Salzburger Nachrichten

Der Schalk hilft den Geschurige­lten

Wer benachteil­igt ist, kann jammern oder das tun, womit viele Italiener durchkomme­n.

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Ärger mit arroganten Chefs? Oder Trübsinn wegen einer Ungerechti­gkeit? Solchen Nöten spürt die Theatermac­herin Angelica Ladurner nach. Sie hat italienisc­he Komödien doppelt durchleuch­tet: Welche sind lustig? Und welche bergen brauchbare Hilfe? Jene mit „Bauchbotsc­haften“hat die Intendanti­n für die demnächst beginnende­n Komödiensp­iele Porcia ausgesucht. SN: Sie schreiben in Ihrem Programmhe­ft, den Jammerer gebe es heuer in Schloss Porcia nicht. Wie gelingt Ihnen das mitten in Österreich? Angelica Ladurner: Wir spielen italienisc­he Komödien. Hier sind die Figuren anders als bei Ferdinand Raimund und Johann Nestroy. Wenn italienisc­he Protagonis­ten etwas als falsch erkennen, beklagen sie es nicht missmutig, sondern reagieren. Das geht schon bei Goldonis „Diener zweier Herren“los: Truffaldin­o hat immer Hunger, aber er tut etwas dagegen – er schwindelt, blödelt und macht krumme Touren.

Auffallend ist zudem der Sozialaspe­kt: Ungerechti­gkeiten werden aufgezeigt. Die Spitze für Sozialkrit­ik ist Dario Fo. Dessen Zitat ist für uns programmat­isch: „Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott. Sie sind Anzeichen für kritischen Sinn, Fantasie, Intelligen­z und das Gegenteil von Fanatismus.“Dieser Gedanke kommt den Komödiensp­ielen Porcia sehr zupass. SN: Warum? Sie wollen Leute doch zum Lachen bringen. Es gibt verschiede­ne Arten von Lachen. Eines davon gibt einem das Gefühl, dass man glücklich ist, weil sich da jemand zurecht wehrt. Wir wollen nicht seichtes Tralala, sondern Komödien, die durchaus eine politische Botschaft haben. SN: Wie lautet die? Wem etwas missfällt, der soll nicht resigniere­n und nörgeln, sondern aufstehen und etwas tun – oder wenigstens fragen: Was wollt ihr eigentlich? Oder sei’s auch schreien! Aber keinesfall­s jammern und sagen: „Ich bin so arm.“

Allerdings wollen wir unser Publikum nicht mit Zeigefinge­rtheater behelligen. Unsere Botschafte­n sind anders und kommen tiefer durch. Es sind Bauchbotsc­haften. SN: Was heißt das? Man hat nicht umsonst Bauchweh, wenn man viel lacht. SN: Warum spielen Sie heuer nur italienisc­he Komödien? Durch die ersten Jahre meiner Intendanz (seit 2015, Anm.) habe ich den dramaturgi­schen Faden durch Europa gezogen: erst französisc­he, dann englische, deutschspr­achige und heuer italienisc­he Komödien. SN: Was ist im italienisc­hen Witz anders als im französisc­hen, österreich­ischen, deutschen oder englischen? Wir müssen da aufpassen, denn im Grunde sind das Pauschalie­rungen, die nicht immer zutreffen. Aber in den Komödien, vor allem in den Klassikern, kann man schon Unterschie­de erkennen. Bei den Franzosen etwa – sei’s Yasmina Reza oder Georges Feydeau – geht es um Finesse und um Sein oder Schein. Weil die mit allen Mitteln einen Schein aufrechter­halten müssen, wird das wahnsinnig komisch.

Bei den Engländern ist Shakespear­e außen vor, er ist universal, da ist alles drin. In anderen britischen Komödien geht es oft um Korruption, Macht, Denunzieru­ng und Intrige. Aus Deutschlan­d gibt es kaum klassische Komödien, und jene wenigen wie „Minna von Barnhelm“oder „Zerbrochne­r Krug“sind keine Brüller. Wichtig in der deutschspr­achigen Komödie ist die Wiener Ecke mit ihrem aufblitzen­den, brillanten Humor. Ferdinand Raimund hat große Poesie und zugleich unglaublic­he Verrückthe­it in seinen Geschichte­n. Nestroy zeichnet geradezu holzschnit­tartig skurrile und abstruse Figuren, die alle beim Jammern sehr aktiv sind. SN: Wobei sind Italiener aktiv? Sowohl bei Goldoni wie in „Don Camillo“gibt es keine Jammerer, sondern es wird auf Missstände reagiert. Das trifft auch auf „Buona Sera, Mrs. Campbell“zu: Diese Frau baut eine Lebenslüge auf und hält zwanzig Jahre lang dicht, um ihr Kind zu schützen. Auch das ist eine Form des Nichtresig­nierens.

Italiener reagieren auch oft mit Wut, da kann es schon sein, dass sie wo hineinhaue­n und wettern. Wut macht ja aktiv, sie hat nichts Resigniere­ndes. Deswegen müssen unsere Schauspiel­er heuer viel hauen und raufen. In Goldonis „Krawall in Chioggia“raufen sogar die Frauen, da wird ordentlich geschläger­t! Für so etwas haben wir einen Kampfcoach. SN: Einen was? Einen Coach für die Schlägerei­en. Der ist spezialisi­ert auf Fechten, Choreograf­ie, also Tanz und jegliche Bewegung. Einen Choreograf­en setzen wir sowieso in all unseren Inszenieru­ngen mit ein, aber hier brauchen wir einen Spezialist­en. SN: Was choreograf­iert ein Kampfcoach? Die große Fechtszene in „Diener zweier Herren“, die Massenschl­ägerei in „Krawall in Chioggia“oder erst gar in „Don Camillo“– da wird geprügelt! Solche Raufereien muss man gut machen, erstens schaute es sonst blöd aus, zweitens wäre es zu gefährlich. Unser Kampfcoach Josef Borbely stellt in den Proben erst die Schauspiel­er, dann beginnen Bewegungen, dann kommt Text dazu, und alle Schauspiel­er müssen sich genau in jede Situation einfühlen. Dann wird alles schneller. Dabei müssen wir beachten, dass sich niemand verletzt. Schließlic­h wollen wir zeigen, wie lächerlich wir sind, wenn wir handgreifl­ich werden.

Jedes Jahr brauchen wir einen Fechtmeist­er, doch so groß wie heuer mit den Italienern war der Einsatz überhaupt noch nie. Wir alle haben schon blaue Flecken, aber wir haben’s sehr lustig! SN: Sie haben Ihre heurige Saison mit fahrendem Theater Als wir uns zum Jubiläum 50 Jahre Porcia etwas wünschen haben dürfen, da wollte ich statt einer weiteren Spielstätt­e zurück zum Thespiskar­ren. Das machen wir im vierten Jahr, und es hat sich gut etabliert. Seit Mitte Mai spielen wir auf dem Wagen 44 Vorstellun­gen – wir waren in Wien, Graz und Lienz, wir fahren sogar einmal nach Italien, an den Wörthersee, in den Lungau und bis Ende August durch ganz Kärnten. SN: Welche Erfahrunge­n haben Sie in Kärnten? Man spürt, wie hier die Kultur wegbröselt. Viele Menschen wissen nicht mehr, was Theater ist! Das wollten wir nicht hinnehmen. Wenn weniger Einheimisc­he kommen, müssen wir halt hinfahren!

Das ist viel Arbeit, aber es macht Freude. Denn die Idee geht auf, viele Gemeinden laden uns ein. Wenn wir spielen, bleiben Leute aller Altersund Bildungskl­assen stehen und schauen zu. Einige sind uns sogar nachgereis­t. Theater:

„In ,Chioggia‘ raufen sogar die Frauen!“ Komödiensp­iele Porcia, Spittal an der Drau. Nächste Premieren: „Krawall in Chioggia“von Carlo Goldoni am 13. Juni und „Bezahlt wird nicht!“von Dario Fo am 15. Juni.

 ??  ?? „Diener zweier Herren“auf dem Theaterwag­en – demnächst in Millstatt, Drobollach und Liebenfels in Kärnten. begonnen. Mit „Diener zweier Herren“auf dem Theaterwag­en – ähnlich jenem des Salzburger Straßenthe­aters – zogen sie sogar nach Wien. Wie sind Sie...
„Diener zweier Herren“auf dem Theaterwag­en – demnächst in Millstatt, Drobollach und Liebenfels in Kärnten. begonnen. Mit „Diener zweier Herren“auf dem Theaterwag­en – ähnlich jenem des Salzburger Straßenthe­aters – zogen sie sogar nach Wien. Wie sind Sie...
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Angelica Ladurner, Intendanti­n

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