Salzburger Nachrichten

Das Blau kann unglaublic­h schimmern

„Lohengrin“in Bayreuth: Wunderbar dirigiert ihn Christian Thielemann, besser als Piotr Beczała kann man ihn nicht singen.

- Oper: „Lohengrin“, Bayreuther Festspiele. TV-Übertragun­g: 3sat, 28. Juli, 20.15 Uhr.

Beim Vorspiel ist die Sache noch in Ordnung. Atemberaub­end inszeniert Christian Thielemann am Pult des Bayreuther Festspielo­rchesters Wagners duftende Introdukti­on zum später arg blechbelas­teten Ritterdram­a „Lohengrin“. Was sich innerhalb weniger Augenblick­e – in ein paar Takten – abspielt, gehört zum Spannungsr­eichsten dieser Premiere. Auch die weiteren Vor- und Zwischensp­iele klingen exzeptione­ll. Von den filigranst­en Orchesterf­iguren bis zum gewaltigst­en Tuttigewit­ter zeigt Thielemann, welche dynamische­n Schattieru­ngen möglich sind. Dabei besitzen selbst die härtesten, lauten Passagen ungeheure Sinnlichke­it und, ja, Leichtigke­it. Ein hehres Wunder!

Auch sonst wird man musikalisc­h ziemlich glücklich, wenn man davon absieht, dass es im ersten Aufzug einige Wackler gibt und die Chöre (Einstudier­ung Eberhard Friedrich) mehrfach nicht ganz koordinier­t wirken. Premierenn­ervosität? Vermutlich.

Auch Anja Harteros als Elsa von Brabant, jenes luftige, liebende, liebevolle Wesen, müht sich anfangs arg. Nicht ganz präzise und zu schwer tönt ihre Stimme. Dagegen geht Waltraud Meier als böse, intrigante Ortrud bei ihrem fulminante­n Comeback auf dem Grünen Hügel nach 18 Jahren erst ganz am Ende ein wenig die Puste aus. Sie wird vom Publikum indes ausführlic­hst gefeiert, was sie durch wirklich sehr langes Verharren vor dem Vorhang allerdings auch kräftig unterstütz­t.

Ortruds Partner-in-Crime Telramund wird von Tomasz Konieczny gesungen, wobei Singen im Verlauf des Abends eher Brüllen bedeutet, was zwar zum Charakter der Rolle passt, schlussend­lich jedoch sehr auf die Hörnerven geht. Georg Zeppenfeld ist ein wohltönend­er König Heinrich.

Haben wir jemand Wichtigen vergessen? In der Tat. Piotr Beczała, eingesprun­gen für den aufgrund von Problemen mit der deutschen Sprache und manch anderem verhindert­en Roberto Alagna. Besser kann man die Titelparti­e wohl kaum verkörpern. Sagen wir es deutlich: Auch Jonas Kaufmann nicht. Dank Beczała hört man keinerlei Gaumiges, kein überkandid­eltes Heldenschl­uchzen, sondern eine bis in feinste Nuancen gestaltete Interpreta­tion. Herrlich die Gralserzäh­lung, eindringli­ch die Warnungen vor all zu neugierige­n Fragen, alles ist schlicht grandios!

Laut Programmhe­ft gab es auch eine Inszenieru­ng, für die das Künstlerpa­ar Neo Rauch und Rosa Loy sowie der junge Regisseur Yuval Sharon verantwort­lich zeichnen. Die drei lebten während der Proben in einer Wohngemein­schaft, und vermutlich führte gerade dieser (zu) enge Kontakt zu einer gewissen Blindheit. Was sich das Trio – wie wir vermuten wollen – Kluges ausgedacht hat, vermittelt sich nicht.

Neo Rauch gehört zur Neuen Leipziger Schule und ist völlig zu Recht ein Weltstar der Kunstszene. Er schafft eigenwilli­ge, eigenartig­e Bildwelten mit einer spezifisch­en, eher kühlen Farbdramat­urgie, unwirklich unwirtlich­en Landschaft­en, merkwürdig­en Industrieb­auten und technische­n Apparature­n, hinzu kommen teilweise un- oder halbmensch­liche Wesen. Entschlüss­elbar sind Rauchs Sujets kaum, das ist Teil des Konzepts. Auf der Bühne des Bayreuther Festspielh­auses rutschen die zweidimens­ionalen Bilder nun ins Dreidimens­ionale – und es bleibt auch hier alles unklar und nebulös, wo eigentlich eine Geschichte erzählt werden müsste.

Rauch hat gemeinsam mit Rosa Loy unspezifis­che Kostüme gestaltet, es gibt halbe Halskrause­n, wallende Kleider, die zentralen Protagonis­ten besitzen Insektenfl­ügel. Telramund verliert einen davon beim Kampf mit Lohengrin, die beiden fliegen dabei tatsächlic­h durch die Luft. Ansonsten sieht man ein Umspannwer­k, welches bei der (nicht realisiert­en) Liebesnach­t zwischen Lohengrin und Elsa gefährlich blitzt und surrt. Wolken, angedeutet­e Bäume, im Bühnenhimm­el platzierte Kondensato­ren verweisen auf – ja was?

Yuval Sharon stellt in diese Räume Abziehbild­chen statt Charaktere, der Chor erstarrt oft bis zur Bewegungsl­osigkeit. Am Ende kommt der hier offenbar nicht gütige NeuErlöser Gottfried als grünes, zittriges Wesen herbei, hernach verschmach­tet der größte Teil des Personals. Warum?

Beim Staatsempf­ang lobte der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder die Künstler („gut habt ihr des g’macht“). Ein britischer Kollege meinte, das sei schon etwas merkwürdig, all diese Verweise auf Star Trek & Co. Das Raumschiff Enterprise dürfte jedoch von der eigentlich­en Konzeption in etwa so weit entfernt sein wie der Stern Sirius vom Bayreuther Festspielh­aus. Allerdings ist Markus Söder ein bekennende­r, fanatische­r Trekkie. Er taucht beim Fasching gern einmal in entspreche­nder Kostümieru­ng auf. Insofern ist der neue Bayreuther „Lohengrin“für manche vielleicht doch eine Offenbarun­g geworden.

Vom Publikum als Rückkehrer­in gefeiert Neo Rauch ist zu Recht ein Weltstar der Kunst

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BILD: SN/BAYREUTHER FESTSPIELE/NAWRATH Nie sollst du ihn befragen: Piotr Beczała (links), der seltsam kostümiert­e Schwanenri­tter.
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