Erl bietet auch Drama abseits der Bühne
Die Tiroler Festspiele werden 20 Jahre alt. Die Vorwürfe gegen Gustav Kuhn bleiben ein Thema.
Grüne Hügel, satte Weiden und die imposante Bergkulisse des Kaisergebirges: Das kleine Tiroler Dorf Erl hat so gar nichts von einer Kulturmetropole. Jeden Sommer aber fallen die Opernfreunde aus Salzburg, München und Innsbruck in der 1500-Seelen-Gemeinde ein.
Der Salzburger Dirigent Gustav Kuhn und der Tiroler Unternehmer Hans Peter Haselsteiner haben 1998 mit den Tiroler Festspielen eine Alternative für Wagnerianer geschaffen, die sich – wie etwa in Bayreuth – mit aktuellen Tendenzen des Regietheaters nicht auseinandersetzen wollen. Im Erler Passionsspielhaus werden ihnen die großen Musikdramen des Meisters auf hohem musikalischen Niveau und in szenisch schnörkel- und zeitlosen Inszenierungen geboten. Für beides zeichnet Kuhn ganz im Sinne des Gesamtkunstwerks verantwortlich.
Ausgerechnet zum 20-Jahr-Jubiläum jedoch ist der Dirigent seit Monaten mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Der Blogger Markus Wilhelm zitierte auf seiner Homepage Zeuginnen, die Kuhn der sexuellen Nötigung bezichtigten. Die #MeToo-Debatte hat den Patriarchen im Orchestergraben erreicht. Dem Festival wurde „modernes Sklaventum“und Lohndumping vorgeworfen. In seiner Eröffnungsrede am Donnerstag ging Haselsteiner auf die „hasserfüllte Kampagne gegen Maestro Kuhn“ein und forderte die Politik zum Handeln gegen den „Pranger in sozialen Medien“auf: „Sie werden als Medien bezeichnet, entziehen dem Mediengesetz.“
Bis 29. Juli sollte jedoch vor allem das künstlerische Schaffen in Erl den Diskurs bestimmen. Seit das 2012 eröffnete Festspielhaus als Ergänzung zur Verfügung steht, hat sich das Opernangebot um Mozart, Beethoven, Puccini und vor allem Rossini erweitert. Das architektonisch wie akustisch exquisite Haus des Büros Delugan/Meissl garantiert zudem einen Festspielbetrieb, wenn im Passionsspielhaus tatsächlich sich aber Passion gespielt wird. Dort setzt Kuhn seinen Rossini-Zyklus mit der Rarität „Ermione“fort, Premiere war am Freitag.
Im „großen“Haus erweckt man erfolgreiche Erler WagnerProduktionen zu neuem Leben: Höhepunkt ist der „Ring des Nibelungen“, dessen wahnwitzige 24-Stunden-Bewältigung 2005 längst Kultstatus besitzt. Heuer dirigiert Kuhn die Tetralogie an vier aufeinanderfolgenden Tagen – immer noch ein sportliches Unterfangen. Zudem wird Kuhns „Tannhäuser“-Inszenierung aus dem Jahr 2012 wieder aufgenommen. Die Bühne gehört wieder voll und ganz dem Musikdrama.
„Social Media sind der neue Pranger.“
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