Auch der Pflasterer ist schwer zu ersetzen
Zwölf-Stunden-Tag: Fachkräfte müssen am wenigsten befürchten, ausgebrannt zu werden.
Was der „Pflasterer Günter“leistet, kann wohl nur erahnen, wer selbst einmal auf einer Baustelle geschuftet hat und dem dann bereits am frühen Nachmittag alle Glieder wehgetan haben. In acht Stunden soll der Mann, den Gewerkschafter als Hauptargument gegen den Zwölf-Stunden-Tag anführen, 1300 Kilogramm bewegen. Das ist unglaublich viel und auf Dauer unzumutbar. Und trotzdem ist Günter ein schlechtes Beispiel, um die Arbeitszeitflexibilisierung zu bekämpfen.
Andere wären ungleich besser geeignet. Wer mit abgehetzten Pizzazustellern und „Limousinen“-Fahrern spricht, weiß, wovon die Rede ist. Es gibt da ein neues Proletariat, für das Endlosplackerei ebenso kennzeichnend ist wie null Schutz, minimales Einkommen und maximale Unsicherheit. Das ist beschämend für eine entwickelte Gesellschaft.
Die Arbeitszeitdebatte geht jedoch überhaupt ziemlich weit an der Praxis vorbei: Wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert. „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf“sind in diesem Montag-bisFreitag-Rhythmus zu einem Minderheitenprogramm geworden. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) hat festgestellt, dass bereits 50,3 Prozent aller Unselbstständigen „unübliche Arbeitszeiten“haben. Ja, aus „unüblich“ist eher „üblich“geworden: Arbeiten am Abend, in der Nacht, am Wochenende oder im Schicht- bzw. Wechseldienst etwa.
Geht es den Betroffenen schlecht? Nicht unbedingt. Statistik Austria hat erhoben, dass fixe Arbeitszeiten nicht zu einem gesteigerten Wohlbefinden führen. Im Gegenteil: Nur 48,2 Prozent der Männer und Frauen, die fixe Zeiten haben, sind mit ihrem Job sehr zufrieden. Umgekehrt beträgt der Anteil bei all jenen, die sich ihre Zeit weitgehend selbst einteilen können, ganze 69,4 Prozent. Selbstbestimmung ist demnach ein entscheidender Faktor.
Das sollte in der Debatte berücksichtigt werden. Eine andere Entwicklung detto: Neben dem neuen Proletariat wächst der Anteil gut ausgebildeter Fachkräfte zwar; er tut das aber nicht stark genug. Besonders in Westösterreich: Ein Vorarlberger Bauingenieurbüro, das einen Statiker verliert, hat ein echtes Problem; es braucht gut und gern ein Jahr, um einen Nachfolger zu finden. In Salzburg kamen zuletzt auf einen Lehrstellensuchenden drei offene Stellen. Auch das ist Ausdruck eines Fachkräftemangels.
Zurück zu Günter, der wohl auch einmal eine Lehre gemacht hat: Unternehmen werden sich mehr denn je hüten, Leute wie ihn auszubrennen und ihnen einen Zwölf-Stunden-Tag nach dem anderen diktieren. Sie werden sich viel mehr um einen Interessenausgleich mit ihnen bemühen. Zu schwer sind sie zu ersetzen.