Zwei Machtmenschen unter vier Augen
US-Präsident Donald Trump schlägt erneut eine Empfehlung seiner Berater aus: In Helsinki trifft er heute Kremlchef Wladimir Putin zu einem Vieraugengespräch. Ausgang? Ungewiss.
Seine Sicherheitsberater hatten den Ratschlag eigens in Großbuchstaben auf den Sprechzettel geschrieben: „Nicht gratulieren!“, stand dort. Keinesfalls sollte der US-Präsident den von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleiteten Urnengang am vierten Jahrestag der Krim-Annexion durch freundliche Worte legitimieren. Doch kaum hatte Trump Ende März den russischen Präsidenten Wladimir Putin am Telefon, beglückwünschte er ihn herzlich zu seinem großen Sieg bei der Präsidentschaftswahl.
Die bizarre Episode liefert einen Vorgeschmack auf die Begegnung der beiden mächtigsten Staatschefs am heutigen Montag in Helsinki. Nach Trumps Willen soll das Treffen der Höhepunkt seiner EuropaReise werden: „Ich habe die NATO. Ich habe England. Und ich habe Putin. Und ehrlich gesagt könnte er der Einfachste von allen werden“, schilderte er vor dem Abflug sein Programm.
Schon diese Bemerkung hat viele Beobachter in den USA alarmiert, die fürchten, dass der von Emotionen geleitete Deal-Macher den hochintelligenten ehemaligen KGBOffizier völlig unterschätzt. Nach der Anklageerhebung gegen zwölf russische Geheimdienstmitarbeiter, die für die beispiellose Hackerattacke auf die US-Demokraten während des Präsidentschaftswahlkampfs verantwortlich sein sollen, wirkt Trumps Unbekümmertheit umso befremdlicher.
In Moskau weiß auch niemand so recht, was man von dem Treffen in Helsinki halten soll. Was will dieser Trump von Russland? Und worauf kann man sich mit ihm einigen? Mögen sich Wladimir Putin und Donald Trump, oder mögen sie sich nicht? Ihr erstes Gespräch im Juli am Rande der G20-Konferenz in Hamburg sollte eine halbe Stunde dauern, schließlich plauderten die beiden zwei Stunden lang. Ihr zweites offizielles Treffen beim APECGipfel aber ließ die amerikanische Seite aus „Termingründen“platzen, es reichte nur zum wortreichen Händeschütteln beim Fototermin.
Dabei hat der US-Präsident ein ganz besonderes Verhältnis zu dem Autokraten im Kreml. Aus seiner Bewunderung hat Trump nie einen Hehl gemacht. Schon 2007, als Moskau einer Cyberattacke gegen Estland beschuldigt wurde, schwärmte der Immobilienmogul: „Schaut euch Putin an. Dieser Kerl macht einen tollen Job, das Image von Russland und das russische Zeitalter wiederaufzubauen.“
Putin hatte gerade Gesetze gegen Homosexuelle verabschieden lassen, als Trump 2013 auf Twitter spekulierte, ob Putin seinen Miss-Universe-Wettbewerb in Moskau besuchen werde: „Wird er mein neuer bester Freund werden?“
Seit seinem Amtsantritt buhlt Trump offen um die Zuneigung des Russen. Fast jeden westlichen Regierungschef hat er kritisiert, beleidigt und diffamiert – nur Putin nicht. Wäre da nicht seine Vorliebe für Cheeseburger und Cola, würde Trump wahrscheinlich auch mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd posieren, wie Putin.
Offensichtlich ist der US-Präsident von seinem russischen Amtskollegen fasziniert: Er mag Machtmänner, die Kritiker beiseiteschieben. Und eigentlich galt umgekehrt der rechtspopulistische Republikaner in Russland als sympathisch: Einer, der wie Putin wenig von kritischen Journalistenfragen oder politischer Korrektheit hält. „Putin lässt Journalisten und politische Gegner umbringen“, hielt ein Reporter 2015 Trump entgegen. „Nun ja, ich glaube, unser Land tötet auch viele Menschen“, antwortete er lapidar.
Nach seinem Wahlsieg 2016 feierten viele Russen Trump als wahrscheinlichen Gesinnungsalliierten. Aber dann gab es etliche neue USSanktionen gegen Russland, zwei Raketenschläge gegen das verbündete Syrien und die Lieferung von Panzerabwehrsystemen an die verfeindete Ukraine. Trump hat als russischer Hoffnungsträger arg gelitten. Skeptiker sagen zudem, das politische Establishment der USA habe ihn so eingemauert, dass ihm die Bewegungsfreiheit fehle. So besteht beispielsweise das inzwischen imposante Sanktionspaket gegen Russland aus Gesetzen, die nicht Trump, sondern nur der Kongress aufheben kann.
So unterschiedlich der Geschäftemacher Trump und der Politstratege Putin sind, so frappierend ähnlich wirken ihre Methoden: Beide arbeiten mit Konspirationstheorien und Lügen, untergraben die Glaubwürdigkeit von kritischen Institutionen und stellen internationale Bündnisse infrage. Darüber, ob es auch ganz andere, handfeste Gründe für Trumps Anbiederung bei Putin gibt, kann man nur spekulieren. Zwar hat Sonderermittler Mueller massive russische Troll-Aktivitäten und Hackerangriffe zum Schaden der US-Demokraten nachgewiesen, doch eine direkte Verwicklung von Trump konnte er bislang nicht nachweisen.
Umso merkwürdiger wirkt es, dass Trump wie besessen von den Russland-Ermittlungen ist. „Es gab keine Zusammenarbeit“, ballert er alle paar Tage bei Twitter heraus. In London beschuldigte er indirekt sogar die eigenen Behörden einer Verschwörung. „Ich würde es eine manipulierte Hexenjagd nennen“, diffamierte er die Ermittlungen. „Das schadet unserem Land und unserer Beziehung zu Russland.“
Dass Putin in Helsinki auch nur die geringste und mittelbare Einflussnahme Russlands auf die USWahlen eingesteht, gilt nicht nur in Moskau als völlig ausgeschlossen. Geschweige denn, dass er eine Garantie abgibt, dass sich solches nicht wiederholen werde. Auch wenn Trump genau das laut der Moskauer Zeitung „Kommersant“gern von ihm hören würde.
Auch die anderen Themen, die beide am heutigen Montag in Helsinki verhandeln werden, geben wohl nur magere Kompromisse her. Nach Angaben von US-Außenminister Mike Pompeo soll es vor allem um die Kriege in Syrien und der Ukraine gehen.
Die Lage im Donbass gilt als festgefahren, in Syrien nicht. Dort sollen die USA bereit sein, den Verbleib Baschar al-Assads an der Macht zu dulden. Im Gegenzug will Trump, dass alle iranischen Streitkräfte aus Syrien verschwinden. Aber nach Ansicht von Politikexperten sind Russlands politische Hebel in der Region zu kurz, um diese Forderung zu erfüllen.
Außerdem wollen die Amerikaner laut NATO-Botschafterin Bailey Hutchison den wackligen Vertrag über die Beseitigung von Nah- und Mittelstreckenraketen zur Sprache bringen. Die USA werfen Russland vor, den Vertrag zu verletzen, die Russen behaupten das Gegenteil. Auch in der Frage gilt ein zählbares Ergebnis als ungewiss.
Worauf sich Trump und Putin überhaupt einigen können? „Auf etwas, das den Europäern nicht gefällt“, denkt der russische Amerikanist Sergei Samuilow.