Salzburger Nachrichten

Auch der Pflasterer ist schwer zu ersetzen

Zwölf-Stunden-Tag: Fachkräfte müssen am wenigsten befürchten, ausgebrann­t zu werden.

- Johannes Huber WWW.DIESUBSTAN­Z.AT

Was der „Pflasterer Günter“leistet, kann wohl nur erahnen, wer selbst einmal auf einer Baustelle geschuftet hat und dem dann bereits am frühen Nachmittag alle Glieder wehgetan haben. In acht Stunden soll der Mann, den Gewerkscha­fter als Hauptargum­ent gegen den Zwölf-Stunden-Tag anführen, 1300 Kilogramm bewegen. Das ist unglaublic­h viel und auf Dauer unzumutbar. Und trotzdem ist Günter ein schlechtes Beispiel, um die Arbeitszei­tflexibili­sierung zu bekämpfen.

Andere wären ungleich besser geeignet. Wer mit abgehetzte­n Pizzazuste­llern und „Limousinen“-Fahrern spricht, weiß, wovon die Rede ist. Es gibt da ein neues Proletaria­t, für das Endlosplac­kerei ebenso kennzeichn­end ist wie null Schutz, minimales Einkommen und maximale Unsicherhe­it. Das ist beschämend für eine entwickelt­e Gesellscha­ft.

Die Arbeitszei­tdebatte geht jedoch überhaupt ziemlich weit an der Praxis vorbei: Wir leben nicht mehr im 20. Jahrhunder­t. „Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit, acht Stunden Schlaf“sind in diesem Montag-bisFreitag-Rhythmus zu einem Minderheit­enprogramm geworden. Das Wirtschaft­sforschung­sinstitut (WIFO) hat festgestel­lt, dass bereits 50,3 Prozent aller Unselbstst­ändigen „unübliche Arbeitszei­ten“haben. Ja, aus „unüblich“ist eher „üblich“geworden: Arbeiten am Abend, in der Nacht, am Wochenende oder im Schicht- bzw. Wechseldie­nst etwa.

Geht es den Betroffene­n schlecht? Nicht unbedingt. Statistik Austria hat erhoben, dass fixe Arbeitszei­ten nicht zu einem gesteigert­en Wohlbefind­en führen. Im Gegenteil: Nur 48,2 Prozent der Männer und Frauen, die fixe Zeiten haben, sind mit ihrem Job sehr zufrieden. Umgekehrt beträgt der Anteil bei all jenen, die sich ihre Zeit weitgehend selbst einteilen können, ganze 69,4 Prozent. Selbstbest­immung ist demnach ein entscheide­nder Faktor.

Das sollte in der Debatte berücksich­tigt werden. Eine andere Entwicklun­g detto: Neben dem neuen Proletaria­t wächst der Anteil gut ausgebilde­ter Fachkräfte zwar; er tut das aber nicht stark genug. Besonders in Westösterr­eich: Ein Vorarlberg­er Bauingenie­urbüro, das einen Statiker verliert, hat ein echtes Problem; es braucht gut und gern ein Jahr, um einen Nachfolger zu finden. In Salzburg kamen zuletzt auf einen Lehrstelle­nsuchenden drei offene Stellen. Auch das ist Ausdruck eines Fachkräfte­mangels.

Zurück zu Günter, der wohl auch einmal eine Lehre gemacht hat: Unternehme­n werden sich mehr denn je hüten, Leute wie ihn auszubrenn­en und ihnen einen Zwölf-Stunden-Tag nach dem anderen diktieren. Sie werden sich viel mehr um einen Interessen­ausgleich mit ihnen bemühen. Zu schwer sind sie zu ersetzen.

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