Salzburger Nachrichten

Mit der Sowjetunio­n verschwand die Sicherheit

Der KGB-Offizier Wladimir Putin empfand den Untergang seines Weltreichs als Katastroph­e.

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MOSKAU. Als in Dresden „Wir sind das Volk“durch die Straßen hallt, damals im Jahr 1989, schiebt der Offizier Wladimir Wladimirow­itsch Putin immer wieder Dienst in der örtlichen Zentrale des sowjetisch­en Geheimdien­stes KGB. Er hört die Sätze einer friedliche­n Revolution genau, er fühlt sich unwohl. Es sind unsichere Zeiten für die DDR, die Sowjetunio­n, auch für Putin. Zeiten, die den heutigen russischen Präsidente­n, der sich – mit einem kleinen Rollenwech­sel – seit 18 Jahren an der Macht hält, bis heute beeinfluss­en. In einer Villa in der Dresdner Angelikast­raße hat er erlebt, was kompromiss­loses Handeln ausmacht und was passieren kann, wenn der Staat als schwach wahrgenomm­en wird. Putin will keinen schwachen Staat. Putin verachtet Schwäche. Er tut es bereits als Kind. Die Schwachen, so lernt er, lassen sich verprügeln. Er will sich nicht verprügeln lassen. Der mittlerwei­le 65-Jährige kokettiert gern mit seiner schwierige­n Kindheit und Jugend, er will dem Volk damit sagen: „Ich bin einer von euch.“

Am 7. Oktober 1952 kommt er in Leningrad, heute St. Petersburg, zur Welt. Die Geschwiste­r waren gestorben, die Eltern – Schlosser und Sanitäteri­n – arbeiten in einem Waggonbauw­erk. Der kleine Wowa wächst in einer Kommunalka auf, der typischen Wohnform der UdSSR. Sie leben zu dritt auf 20 Quadratmet­ern. Als Stalin stirbt, ist Putin keine fünf Monate alt. Wowa schlägt sich durch. Er will Sieger sein. Sein Kampfsport­lehrer Anatoli Rachlin rät zu einer Karriere bei der Polizei. Nach seinem Jus-Studium landete Putin beim Geheimdien­st. Motto: Vertraue niemandem! Sein Spitzname: „bleiche Motte“.

Als die Sowjetunio­n zerbricht, ist es für viele im Land – auch für Putin – eine Katastroph­e. Die Sicherheit­en, die es einst gab, sind nicht mehr. Der Minderwert­igkeitskom­plex ist groß. „Niemand hat uns zugehört. Hört uns jetzt zu“, sollte Wladimir Putin im März 2018 bei seiner Rede an die Nation sagen.

Es ist dieser Drang, wahrgenomm­en zu werden, als stark zu gelten, den Putin schon als Kind in den Leningrade­r Hinterhöfe­n spürte. Diese Erfahrung und auch die politische Erfahrung später unterschei­den ihn von der politische­n Prägung europäisch­er Politiker: Je dreister und härter man vorgeht, so das russische Verständni­s, desto größer der Erfolg. So spielt Putin stets den Starken, den Selfmadema­n, der alles unter Kontrolle habe. Dafür lieben ihn die Russen. Dafür hassen sie ihn auch. Er demonstrie­rt gern seine körperlich­e Stärke als Beleg für die Dominanz eines Herrschers – und eines Landes, das auf der Suche nach einem dritten Weg zwischen Sozialismu­s und Kapitalism­us ist.

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