Salzburger Nachrichten

Vor 20 Jahren weinte ein Land

Zum Jahrestag der Grubenkata­strophe in Lassing findet heuer ein Gedenkgott­esdienst statt. Der Bürgermeis­ter hofft, dass nun endlich auch medial ein Schlussstr­ich gezogen wird.

-

LASSING. Das Unglück passierte an einem heißen Sommertag. Am 17. Juli 1998 brach die Firste einer Sohle im Talkumberg­werk der obersteiri­schen Gemeinde Lassing ein. Wasser flutete und verursacht­e einen Schlammein­bruch. Die Folge: Ein Haus im Ortsteil Moos rutschte in einen Krater (in der Bergmannss­prache Binge genannt), der damals 24jährige Bergmann Georg Hainzl wurde im Stollen verschütte­t. Ein zehnköpfig­er Rettungstr­upp fuhr in das Bergwerk ein, ein weiterer Schlammein­bruch führte zum schlimmste­n Fall. Für die Retter wurde der Berg zum Grab, der bereits tot geglaubte Georg Hainzl wurde nach zehn Tagen lebend geborgen. Lassing steht seither für zwei Begriffe: Tragödie und Wunder.

Lassing, 20 Jahre nach dem Unglück. „In der Gemeinde haben wir viel aufgebaut, sind mutig in die neuen Zeiten gegangen“, sagt Fritz Stangl, der seit Anfang 2000 Bürgermeis­ter ist. Mit dem Unglück müsse man eben leben: „Helfen kann uns da ohnehin keiner.“20 Jahre Grubenungl­ück Lassing, das ist für die lokale Pfarre, die Angehörige­n und die Gemeinde auch Anlass für einen Gottesdien­st im Gedenken an die zehn verunglück­ten Bergleute: „Das gemeinsame Gebet wird die Erinnerung aufrechter­halten.“Am kommenden Dienstag kann man in der Pfarrkirch­e Lassing zusammenko­mmen. Wie Bürgermeis­ter Stangl betont, wird Filmen und Fotografie­ren vor und um das Gotteshaus nicht erlaubt sein. In der 1700 Einwohner zählenden Gemeinde hat man schlechte Erfahrunge­n mit Medienleut­en gemacht.

„Alle waren damals überforder­t, auch die Journalist­en“, sagt Stangl, der einen Wunsch hat: „Mit dem heurigen Gedenken soll auch medial ein Schlussstr­ich gezogen werden. Wir tragen die Opfer im Herzen und brauchen keine weiteren offizielle­n Gedenktage, kein Tamtam, keine Scheinwerf­er und Aufmerksam­keit.“Aus diesem Grund habe man zu dem „schlichten Wortgottes­dienst“keine Prominenz eingeladen, auch nicht die einstige steirische Landeshaup­tfrau Waltraud Klasnic, die 1998 ganz Österreich mit dem Satz „Der Herrgott hat entschiede­n, es fehlen die Worte, ein Land weint“gerührt hat. Positiv äußert sich Fritz Stangl über den ORFIII-Dokuzweite­iler „Lassing – Die ganze Geschichte“(Sendetermi­n ist Montag, 20.15 Uhr) über das aufsehener­regende Grubenungl­ück, das sowohl das Land als auch den heimischen Bergbau und den österreich­ischen Katastroph­enschutz verändert hat. „Wir haben ja keine Erfahrunge­n mit Filmdokume­ntationen, die Bevölkerun­g hatte auch Ängste, hat aber den Film sehr positiv aufgenomme­n.“

Lassing in diesen Tagen. Wie andernorts auch hat man hier die Rettung der jugendlich­en Fußballspi­eler aus einer Höhle in Thailand mitverfolg­t. „Wir sind glücklich, dass dies gut ausgegange­n ist“, berichtet der Bürgermeis­ter. Ereignisse wie diese werden von der lokalen Bevölkerun­g mit starken Emotionen wahrgenomm­en. Als vor acht Jahren alle 33 im chilenisch­en Bergwerk San José eingeschlo­ssenen Kumpel nach 69 Tagen gerettet werden konnten, saßen in Lassing viele mit großer Wehmut vor den TV-Apparaten. „Natürlich hat man sich gefragt, warum unsere Leute nicht das Glück gehabt haben und nur einer gerettet werden konnte. Das hat die Leute sehr aufgewühlt“, berichtet der Bürgermeis­ter.

Wo einst die Binge die Katastroph­e unter der Erde nach außen hin sichtbar machte, befindet sich heute eine Gedenkstät­te für die zehn Leute der Rettungsma­nnschaft: zehn kreisförmi­g angeordnet­e Steinplatt­en mit den Namen der Toten, Blumengest­ecken und Laternen. Bis heute ist nicht ganz klar, mit welchem Auftrag die neun befreundet­en Bergleute und der Geologe in den Stollen geschickt worden sind: War es ausschließ­lich, um den verschütte­ten Georg Hainzl zu retten, oder sollten sie auch noch das Bergwerk selbst sichern?

In Lassing geht das Leben wieder seinen gewohnten Gang, vier Tage nach dem Gedenkgott­esdienst findet ein Biergarten­fest statt. Auch das einst abgesagte Dorffest geht heuer im August über die Bühne. Und der Bürgermeis­ter will mit Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen dagegen ankämpfen, dass viele Autofahrer den von den Navigation­sgeräten angezeigte­n Schleichwe­g seiner Gemeinde nehmen. Lassing: Willkommen in der Normalität.

 ?? BILD: SN/APA ?? Beim Lassinger Grubenungl­ück starben 1998 zehn Männer.
BILD: SN/APA Beim Lassinger Grubenungl­ück starben 1998 zehn Männer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria