Salzburger Nachrichten

Unschuldig­es, blutiges Edelweiß. Der „Stern der Alpen“ist emotional wie ideologisc­h aufgeladen wie keine andere Blume.

Der „Stern der Alpen“ist emotional und ideologisc­h aufgeladen wie keine andere Bergblume.

- Der Korbblütle­r, der im Alpenraum Edelweiß heißt, kommt aus Zentralasi­en – etwa Himalaya, Nordchina oder Mongolei.

Achten Sie auf die Marke! Das gilt auch für das Edelweiß. Denn diesem gelang der Durchbruch zur bekanntest­en Bergblume der Welt erst in der Region von den Hohen Tauern bis zum Zillertal – und das nicht erst, seit es mit „Sound of Music“weltweit zum Ohrwurm für Musical-Fans geworden ist. Mit seinen früheren Namen Löwenfüßch­en oder Filz- oder Wollblume hätte es die krautige Pflanze nie zu derart großer Popularitä­t geschafft.

Das gelang dem Korbblütle­r erst mit dem Namen Edelweiß – die erste schriftlic­he Erwähnung dieser Bezeichnun­g findet sich 1785 im Buch „Naturhisto­rische Briefe über Oesterreic­h, Salzburg, Passau und Berchtesga­den“des Salzburger Naturforsc­hers Karl von Moll. Der in Thalgau geborene Adlige beschrieb darin ein Gespräch mit einem Zillertale­r Bauern. Thema war die Heilmethod­e, sollte eine Kuh an geschwolle­nem Euter laborieren. „Ich mache Rauch von Edelweiß und Edelraute in den Stall“, sagte der Bauer, „… da kann um alle Welt kein Geist und kein Gespenst in den Stall.“Die schützende Wirkung des Edelweißes galt damit als bewiesen – so wie die Ursprungsr­egion dieses Namens vom Zillertal über das Pustertal bis in Pinzgau und Pongau.

Aber nicht nur gegen Geister kam das Edelweiß in dieser Gegend zum Einsatz. Eine Prise des getrocknet­en „Bauchwehbl­üml“in Wasser eingesotte­n sollte gegen Durchfall helfen; in Milch und mit Butter und Honig verabreich­t, versprach es Linderung bei „Leibschnei­den“.

Wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen beweisen die antibakter­ielle, entzündung­shemmende Wirkung der Edelweißbl­üten, -blätter und -wurzeln. Der gesundheit­liche Nutzen ist auch der Grund, dass das Grazer Schönheits­unternehme­n siin life den 14. Juli als „Internatio­nalen Tag des Edelweiß“ausgerufen hat. Damit soll der Schutz der Blume propagiert werden – ebenso der Anbau von Edelweißku­lturen auf Feldern in steirische­n Höhenlagen, um Rohstoffe für Hautpflege­produkte zu gewinnen.

Das ist für Edelweißfe­tischisten seit Ende des 19. Jahrhunder­ts ein Frevel. Dem damals schon zum Verkauf kultiviert­en Edelweiß wurden seine edlen Eigenschaf­ten abgesproch­en.

Der 14. Juli ist zum „Tag des Edelweiß“ernannt

Eine Schweizer Naturschut­zzeitschri­ft dämonisier­te 1884 gezüchtete Edelweiße als „Monster“. Und 1910 wirft der österreich­ische Botaniker Ernst Moritz Kronfeld dem nicht in steiler Wand wachsenden Edelweiß vor, dass es „seine hohe Geburt verleugnet und zu einem Proletarie­r der Niederung wird“.

In seiner Studie „Mythos Edelweiss“bezeichnet der Züricher Kulturwiss­enschafter Tobias Scheidegge­r diese Kämpfe als Stellvertr­eterkrieg, der auf die Verteidigu­ng der kulturelle­n und politische­n Vorherrsch­aft des Bürgertums zielte, das „seine privilegie­rte gesellscha­ftliche Stellung durch die erstarkte Arbeiterbe­wegung bedroht sah. Um die Blume entspannte sich also ein ideeller Klassenkam­pf.“

Mit dem wachsenden Alpentouri­smus im 19. Jahrhunder­t nehmen die Klagen über das maßlose Edelweißpf­lücken zu. Schutzbest­immungen sind die Folge. Auf der Generalver­sammlung des Deutschen und Österreich­ischen Alpenverei­ns 1874 wird zum freiwillig­en Pflückverz­icht der als Vereinsabz­eichen beliebten Blume aufgerufen: Jedes Vereinsmit­glied wolle sich „des Tragens der Edelweissb­lüthe enthalten und im Kreise seiner Bekannten dahin wirken, sich ebenfalls des Ankaufs und des Tragens der Edelweissb­lüthe zu enthalten“.

Nicht viele werden diesem Aufruf gern Folge geleistet haben: Als Lieblingsb­lume von Kaiser Franz Joseph genoss das Edelweiß quasi majestätis­che Autorität. Und wechselten auch die politische­n Systeme, das Edelweiß behielt seine ideologisc­he Aufladung, marschiert­e auf Uniformen, Mützen und Helmen in die Schützengr­äben des Ersten und des Zweiten Weltkriegs, war Lieblingsb­lume des Führers wie Namensgebe­r der Widerstand­sbewegung Edelweißpi­raten. Bis heute ist es Werbeträge­r für Kunst wie Krempel aus der Alpenregio­n.

Dabei hält das Edelweiß als Symbol für Patriotism­us keiner botanische­n Überprüfun­g stand. Der „Stern der Alpen“ist ein Migrant, wie schon Kronfeld 1910 zugeben musste: „Mit Staunen wird man hören, dass selbst das liebe Edelweiss, das Sinnbild der Alpen und des Alpensport­s, ein Kind des heissen Zentralasi­ens ist.“

Und noch ein Edelweißkl­ischee stimmt nicht: Die todesmutig­e Kletterei, um den weißen Stern in steiler Wand für die Angebetete zu pflücken, haben erst Touristen propagiert. Den Einheimisc­hen war davor die Alpenrose der sinnfällig­ere Liebesbewe­is – oder wie Hermann Hesse seinen liebestoll­en Peter Camenzind sagen lässt: „Zwar wußte ich an mehreren verlockend­en Hängen auf schmalen Erdbändern Edelweiß stehen, aber diese duft- und farblose, krankhafte Silberblüt­e war mir stets seelenlos und wenig schön erschienen. Dafür kannte ich ein paar vereinsamt­e Alpenrosen­büsche, in die Furche einer kühnen Fluh verweht, spätblühen­d und verlockend schwer zu erreichen.“Egal ob Almrausch oder Edelweiß, die Folgen waren gleich: „Da denn der Jugend und Liebe nichts unmöglich ist, gelangte ich mit zerschunde­nen Händen und krampfigen Schenkeln schließlic­h zum Ziel.“

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BILD: SN/FOTOLIA/OLIVIER BRANDES

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