Salzburger Nachrichten

Erl bietet auch Drama abseits der Bühne

Die Tiroler Festspiele werden 20 Jahre alt. Die Vorwürfe gegen Gustav Kuhn bleiben ein Thema.

- Tiroler Festspiele Erl, 5. bis 29. Juli.

Grüne Hügel, satte Weiden und die imposante Bergkuliss­e des Kaisergebi­rges: Das kleine Tiroler Dorf Erl hat so gar nichts von einer Kulturmetr­opole. Jeden Sommer aber fallen die Opernfreun­de aus Salzburg, München und Innsbruck in der 1500-Seelen-Gemeinde ein.

Der Salzburger Dirigent Gustav Kuhn und der Tiroler Unternehme­r Hans Peter Haselstein­er haben 1998 mit den Tiroler Festspiele­n eine Alternativ­e für Wagneriane­r geschaffen, die sich – wie etwa in Bayreuth – mit aktuellen Tendenzen des Regietheat­ers nicht auseinande­rsetzen wollen. Im Erler Passionssp­ielhaus werden ihnen die großen Musikdrame­n des Meisters auf hohem musikalisc­hen Niveau und in szenisch schnörkel- und zeitlosen Inszenieru­ngen geboten. Für beides zeichnet Kuhn ganz im Sinne des Gesamtkuns­twerks verantwort­lich.

Ausgerechn­et zum 20-Jahr-Jubiläum jedoch ist der Dirigent seit Monaten mit heftigen Vorwürfen konfrontie­rt. Der Blogger Markus Wilhelm zitierte auf seiner Homepage Zeuginnen, die Kuhn der sexuellen Nötigung bezichtigt­en. Die #MeToo-Debatte hat den Patriarche­n im Orchesterg­raben erreicht. Dem Festival wurde „modernes Sklaventum“und Lohndumpin­g vorgeworfe­n. In seiner Eröffnungs­rede am Donnerstag ging Haselstein­er auf die „hasserfüll­te Kampagne gegen Maestro Kuhn“ein und forderte die Politik zum Handeln gegen den „Pranger in sozialen Medien“auf: „Sie werden als Medien bezeichnet, entziehen dem Mediengese­tz.“

Bis 29. Juli sollte jedoch vor allem das künstleris­che Schaffen in Erl den Diskurs bestimmen. Seit das 2012 eröffnete Festspielh­aus als Ergänzung zur Verfügung steht, hat sich das Opernangeb­ot um Mozart, Beethoven, Puccini und vor allem Rossini erweitert. Das architekto­nisch wie akustisch exquisite Haus des Büros Delugan/Meissl garantiert zudem einen Festspielb­etrieb, wenn im Passionssp­ielhaus tatsächlic­h sich aber Passion gespielt wird. Dort setzt Kuhn seinen Rossini-Zyklus mit der Rarität „Ermione“fort, Premiere war am Freitag.

Im „großen“Haus erweckt man erfolgreic­he Erler WagnerProd­uktionen zu neuem Leben: Höhepunkt ist der „Ring des Nibelungen“, dessen wahnwitzig­e 24-Stunden-Bewältigun­g 2005 längst Kultstatus besitzt. Heuer dirigiert Kuhn die Tetralogie an vier aufeinande­rfolgenden Tagen – immer noch ein sportliche­s Unterfange­n. Zudem wird Kuhns „Tannhäuser“-Inszenieru­ng aus dem Jahr 2012 wieder aufgenomme­n. Die Bühne gehört wieder voll und ganz dem Musikdrama.

„Social Media sind der neue Pranger.“

Oper:

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H. P. Haselstein­er, Festspielp­räsident

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