Österreich legt sich quer
Auf nationale deutsche Maßnahmen im Asylstreit werden österreichische folgen.
Kleine Rückblende: Genau vor einem Jahr war Österreich damit beschäftigt, die Gemüter in den Nachbarländern, insbesondere in Italien, zu beruhigen. Den internationalen Wirbel ausgelöst hatte der damalige Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ). Und zwar mit der Ankündigung, ab sofort stünden Hunderte Soldaten und schweres Gerät bereit, um im Fall des Falles die Brenner-Grenze innerhalb von 72 Stunden dicht zu machen. Die Aktion trug Doskozil den Namen „Panzer-Minister“ein. Zum Fall des Falles kam es nicht.
Tut es das womöglich jetzt? Zumindest kann die erste Reaktion der österreichischen Bundesregierung auf das, worauf sich CDU und CSU in der Nacht auf Dienstag in ihrem Asylstreit geeinigt haben, so verstanden werden. Richte Deutschland tatsächlich Transitzentren an der Grenze zu Österreich ein, würden auf diese „nationale Maßnahme“der Deutschen nationale Maßnahmen Österreichs insbesondere zum Schutz seiner Südgrenze folgen. Man sei auf alle Szenarien vorbereitet und jederzeit bereit, „sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, um Schaden von Österreich abzuwenden“, betonte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Denkwürdig die erste Reaktion aus Italien. Hatte Rom vor einem Jahr auf mögliche Brenner-Grenzkontrollen noch extrem verärgert reagiert, kann sie der neue italienische Innenminister Matteo Salvini (Lega) offenbar nicht erwarten. „Ich bin bereit, ab morgen die Kontrollen am Brenner wiedereinzuführen, weil wir dadurch nur gewinnen können“, sagte er zum Sender Rai. Begründung: Es kämen mehr Migranten von Österreich nach Italien als umgekehrt, weshalb Zurückweisungen an der Grenze für Italien „ein gutes Geschäft“wären. So oder so liefen am Dienstag die Telefone zwischen München/Berlin, Wien und Rom heiß. Und Prag kündigte an, Grenzkontrollen einzuführen, sollte es durch die geplanten Transitzentren an der deutsch-öster- reichischen Grenze zu einer Ausweichbewegung von Flüchtlingen über Tschechien nach Deutschland kommen.
Abseits aller politischen Muskelspiele stellt sich die Frage: Was bedeutet der CDU/CSU-Kompromiss nun tatsächlich an den Grenzen? Unmittelbar gar nichts. Denn davon abgesehen, dass die Unionsparteien erst einmal die Zustimmung ihres Koalitionspartners SPD brauchen, heißt es in dem deutschen Papier ausdrücklich, dass man „nicht unabgestimmt handeln“, sondern mit den Ländern Abkommen „über die direkte Zurückweisung“von Asylsuchenden abschließen wolle, für deren Verfahren sie laut DublinRegeln ohnehin zuständig wären. Klappe das nicht, sollen die „Dublin-Fälle“direkt nach Österreich zurückgewiesen werden – auf „Grundlage einer Vereinbarung“.
Die muss ebenfalls erst geschlossen werden. Dass Österreich bereit sein wird, Deutschland zu entlasten, indem es für andere EU-Länder den Lückenbüßer macht, darf in hohem Maße bezweifelt werden. Kanzler, Vizekanzler Heinz-Christian Strache und Innenminister Herbert Kickl (beide FPÖ) stellten jedenfalls in einer gemeinsamen Erklärung fast wortidentisch klar: „Wir werden keine Verträge zulasten Österreichs abschließen.“
Das aktuelle Abkommen zwischen Österreich und Deutschland über die „Rücknahme von Personen an der Grenze“stammt aus dem Jahr 1998. Die darin vereinbarten Rücknahmeverpflichtungen gelten nicht für „Dublin-Fälle“, also genau jene Gruppe, um die es im innerdeutschen Asylstreit ging: um Asylsuchende, die bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden oder einen Antrag gestellt haben, dann aber weiterwanderten, obwohl sie das nicht sollten. Nach EURecht müssen sie trotzdem dort, wo sie erneut registriert werden und Asyl verlangen, aufgenommen werden. Dann starten Konsultationsverfahren mit den Erstaufnahmeländern über die Zurückweisung. Sind sie nicht binnen sechs Monaten erledigt – und das sind sie oft nicht, wie Österreich insbesondere im einstigen Konflikt mit Ungarn in Abertausenden Fällen erfahren musste –, wandert die Zuständigkeit für das Asylverfahren automatisch an das Land, in dem die Betreffenden versorgt werden. Deutschland, speziell Innenminister Horst Seehofer (CSU), will das nicht mehr hinnehmen: Die „Dublin-Fälle“sollen in als Niemandsland geltenden Transitzentren an der Grenze untergebracht und von dort direkt in die zuständigen Länder zurückgeschickt werden. Oder nach Österreich. Wie viele Menschen schickt Deutschland derzeit nach Österreich zurück? Laut Innenministerium sind es im Schnitt 13 pro Tag.
Am Donnerstag wird Seehofer in Wien erscheinen, um die deutschen Pläne zu erklären.
„Wir werden keine Verträge zulasten Österreichs abschließen.“