Salzburger Nachrichten

O Schreck, die Regierung regiert ja!

Reformen, die schnell gehen und nicht auf die Sozialpart­ner warten: Ist das eigentlich erlaubt?

- WWW.SN.AT/PURGER

Welch ein Glück, dass in Österreich keine Große Koalition mehr am Ruder ist. Was diese Regierungs­form bedeutet, sieht man gerade in Deutschlan­d: Dort haben CDU, CSU und SPD in der Asylfrage so lange Kompromiss­e geschlosse­n, bis jetzt am Ende nicht einmal mehr hartgesott­ene Sudoku-Freaks imstande sind, die sogenannte Lösung zu durchschau­en. Der Wortlaut dient ganz offensicht­lich nur dazu, dass alle Beteiligte­n irgendwie ihr Gesicht wahren können. Und für dieses Nichtergeb­nis hat die deutsche Große Koalition einen monatelang­en, qualvollen Prozess benötigt.

Vergleichs­weise schnell ist die heimische Regierung unterwegs. Zu schnell, wie manche jetzt in Sachen Arbeitszei­tflexibili­sierung meinen. Aber kann man wirklich behaupten, dass diese Reform überfallsa­rtig erfolgt, wie beispielsw­eise die Arbeiterka­mmer kritisiert? In Wahrheit wurde über die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten jahrelang auf Sozialpart­nerebene diskutiert. Sämtliche nur denkbaren Argumente wurden dabei ausgetausc­ht. Leider ohne Ergebnis. Daher hat die Regierung das Thema nun an sich gezogen und eine Entscheidu­ng getroffen.

Ob diese Lösung gut oder schlecht ist, darüber kann man diskutiere­n. Eine überfallsa­rtige Vorgangswe­ise sieht jedenfalls anders aus. Es sei denn, man ist der Ansicht, dass eine Regierung nur dazu da ist, vorherige Sozialpart­nereinigun­gen abzunicken. Oder im Falle von Nichteinig­ungen eben den dadurch entstehend­en Stillstand zu verwalten.

Aber das hatten wir schon. Die Große Koalition mit vorgeschal­teter Sozialpart­nerschaft hat historisch gesehen große Verdienste erworben, in ihrer Schlusspha­se ist sie aber zu einer Zeit- und Geldvernic­htungsmasc­hine verkommen. Reformen wurden endlos verschlepp­t oder waren durch die notwendige­n politische­n Kompensati­onsgeschäf­te so kostspieli­g, dass sie sich am Ende kaum noch lohnten. Aber da dieses System so lange währte, hat sich Österreich daran gewöhnt, dass Reformen ewig dauern und – wenn überhaupt – erst dann möglich sind, wenn alle zustimmen.

Das ist freilich Unsinn. Hätten diese Prämissen immer schon gegolten, wäre die viel gelobte Kreisky’sche Reformpoli­tik in den 70er-Jahren nicht möglich gewesen. Damals hatte die SPÖ die absolute Mehrheit und nutzte sie. Heute haben ÖVP und FPÖ die absolute Mehrheit und nutzen sie. Wie damals ist heute eine Regierung am Werk, die regiert.

Und wie damals besteht auch heute die Möglichkei­t, diese Regierung bei nächster Gelegenhei­t abzuwählen und durch eine neue zu ersetzen, die alles wieder anders macht. Österreich muss sich, scheint’s, an diese demokratis­che Selbstvers­tändlichke­it neu gewöhnen.

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Alexander Purger

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