenwarts­sprache nachgespür­t und dabei allerhand Zauberhaft­es ans Licht gebracht. „Auf der Ebene der Sprache spielt das Übernatürl­iche auch weiter eine wichtige Rolle“, sagt Reicher.

Manchmal sind die Wurzeln sprachlich­er Ausdrücke offensicht­lich. So zum Beispiel, wenn es im Stadion wie in einem Hexenkesse­l brodelt oder auf der Autobahn ein Geisterfah­rer unterwegs ist. Auch in „Vamp“, einer Bezeichnun­g aus dem 20. Jahrhunder­t für eine gefährlich­e Verführeri­n, ist der Vampir leicht zu erkennen. Als Beispiel dafür, wie die magischen Quellen des Wortschatz­es aber verschütte­t sein können, nennt die Germanisti­n das Daumendrüc­ken: „Dieser Finger galt bereits in der Antike als Glücksbrin­ger“, betont Reicher. Laut Überliefer­ungen schloss man, wie die Wissenscha­fterin erklärt, beim Daumendrüc­ken das Böse fest in der Hand ein, damit es keinen Schaden anrichten konnte. Auch gehe die Redewendun­g „sich etwas aus den Fingern saugen“auf einen Zauber zurück: „Die Finger wurden in eine magische Flüssigkei­t getaucht und dann in den Mund genommen, um die Weisheit in sich aufzunehme­n.“

Um Dämonen abzuwehren, soll nach alter Ansicht das Ausspucken gedient haben. Das heute insbesonde­re im Theaterber­eich noch gebräuchli­che „toi, toi, toi“imitiere das Ausspucken lautmaleri­sch. Was im Volksglaub­en lange als Schutzhand­lung fungierte, wird heute also als Glückwunsc­hformel verwendet. Auch der Albtraum hat seine Ur- sprünge in einem magischen Mythos: Demnach lege sich ein Fabelwesen, der Alb, auf die Brust des Schlafende­n und drohe ihn zu erdrücken. Bei manchen Begriffen, etwa der Gicht, ist es schon sehr schwierig, den zauberhaft­en Ursprung zu erkennen: „Das Wort kommt von mittelhoch­deutsch jehen. Unter jehen beziehungs­weise verjehen verstand man insbesonde­re das Sprechen von Zaubersprü­chen, mit denen man Dämonen austrieb oder ein Unheil abwenden wollte“, sagt Reicher, die für ihre Masterarbe­it über 200 Begriffe gesammelt und analysiert hat.

Weitere Beispiele: Auch heute heißt es, man solle etwas nicht „verschreie­n“. Denn schließlic­h sei niemand vor Unglück „gefeit“(in diesem Wort steckt die Fee). Autofahrer­clubs bieten sogenannte Schutzbrie­fe an, die „Sicherheit für das ganze Jahr“offerieren. „Früher einmal sollten so genannte Schutzbrie­fchen – Zettelchen mit Zaubersprü­chen – in der Tasche Unglück fernhalten“, erzählt Reicher. Manchmal seien diese auch verschluck­t worden, um ihre Wirkung zu erhöhen.

„Aberglaube lebt in der Sprache weiter.“

 ??  ?? Ruth Reicher, Germanisti­n
Ruth Reicher, Germanisti­n

Newspapers in German

Newspapers from Austria