Der Traum vom „Goldenen Westen“
Großgmain ist durch den Weißbach von Bayerisch Gmain getrennt. „Herüben“drängen sich die Autos mit den BGL-Nummern seit Jahren vor der örtlichen Tankstelle.
Seit Beginn der Fußball-WM waren viele Autos mit den deutschen Farben bewimpelt und aus einem Auto grüßte mich ein Stinkefinger, wohl einen kleinen Triumph symbolisierend, weil wir – obwohl die Deutschen in der Vorbereitungsrunde geschlagen – die Qualifikation nicht geschafft hatten. Dann der Schreck: Die Deutschen in der Vorrunde ausgeschieden. Dies hatte zwar keinen Einfluss auf die Autoschlangen vor unserer Tankstelle, aber die Fähnchen waren schlagartig verschwunden. Kein Stinkefinger mehr. Nationale Begeisterung war dem nüchternen Kalkül der offenen EU-Marktwirtschaft gewichen.
Keine Zöllner behindern den freien Warenverkehr, wühlen in Kofferräumen herum und prüfen die Benzinuhren. Fast packt mich die Wehmut, wenn ich an die abenteuerlichen Fahrten nach Prag denke, wo ich für ein Buch recherchierte, an den Nervenkitzel und das Unbehagen an der Grenze, wenn die bedrohliche Staatsmacht in den grünen Uniformen nach den Pass fragte. Und an den unterdrückten Triumph, wenn sie nur den Eierlikör und die Strumpfhose für meine Tante requirierten, aber die Jeans, die österreichischen Zeitungen und den „Playboy“für ihre Männer nicht fanden. Man kann sich kaum vorstellen, wie die Menschen in den ehemaligen Ostblockstaaten vom „Goldenen Westen“träumten. Inzwischen ist die EU für sie auch längst Realität. Horst Weber 5084 Großgmain