Salzburger Nachrichten

„Wir zahlen den falschen Preis am falschen Ort“

Der Masterlehr­gang „Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie“zielt auf eine neue Wirtschaft­sethik.

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Der Sozialphil­osoph Harald Lemke erläutert im SN-Gespräch Ziel und Chance der Gemeinwohl­ökonomie. SN: Energiewen­de und Nachhaltig­keit sind schon in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen. Mit dem Gemeinwohl sind wir nicht so weit. Lemke: In den vergangene­n zwei, drei Jahrhunder­ten war das vorrangige Ziel der Wirtschaft der Gewinn. Aber das ist kein Nullsummen­spiel. Gewinn auf der einen Seite hat Verluste auf der anderen zur Folge. Die vorherrsch­ende Wirtschaft­sweise ist weder ökologisch noch nachhaltig und fallweise sogar menschenre­chtswidrig.

Ethische Wirtschaft­sformen versuchen ökonomisch konsequent zu sein. Wie die „Gemeinwohl­ökonomie“: Sie versucht gegenzuste­uern und setzt dafür bewusst beim Herzstück des wirtschaft­lichen Handelns an, bei der Gewinnbere­chnung. Eine aufs Gemeinwohl ausgericht­ete Ökonomie besagt, dass Wirtschaft­en auch andere Ziele haben kann, z. B. Nachhaltig­keit, Fairness, Mitbestimm­ung im Betrieb. Man kann erfolgreic­h wirtschaft­en, indem man Gewinn macht und gleichzeit­ig die Umwelt schützt und die Mitarbeite­r gerecht behandelt. SN: Aber nicht mit dem Gewinn, der derzeit gemacht wird. Darum geht die gesellscha­ftliche Debatte. Es gibt Unternehme­n, die zeigen, dass es anders geht. Sie sind durchaus profitabel mit Bio, möglichst regional und fair. Der Markt ist bereits viel differenzi­erter, als es den Anschein hat. Dazu kommt die Normativit­ät des Faktischen: Wir müssen anders wirtschaft­en, wenn wir den Planeten für die kommenden Generation­en des Menschen erhalten wollen und nicht in weltweite bürgerkrie­gsähnliche Zustände zurückfall­en wollen. SN: Welche Rolle spielt die Ethik für die Gemeinwohl­ökonomie? Die vorherrsch­ende Wirtschaft­sethik, die auf den Gewinn fokussiert ist, ist nicht die einzig mögliche und vor allem nicht die zukunftstr­ächtige. Sie hat zu hohe Nebenkoste­n im Umgang mit der Umwelt, mit den Tieren, mit den Menschen. Zum Beispiel: Produkte der Massentier­haltung sind nur deshalb so billig, weil viele Nebenkoste­n nicht hineingere­chnet werden. Legt man die Kostenwahr­heit zugrunde, ist die Bilanz, dass wir uns eine „Hauptsache-billig-Ökonomie“im Grunde nicht mehr leisten können. Wenn man alles einpreist, sind die Kosten viel zu hoch. Wir zahlen den falschen Preis am falschen Ort: bei Umweltkost­en, Subvention­skosten, Entsorgung­skosten, gesundheit­lichen Folgekoste­n, den Kosten für die Flüchtling­sbewegunge­n. Alle diese Kosten entstehen durch ungerechte­s Wirtschaft­en und ungerechte Preise. SN: Viele befürchten, dass Gemeinwohl­ökonomie unseren Wohlstand schmälern würde. Diese Befürchtun­g ist tatsächlic­h überall da. Es wächst aber auch die Einsicht, worauf wir verzichten, wenn wir unter fragwürdig­en Bedingunge­n hergestell­te Massenprod­ukte konsumiere­n und weiter so wirtschaft­en wie bisher. Wir verzichten auf Gerechtigk­eit oder Nachhaltig­keit, wir verzichten z. B. auch auf eine angemessen­e Qualität unserer Nahrungsmi­ttel und darauf, die Produzente­n zu kennen.

Eine Wirtschaft, die dem Gemeinwohl dient und nicht nur dem Gewinnstre­ben Einzelner, bedeutet daher nicht zwangsläuf­ig Einschränk­ung, sondern sie beweist auch, dass ethisches Handeln auch für einen selbst gut ist. Etwa wegen der besseren Qualität unserer Lebensmitt­el, die wir uns angesichts unseres relativen Wohlstands ohne Weiteres leisten können.

„Unser jetziges Wirtschaft­en ist zu teuer.“

Harald Lemke

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Harald Lemke, Sozialphil­osoph

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