Lasst dem WM-Rausch keinen Kater folgen!
Die Fußball-WM in Russland hat die Erwartungen übertroffen. Wird es positive Folgen für das Land haben? Es bestehen Zweifel.
Vier Wochen lang durfte also im WM-Land ausgelassen gefeiert werden. Die Stimmung war herzlich, die Polizei hatte bei einer gelungenen Organisation nur die Rolle als Unterstützer und Beobachter. Ausschreitungen blieben weitgehend aus. Und Russland durfte bei der Heim-WM gleich zweifach feiern: Zum einen erreichte die Sbornaja das Viertelfinale, was dem Außenseiter vor dem Turnier niemals zugetraut wurde. Zum anderen wurde ein Fußballfest zelebriert, Fans aus verschiedenen Nationen zogen Arm in Arm durch die elf Spielorte. Die Angst vor den rabiaten russischen Hooligans, die noch bei der EM 2016 in Frankreich gewütet hatten, war unbegründet. Die russische Staatsmacht hatte in den letzten Jahren wohl schon zu oft eindringlich gezeigt, wie sie mit Störenfrieden umgeht. Das hat die meisten abgeschreckt. Da gab es sogar Lob von FIFA-Präsident Gianni Infantino, der diese WM als beste der Fußballgeschichte bezeichnete – wie jedes Mal.
Aber hat König Fußball in Russland etwas bei den Regierenden bewirkt? Wohl kaum. Die Politik von Präsident Wladimir Putin wird sich nicht ändern. Die Weltoffenheit ist mit dem 16. Juli dahin. Er hat sein Ziel erreicht, nach den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi der Welt wieder zu beweisen, dass Russland im Sport liefern kann. Abseits aller Dopingvorwürfe, abseits aller kolportierten Korruption bei der WMVergabe und Missstände im Land. Wir erinnern uns: Nach Sotschi kehrte schnell der Alltag wieder ein. Es dauerte nur ein paar Wochen, bis der allmächtige Präsident die Krim-Annexion anordnete – nach der Fußball-WM wird sich vermutlich ein ähnlicher Plan nicht wiederholen. Noch dazu ging ein Plan Putins auf: Ja nicht die Kritik im eigenen Land aufkommen zu lassen. Die ausländischen Fußballfans haben in dieser Hinsicht nur wenig mitbekommen, denn außerhalb der Fanzonen und Stadien hatten sie keinen Zugang. Da endete die Freundlichkeit der Polizei.
Sportlich scheint dennoch die WM in Russland eine ganz spezielle Aufbruchsstimmung ausgelöst zu haben. Vor allem bei den Kindern – so Experten – heißen die neuen Helden Mbappé, Golowin oder Modrić. Es wird nun auf den Straßen gekickt, diskutiert und nachgeahmt. SN-Korrespondent Stefan Scholl berichtete zuletzt von ungewöhnlich patriotischen Tagen in Russland und von einer Rückkehr des Heroismus, vor allem die beseelten Mienen der russischen Nationalkicker hätten bewegt. Es gibt in Russland eine neue Fußballwelt mit Chancen vor allem für die Jugend, sie soll von einer angekündigten Nachnutzung der Stadien profitieren. Ein erster Weg, um dem WM-Rausch keinen Kater folgen zu lassen.