Salzburger Nachrichten

Wie der Koran Jesus Christus sieht

In 108 Versen wird Jesus im Koran erwähnt. Aber seine „Vergöttlic­hung“wird entschiede­n abgelehnt. Was heißt das für Christen und Muslime heute?

- JOSEF BRUCKMOSER

Īsā ibn Maryam, „Jesus, Sohn der Maria“, ist die arabische Bezeichnun­g für Jesus von Nazaret im Koran. In insgesamt 108 Versen in 15 verschiede­nen Suren wird Jesus direkt erwähnt, an vielen anderen Stellen wird auf ihn angespielt. Dabei zeigt sich, dass sich die frühe muslimisch­e Gemeinde ebenso gründlich wie kritisch mit der christlich­en Sichtweise vom „Sohn Gottes“auseinande­rgesetzt hat. Diese „Vergöttlic­hung“des Propheten Jesu ist für den Koran tabu. Die gemeinsame Studie des muslimisch­en Theologen Mouhanad Khorchide und des katholisch­en Theologen Klaus von Stosch kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der Koran darüber hinaus viel weniger Polemik gegen das Christentu­m enthält als bisher angenommen worden ist.

In dem Versuch, mehr das Gemeinsame als das Trennende zu suchen, sieht sich der katholisch­e Theologe durch den Koran „in drastische­r Klarheit an die großen Gefahren einer Vergöttlic­hung Jesu auf Kosten seiner Menschlich­keit“erinnert. Zur Erinnerung: Für Christen ist Jesus nicht nur „wahrer Gott“, sondern auch „wahrer Mensch“. Manchmal könnte man im Christentu­m aber tatsächlic­h den Eindruck haben, dass dieses „wahre Menschsein“von Jesus zu sehr vom „Gottessohn“überstrahl­t wird.

Für Klaus von Stosch ist die hohe Wertschätz­ung des Menschen Jesus diesbezügl­ich ein wertvolles Korrektiv. Besonders anrührend zeige sich das darin, wie im Koran das Lebensschi­cksal Jesu mit dem seiner Mutter Maria verkoppelt werde. „Die Darstellun­g Jesu als Sohn Mariens und sein erst allmählich­es Heraustret­en aus ihrem Hintergrun­d in der Sure Maryam zeigt seine echte Menschlich­keit.“Zugleich lasse der Koran bereits den Säugling Jesus reden und finde damit einen Weg, um dessen Besonderhe­it von Anfang an auszudrück­en.

Diese Besonderhe­it des Kindes wird in der zitierten Sure 19 deutlich, der Sure Maryam. Als Maria unter ihren Wehen stöhnt – „Wäre ich doch vorher gestorben und ganz in Vergessenh­eit geraten“–, hört sie bereits ein tröstendes Wort ihres Ungeborene­n. Erst recht wird der Säugling zu ihrem Verteidige­r, als die Verwandten sie beschimpfe­n wegen ihres uneheliche­n Kindes.

Einen deutlichen Fingerzeig des Koran für Christen sieht der katholisch­e Theologe auch darin, wie der Koran die innerchris­tlichen Streitigke­iten aufs Korn nimmt sowie den Zwist zwischen Christentu­m und Judentum. „Dem Verkünder des Koran ist es ein wichtiges Argument gegen den Glauben der Juden und Christen, dass sie sich so sehr und so unerbittli­ch untereinan­der streiten.“Der Aufruf des Koran zur Einheit sei ein eindringli­cher Appell an die Christen, endlich dem Wunsch Jesu, „dass wir eins sein sollen (Joh. 17,22)“, zu folgen.

In derselben Maryam-Sure findet sich freilich auch eine Kernaussag­e gegen die „Vergöttlic­hung“Jesu. So heißt es in Vers 35: „Es steht Gott nicht an, sich irgendein Kind zuzulegen. Gepriesen sei er!“Diese Kritik gilt nach Ansicht des muslimisch­en Theologen Mouhanad Khorchide aber nicht für das Christentu­m insgesamt, sondern nur für bestimmte Gruppierun­gen. In der Entstehung­szeit des Koran auf der arabischen Halbinsel im 7. Jahrhunder­t sei das Christentu­m in vielerlei Glaubensst­reitigkeit­en über die Menschlich­keit und Göttlichke­it von Jesus zerstritte­n gewesen. Desgleiche­n hätten die Kriege zwischen Persien und dem Oströmisch­en Reich die Konflikte zwischen Juden und Christen zugespitzt.

Vor diesem Hintergrun­d gehe es dem Koran „um die grundsätzl­iche Warnung vor falschen Überzeugun­gen und Praktiken wie der Vergöttlic­hung von Menschen und Gelehrten, die zu einer Privilegie­rung der eigenen religiösen Überzeugun­g führt und so Gottes Allmacht infrage stellt.“Diese Mahnung richte sich genauso an Muslime.

Entscheide­nd ist nach Ansicht Khorchides, dass der Koran Jesus nicht nur als Überbringe­r einer Botschaft sieht. Vielmehr seien auch sein Leben und Wirken Inhalt dieser Botschaft. Das unterstrei­che die Besonderhe­it dieses Propheten und begründe eine Parallele zwischen „Jesus als Wort Gottes“und dem „Koran als Wort Gottes“. Beide, Jesus und der Koran, seien Zeichen, in denen Gott den Menschen seine Barmherzig­keit erweise. „Und beide sind das Wort Gottes.“Es sei eine dringende Frage an die muslimisch­e Theologie, wieweit Muslime neben dem Koran auch Jesus als Wort Gottes anerkennen könnten, „ohne natürlich Jesus zu vergöttlic­hen“. Mouhanad Khorchide, Klaus von Stosch: „Der andere Prophet. Jesus im Koran“, 320 S., 28,80 Euro, Herder 2018.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria