Wer klärt unsere Jugend auf?
Derzeit sorgt in Salzburg ein Verein für Diskussionen, der Sexualität vor der Ehe ablehnt und Homosexualität als Verirrung sieht, die therapiert werden kann.
Er war der umstrittenste Unterrichtsbehelf, der je in österreichischen Klassenzimmern zum Einsatz kam: Nach hitzigen Debatten wurde der „Sexkoffer“1989 mit mehreren Jahren Verspätung in den Schulen verteilt. Geblieben ist auch drei Jahrzehnte später die Frage, wie Aufklärung in der Schule ablaufen soll und wie zeitgemäße Sexualerziehung altersgerecht vermittelt werden kann. In einer übersexualisierten Gesellschaft und in Zeiten vielfältiger Lebenskonzepte sind das sensible Fragen, die bei vielen Eltern immer wieder die Emotionen hochgehen lassen.
Tatsache ist, dass viele Jugendliche erschreckend schlecht aufgeklärt sind. Davon kann Bianca Burger vom Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien viel erzählen. Rund 30 Klassen mit Schülern von 14 bis 18 Jahren führt sie jedes Monat durchs Museum. „Das Kondom wird als wirksames Verhütungsmittel extrem überschätzt“, sagt Burger. Es kursiere auch die Ansicht, dass die Frau die Pille nur an dem Tag einnehmen müsse, an dem sie Geschlechtsverkehr habe. Über andere Verhütungsmittel wüssten die Schüler kaum etwas. Hartnäckig halte sich die Irrmeinung, man könne während der Regel nicht schwanger werden. „Viele halten den Coitus interruptus für eine gute Verhütungsmethode.“
Experten klagen seit Jahren über Österreichs Rückständigkeit in der schulischen Sexualerziehung. Nach wie vor wird das Thema vor allem im Biologieunterricht abgehandelt. Als Richtschnur gilt der 2015 überarbeitete Grundsatzerlass des Bildungsministeriums. Demnach gilt Sexualerziehung als Unterrichtsprinzip, das sich fächerübergreifend durch die gesamte Schulzeit ziehen sollte. Davon ist man weit entfernt.
Das Bundeszentrum für Sexualpädagogik an der Pädagogischen Hochschule in Salzburg bietet für Lehrer Aus- und Weiterbildung an. „Wir müssen immer wieder Kurse wegen mangelnder Nachfrage absagen“, sagt Zentrumsleiter und PH-Vizerektor Wolfgang Plaute. In der Lehrerausbildung werde Sexualpädagogik wenig Platz eingeräumt. Umso wichtiger sei es, externe Sexualpädagogen an die Schulen zu holen. Insgesamt wünscht sich Plaute einen unverkrampften Umgang mit dem Thema. Entscheidend sei die Qualität der Aufklärungsangebote. Es dürfe nicht dem Zufall überlassen sein, welche Vereine an Schulen dürfen. „Wir brauchen für Vereine eine Art Gütesiegel.“Man sei bei diesem Thema rasch mit Wertehaltungen konfrontiert. Keinesfalls dürfe das Feld Vereinen mit religiöskonservativem Hintergrund überlassen werden. „Ideologie hat in der Sexualpädagogik nichts verloren.“
Für Diskussion sorgt derzeit in Salzburg der in 20 Ländern tätige Verein TeenSTAR, der sein Aufklärungsprogramm seit 15 Jahren auch in Österreich anbietet und Multiplikatoren ausbildet, darunter Eltern, Pädagogen und Ehepaare. 104 Kursleiter sind regelmäßig an 34 Schulen aktiv, die meisten davon sind in Nieder- und Oberösterreich. „In Salzburg sind wir erst am Wachsen und Werden“, sagt Koordinatorin Maria Hadwiger, Pastoralassistentin in Hallein-Rehhof. Derzeit gibt es vier Kursleiter, im Juli legen neue Leiter die Zertifikatsprüfung ab. „Wir drängen uns nicht auf, die Schulen wenden sich an uns.“Viele Eltern wünschten eine Alternative zu bestehenden Angeboten. Heuer wurden Kurse an zwei Volksschulen und einer NMS abgehalten. Für Volksschüler gibt es ein auf Zehnjährige abgestimmtes Programm.
Kürzlich hatten Eltern von Kindern einer vierten Klasse Volksschule in Salzburg den Kurs nach dem Informationsabend mehrheitlich abgelehnt. Eine Mutter, die sich in der Kirche engagiert, hatte den Verein empfohlen. Auf den ersten Blick sei der konservative Hintergrund nicht erkennbar, sagt ein Vater. „Das wird verdeckt, letztlich verbirgt sich hinter dem Verein eine streng katholische Lebenskunde, die an öffentlichen Schulen kostenpflichtig angeboten wird.“Er werde sich an den Landesschulrat wenden.
Die niederösterreichische Religionslehrerin Helga Sebernik, Leiterin von TeenSTAR Österreich, weist die Kritik zurück. Man argumentiere nicht religiös, sondern biete ein ganzheitliches Programm, dem das christliche Menschenbild zugrunde liege. „Wir gehen von der Wertschätzung des eigenen Körpers aus, der ist bei allen gleich.“Elf- bis 14-Jährige sowie 14- bis 18-Jährige würden über einen längeren Zeitraum unter Einbeziehung der Eltern begleitet. Im Mittelpunkt stehe das Bewusstsein für die eigene Fruchtbarkeit. Anstatt nur Verhütungsmittel zu propagieren, werde die Fruchtbarkeit den Jugendlichen als etwas Kostbares vermittelt. Dadurch würden sie lernen, mit ihrer Sexualität verantwortungsvoll umzugehen.
Gegründet wurde TeenSTAR in den 80er-Jahren von der Österreicherin Hanna Klaus, einer Gynäkologin, Missionsschwester und Verfechterin der natürlichen Familienplanung. Die „Billings-Methode“zur natürlichen Familienplanung nimmt in der Ausbildung breiten Raum ein. Die Kursleiter stellen den Jugendlichen alle Verhütungsmethoden vor, sie dürfen aber keine empfehlen. Die Jugendlichen würden selbst entscheiden, wie sie nach dem Gehörten mit ihrem Körper umgehen, sagt Sebernik. Natürlich erkläre man, dass natürliche Familienplanung erst von Erwachsenen in der Ehe gelebt werden könne. „Wir stellen unbequeme Fragen und zeigen die Nebenwirkungen der Pille auf, das tut sonst keiner.“
Diese Behauptung sei absurd, sagt Gynäkologe Christian Fiala. Die Pille sei das am besten erforschte Medikament überhaupt. „Vor jungen Menschen natürliche Familienplanung zu propagieren ist verantwortungslos.“Fiala leitet die Gynmed-Ambulanz in Salzburg. Dort wurden im Vorjahr 760 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Die Zahl der Abtreibungen ist seit 2005 konstant hoch. Fiala führt das auf die schlechte Prävention zurück. „Österreich ist in Westeuropa Schlusslicht.“
Das Programm von TeenSTAR habe viele positive Ansätze, gehe aber an der Lebensrealität Jugendlicher vorbei, sagt eine Sexualpädagogin, die anonym bleiben will. Sie hat kürzlich die Ausbildung gemacht. „Professionelle Sexualpädagogik muss wertfrei sein.“TeenSTAR lege den Jugendlichen nahe, Sexualität erst in der Ehe zu leben. Masturbation werde als Fehlschritt auf dem Weg zu einer hingebenden, empfangenden Sexualität gesehen. Homosexualität gelte als Identitätsproblem und „Verirrung“. Schwule unternähmen den vergeblichen Versuch, einen Mangel zu kompensieren. Die sexuelle Orientierung sei durch eine Kombination aus Therapie, Selbsthilfegruppen und Seelsorge veränderbar. Aussagen wie diese empören Sexualpädagogin Gabriele Rothuber, Geschäftsführerin des Vereins „Selbstbewusst“, der an 56 Schulen in Salzburg Aufklärungsworkshops macht. Die Warteliste ist lang. Rothuber ist zugleich Obfrau der Homosexuellen Initiative HOSI. Die Salzburgerin hat 2007 die Ausbildung von TeenSTAR nach drei Modulen abgebrochen. „Kritik ist dort nicht erwünscht.“