Die Siegerin kennt die Not der Immigranten
Der renommierteste österreichische Literaturpreis geht an Tanja Maljartschuk. Sie beherrscht, was im Trend liegt: einfühlendes Erzählen.
Die Texte, die bei den 42. deutschsprachigen Tagen der Literatur in Klagenfurt vorgelesen wurden, warteten fast durchgehend mit einer Geschichte auf, die sich gut nacherzählen lässt. Dagegen hatte einer wie Stephan Groetzner, der das wildere Erzählen pflegt, keine Chance. Er spielt mit dem literarischen Genre des Agentenkrimis, baut Österreich-Kritik ein, ignoriert den Faden der Chronologie, an dem sich Ereignisse auffädeln lassen. Auch Ally Klein, deren wüste Fantasie eine Endzeitstimmung heraufruft, die im Hier und Jetzt nicht zu verorten ist, fiel durch. Dabei hatten beide in der Kritik durchaus gut abgeschnitten, durften sich Hoffnungen auf einen Preis machen.
Den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis bekam die Favoritin, immerhin passt sie ins Schema der bisher Ausgezeichneten. Von Vorteil ist es, aus einem gefährlichen Land zu kommen und auf Deutsch zu schreiben. Tanja Maljartschuk ist Ukrainerin und hat etwas zu sagen, was ihren Kollegen aus dem deutschsprachigen Raum schwer möglich ist. Sie kennt die Welt der Immigranten, ihre Bedrohungen und Nöte. Im Mittelpunkt ihres Textes steht einer, der sich in den Westen durchgeschlagen und seinen Pass vernichtet hat. Jetzt ist er ein Niemand – „niemand suchte nach ihm, nicht einmal die Polizei“. Wenn Feridun Zaimoglu in seiner Eröffnungsrede sagte: „Wir stehen bei den Verlassenen“, könnte er einen wie Petro meinen. Nähe findet er bei einer anderen Verlassenen, einer alten Frau, um die er sich kümmert. Beide sind aus dem Netz der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gefallen. Von ihnen ist nichts zu erwarten, also erwarten sie von den anderen nichts. Der Begriff Empathie war einmal verpönt in der deutschen Literatur, weil es als problematisch galt, über Gefühle zu schreiben. Diese Bedenken haben sich aufgelöst, in Klagenfurt setzten gleich mehrere Autorinnen und Autoren darauf, ans Herz des Publikums zu greifen.
Gut möglich, dass die Literatur insgesamt versöhnlicher geworden ist. Keine Anklagen, keine Wutausbrüche, keine Szenarien der Vernichtung eines Gegenübers. Die Kälte eines sezierenden Blicks bleibt ebenso die Ausnahme wie das hitzige Sprechen über Ungerechtigkeiten der Welt. Dafür trägt uns heute eine Welle der Wärme, die spürbar macht, wie gut verstanden sich all jene fühlen dürfen, die der Fluch eines verdammten Zeitalters getroffen hat.
Für die einzige Österreicherin im Bewerb, Raphaela Edelbauer, ging sich der BSK-Bank-Publikumspreis von 7000 Euro aus. Dazu wird sie Stadtschreiberin in Klagenfurt. So ernst wie sie nahm niemand die Aufhellung der geschwärzten Seiten der österreichischen Nazizeit. Ihr wäre mehr zu wünschen gewesen.