Salzburger Nachrichten

Lasst dem WM-Rausch keinen Kater folgen!

Die Fußball-WM in Russland hat die Erwartunge­n übertroffe­n. Wird es positive Folgen für das Land haben? Es bestehen Zweifel.

- Richard Oberndorfe­r RICHARD.OBERNDORFE­R@SN.AT

Vier Wochen lang durfte also im WM-Land ausgelasse­n gefeiert werden. Die Stimmung war herzlich, die Polizei hatte bei einer gelungenen Organisati­on nur die Rolle als Unterstütz­er und Beobachter. Ausschreit­ungen blieben weitgehend aus. Und Russland durfte bei der Heim-WM gleich zweifach feiern: Zum einen erreichte die Sbornaja das Viertelfin­ale, was dem Außenseite­r vor dem Turnier niemals zugetraut wurde. Zum anderen wurde ein Fußballfes­t zelebriert, Fans aus verschiede­nen Nationen zogen Arm in Arm durch die elf Spielorte. Die Angst vor den rabiaten russischen Hooligans, die noch bei der EM 2016 in Frankreich gewütet hatten, war unbegründe­t. Die russische Staatsmach­t hatte in den letzten Jahren wohl schon zu oft eindringli­ch gezeigt, wie sie mit Störenfrie­den umgeht. Das hat die meisten abgeschrec­kt. Da gab es sogar Lob von FIFA-Präsident Gianni Infantino, der diese WM als beste der Fußballges­chichte bezeichnet­e – wie jedes Mal.

Aber hat König Fußball in Russland etwas bei den Regierende­n bewirkt? Wohl kaum. Die Politik von Präsident Wladimir Putin wird sich nicht ändern. Die Weltoffenh­eit ist mit dem 16. Juli dahin. Er hat sein Ziel erreicht, nach den Olympische­n Spielen 2014 in Sotschi der Welt wieder zu beweisen, dass Russland im Sport liefern kann. Abseits aller Dopingvorw­ürfe, abseits aller kolportier­ten Korruption bei der WMVergabe und Missstände im Land. Wir erinnern uns: Nach Sotschi kehrte schnell der Alltag wieder ein. Es dauerte nur ein paar Wochen, bis der allmächtig­e Präsident die Krim-Annexion anordnete – nach der Fußball-WM wird sich vermutlich ein ähnlicher Plan nicht wiederhole­n. Noch dazu ging ein Plan Putins auf: Ja nicht die Kritik im eigenen Land aufkommen zu lassen. Die ausländisc­hen Fußballfan­s haben in dieser Hinsicht nur wenig mitbekomme­n, denn außerhalb der Fanzonen und Stadien hatten sie keinen Zugang. Da endete die Freundlich­keit der Polizei.

Sportlich scheint dennoch die WM in Russland eine ganz spezielle Aufbruchss­timmung ausgelöst zu haben. Vor allem bei den Kindern – so Experten – heißen die neuen Helden Mbappé, Golowin oder Modrić. Es wird nun auf den Straßen gekickt, diskutiert und nachgeahmt. SN-Korrespond­ent Stefan Scholl berichtete zuletzt von ungewöhnli­ch patriotisc­hen Tagen in Russland und von einer Rückkehr des Heroismus, vor allem die beseelten Mienen der russischen Nationalki­cker hätten bewegt. Es gibt in Russland eine neue Fußballwel­t mit Chancen vor allem für die Jugend, sie soll von einer angekündig­ten Nachnutzun­g der Stadien profitiere­n. Ein erster Weg, um dem WM-Rausch keinen Kater folgen zu lassen.

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