Der Komponist selbst wird zum Spielmacher
Paul Abrahams „Blume von Hawaii“ist erstmals in Bad Ischl zu sehen – mit dramaturgisch beigemischten Bitterstoffen.
Beim traditionsreichen Lehárfestival in Bad Ischl sind jetzt andere Töne angesagt. Der Hort der klassischen Silbernen Operette, von wo aus in den vergangenen Jahren neben den eingeführten Werken manche hörenswerte Rarität entdeckt und auch auf CD verbreitet wurde, setzt mit der ersten Inszenierung seines neuen Intendanten, Thomas Enzinger, auf luxurierende Revue-Operette. „Die Blume von Hawaii“von Paul Abraham, 1931 in Leipzig uraufgeführt, jetzt erstmals in Österreich in der neuen „Bühnenpraktischen Rekonstruktion“gegeben, wurde am Samstag nach drei knallbunten Stunden zum eindeutigen Erfolg.
Thomas Enzinger beherrscht sein Regiehandwerk perfekt. Was da auf der von Toto mit glitzernden Pop-Art-Elementen ausgestatteten Showbühne abgeht, hat mondäne Atmosphäre und großstädtischen Drive. Die überbordende Motorik reißt mit, entgleist selbst in den turbulentesten Momenten – und davon gibt es viele – nie, könnte in der Dosierung freilich grundsätzlich etwas dezenter sein. Dann würde man auch vom librettistischen Wortwitz mehr verstehen, als die leider ziemlich lausig eingestellte Tontechnik (und mancherlei sprechtechnisches Defizit der Darsteller) erlaubt. Vor allem die fulminante Choreografie von Ramesh Nair, der selbst in der Bufforolle des Buffy unter stetem zappeligem Überdruck über die Bühne fegt, sprengt fast die Grenzen der kleinen Bühne. Trotzdem hat man nie den Eindruck ungebührlicher Enge.
Das gilt erfreulicherweise auch für den von Marius Burkert verantworteten Orchestersound. Mit Wonne scheint man im brillanten Stilmix der Partitur zwischen großer Operettenromantik, coolen Jazzelementen, zündendem Marsch und explodierender Tanzrhythmik zu baden und dabei die herrlich abgemischte Vielfalt einer fantasiereichen Musik auszukosten.
Thomas Enzinger hat sich die Doppelrollen-Story auf eigene Art zurechtgezimmert. Die hawaiianische Prinzessin Laya (ganz sympathische Diva: Sieglinde Feldhofer), gibt sich als aus Paris zurückkehrende Diseuse Suzanne Provence aus, wird aber von ihrem Verlobten, dem Prinzen Lilo-Taro (mit kernigem Operettentenor: Clemens Kerschbaumer), erkannt und von ihrem Volk zur Königswürde gezwungen. Das wiederum missfällt dem kolonialistischen amerikanischen Gouverneur Lloyd Harrison (Mark Weigel) aus machtstrategischem Kalkül.
Enzinger versieht die verwickelte Geschichte mit einem zusätzlichen Doppelrollen-Kniff. Er lässt das Ganze als Wahntraum des Komponisten ablaufen, der zugleich in die Rolle des Gouverneurs schlüpft. Weigel wirkt, gespiegelt durch seinen als Jazzsänger Jim Boy (Gaines Hall) ins Geschehen gezogenen Kompagnon, in Glitzerfrack und weißen Handschuhen als Spielmacher wie der Zauberer Merlin.
Verquickt wird also der doppelt und dreifach sich windende Plot der Operette mit der tragischen Biografie ihres Schöpfers, der auf dem Gipfel seines genialisch sich auch selbstbefeuernden Ruhms, von den Nazis vertrieben, ins amerikanische Exil gezwungen wird, nach dem Krieg erkrankt und nur noch als Psychiatriepatient Europa, konkret: Hamburg wiedersehen kann.
Das mischt dem sprühenden Unterhaltungstheater zeitgeschichtliche Bitterstoffe bei, die sich erstaunlich unverkrampft mit brandaktuellen Themen von Heimat und Fremdsein, Überlegenheit und Unterdrückung, Flucht und Sehnsucht verbinden. Wie nebenbei wird auch mancher heute fragwürdige Exotismus quasi spielerisch überformt und in neuen Kontext gebracht: eine hochintelligente Volte.
Thomas Enzinger hat in Bad Ischl offenbar einiges vor. Franz Lehár hat im Sommer 2019, bis auf zwei Aufführungen seiner nie gehörten Rarität „Clo-Clo“, Szenenpause. Dafür geht es ins „Weiße Rössl“und, in einer Neuübersetzung zum Offenbach-Jahr, ins „Pariser Leben“. Am Samstag aber folgt noch, passend „exotisch“weitergedacht, „Das Land des Lächelns“. Operette: