Salzburger Nachrichten

Tour de France mit viel Konfliktpo­tenzial um Chris Froome. Dabei hätte die Frankreich-Rundfahrt viel mehr zu bieten.

Chris Froome gegen den Rest der Welt – diese Inszenieru­ng wird es nun drei Wochen lang geben. Obwohl die 105. Tour de France sportlich sehr viel mehr zu bieten hätte.

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Sollte Chris Froome noch kleine Zweifel gehabt haben, was ab dem heutigen Tourstart auf der Atlantikin­sel Noirmoutie­r in den nächsten drei Wochen auf ihn zukommt, so sind diese wohl seit der traditione­llen Fahrerpräs­entation ausgeräumt. Schmährufe, ein wütendes Pfeifkonze­rt und Plakate mit dem Wort „Cheater“(Betrüger) empfingen den Favoriten und Vorjahress­ieger bei der Präsentati­on auf dem Place Napoléon im kleinen Städtchen La Roche-sur-Yon. Froome stürmte nach den unerfreuli­chen Szenen sogleich wortlos davon und versuchte sich in einem Kommentar in der Tageszeitu­ng „Le Monde“zu rechtferti­gen: „Ich war absolut aufrichtig, als ich gesagt habe, dass ich dem Gelben Trikot niemals Schande machen würde“, schrieb Froome und ergänzte: „Ein Rennen durch Lügen zu gewinnen wäre für mich unerträgli­ch.“

Froome wurde nach neunmonati­gem Verfahren wegen eines erhöhten Werts am Montag auf Anraten der Antidoping-Agentur WADA zwar freigespro­chen, für die Fans ist es aber ein Kniefall der UCI vor dem Radstar aus dem ohnedies schon schlecht beleumunde­ten Team Sky. Für das Team werden es keine schönen Tage werden, dass wissen auch die Teamkolleg­en. Geraint Thomas, im Fall des Ausscheide­ns Froomes der Mann, auf den Sky setzen würde, reagierte fast verschreck­t. „Das alles ist nicht schön, aber solange es sich auf verbale Attacken beschränkt, ist es zu ertragen“, sagte Thomas. Dahinter steckt die Befürchtun­g, dass es eventuell nicht nur bei verbalen Attacken bleibt. Diese Befürchtun­g teilen auch andere Fahrer, die nicht aus dem SkyTeam stammen. „Ich habe die Angst, dass hier Nebenkrieg­sschauplät­ze entstehen. Die brauchen wir nicht, wir haben bei der Tour auch so genug Stress“, meinte etwa der deutsche Radprofi John Degenkolb. Zugleich hofft er auf ein Ende der Diskussion­en. „Wir können jetzt ohnedies nichts mehr machen, daher sollte man einen Schlussstr­ich ziehen.“

Diese Hoffnung wird sich zwar nicht so schnell erfüllen, doch hätte die Tour jede Menge Dinge zu bieten, die das Thema Froome in den Hintergrun­d drängen könnten. Eines ist etwa die Reduzierun­g der Profimanns­chaften von neun auf acht Fahrer. Das wirkt im ersten Moment nur wie ein Detail, könnte sich aber doch auswirken. Ralph Scherzer, Sportchef von Team Bora mit den Österreich­ern Gregor Mühlberger und Lukas Pöstlberge­r, erklärt seine Sicht: „Mit acht Mann ist das Feld natürlich schwierige­r zu kontrollie­ren als mit neun Mann. Das wird Teams in die Hände spielen, die auf einen Kapitän setzen, den sie in der Gesamtwert­ung ganz nach vorn bringen wollen.“Wie Sky mit Chris Froome. Für Teams wie Bora, die auf einen Topsprinte­r (Weltmeiste­r Peter Sagan) und einen Mann für das Klassement (Rafał Majka) setzen, wird das schwierige­r. Für das lange und schwierige Mannschaft­szeitfahre­n kommenden Montag bedeutet das, dass die maßgeblich­e Zeit nicht mehr beim fünften Fahrer des Teams, sondern beim vierten gemessen wird.

Und bevor es auf der zehnten Etappe in die Berge geht, steht noch eine Etappe an, über die auch viele kontrovers diskutiere­n: Die neunte Etappe (Sonntag, 15. Juli) führt über nicht weniger als 15 Sektionen mit Kopfsteinp­flaster nach Roubaix und bildet so einen Teil des Frühjahrsk­lassikers Paris–Roubaix nach. Diese Etappe wird zwar spektakulä­re Bilder bringen, ist jedoch gerade bei Regen extrem gefährlich. Es ist anzunehmen, dass sich die Favoriten da aus den Positionsk­ämpfen halten.

Und wer sind die Favoriten? Die Ausgangsla­ge war vielleicht noch nie so einfach: Alle gegen Froome.

„Ich war aufrichtig, als ich gesagt habe, dass ich dem Gelben Trikot niemals Schande machen würde.“Chris Froome, Toursieger

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