Wie der Koran Jesus Christus sieht
In 108 Versen wird Jesus im Koran erwähnt. Aber seine „Vergöttlichung“wird entschieden abgelehnt. Was heißt das für Christen und Muslime heute?
Īsā ibn Maryam, „Jesus, Sohn der Maria“, ist die arabische Bezeichnung für Jesus von Nazaret im Koran. In insgesamt 108 Versen in 15 verschiedenen Suren wird Jesus direkt erwähnt, an vielen anderen Stellen wird auf ihn angespielt. Dabei zeigt sich, dass sich die frühe muslimische Gemeinde ebenso gründlich wie kritisch mit der christlichen Sichtweise vom „Sohn Gottes“auseinandergesetzt hat. Diese „Vergöttlichung“des Propheten Jesu ist für den Koran tabu. Die gemeinsame Studie des muslimischen Theologen Mouhanad Khorchide und des katholischen Theologen Klaus von Stosch kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass der Koran darüber hinaus viel weniger Polemik gegen das Christentum enthält als bisher angenommen worden ist.
In dem Versuch, mehr das Gemeinsame als das Trennende zu suchen, sieht sich der katholische Theologe durch den Koran „in drastischer Klarheit an die großen Gefahren einer Vergöttlichung Jesu auf Kosten seiner Menschlichkeit“erinnert. Zur Erinnerung: Für Christen ist Jesus nicht nur „wahrer Gott“, sondern auch „wahrer Mensch“. Manchmal könnte man im Christentum aber tatsächlich den Eindruck haben, dass dieses „wahre Menschsein“von Jesus zu sehr vom „Gottessohn“überstrahlt wird.
Für Klaus von Stosch ist die hohe Wertschätzung des Menschen Jesus diesbezüglich ein wertvolles Korrektiv. Besonders anrührend zeige sich das darin, wie im Koran das Lebensschicksal Jesu mit dem seiner Mutter Maria verkoppelt werde. „Die Darstellung Jesu als Sohn Mariens und sein erst allmähliches Heraustreten aus ihrem Hintergrund in der Sure Maryam zeigt seine echte Menschlichkeit.“Zugleich lasse der Koran bereits den Säugling Jesus reden und finde damit einen Weg, um dessen Besonderheit von Anfang an auszudrücken.
Diese Besonderheit des Kindes wird in der zitierten Sure 19 deutlich, der Sure Maryam. Als Maria unter ihren Wehen stöhnt – „Wäre ich doch vorher gestorben und ganz in Vergessenheit geraten“–, hört sie bereits ein tröstendes Wort ihres Ungeborenen. Erst recht wird der Säugling zu ihrem Verteidiger, als die Verwandten sie beschimpfen wegen ihres unehelichen Kindes.
Einen deutlichen Fingerzeig des Koran für Christen sieht der katholische Theologe auch darin, wie der Koran die innerchristlichen Streitigkeiten aufs Korn nimmt sowie den Zwist zwischen Christentum und Judentum. „Dem Verkünder des Koran ist es ein wichtiges Argument gegen den Glauben der Juden und Christen, dass sie sich so sehr und so unerbittlich untereinander streiten.“Der Aufruf des Koran zur Einheit sei ein eindringlicher Appell an die Christen, endlich dem Wunsch Jesu, „dass wir eins sein sollen (Joh. 17,22)“, zu folgen.
In derselben Maryam-Sure findet sich freilich auch eine Kernaussage gegen die „Vergöttlichung“Jesu. So heißt es in Vers 35: „Es steht Gott nicht an, sich irgendein Kind zuzulegen. Gepriesen sei er!“Diese Kritik gilt nach Ansicht des muslimischen Theologen Mouhanad Khorchide aber nicht für das Christentum insgesamt, sondern nur für bestimmte Gruppierungen. In der Entstehungszeit des Koran auf der arabischen Halbinsel im 7. Jahrhundert sei das Christentum in vielerlei Glaubensstreitigkeiten über die Menschlichkeit und Göttlichkeit von Jesus zerstritten gewesen. Desgleichen hätten die Kriege zwischen Persien und dem Oströmischen Reich die Konflikte zwischen Juden und Christen zugespitzt.
Vor diesem Hintergrund gehe es dem Koran „um die grundsätzliche Warnung vor falschen Überzeugungen und Praktiken wie der Vergöttlichung von Menschen und Gelehrten, die zu einer Privilegierung der eigenen religiösen Überzeugung führt und so Gottes Allmacht infrage stellt.“Diese Mahnung richte sich genauso an Muslime.
Entscheidend ist nach Ansicht Khorchides, dass der Koran Jesus nicht nur als Überbringer einer Botschaft sieht. Vielmehr seien auch sein Leben und Wirken Inhalt dieser Botschaft. Das unterstreiche die Besonderheit dieses Propheten und begründe eine Parallele zwischen „Jesus als Wort Gottes“und dem „Koran als Wort Gottes“. Beide, Jesus und der Koran, seien Zeichen, in denen Gott den Menschen seine Barmherzigkeit erweise. „Und beide sind das Wort Gottes.“Es sei eine dringende Frage an die muslimische Theologie, wieweit Muslime neben dem Koran auch Jesus als Wort Gottes anerkennen könnten, „ohne natürlich Jesus zu vergöttlichen“. Mouhanad Khorchide, Klaus von Stosch: „Der andere Prophet. Jesus im Koran“, 320 S., 28,80 Euro, Herder 2018.