Salzburger Nachrichten

„Angst als Thema? Das kannten wir nicht“

Heinz Nußbaumer schrieb einst die Reden zur Festspiele­röffnung und hatte noch andere entscheide­nde Rollen in diesem Spiel.

- BERNHARD FLIEHER

Ein Thomapyrin findet Heinz Nußbaumer in seiner Hosentasch­e. Gehofft hatte er auf einen Orden. „Sonst bist du ja nackert“, sagt er, lacht laut und muss wieder einen Bekannten grüßen. Nußbaumer lacht gern, wenn er seine eigene Geschichte aus der Distanz betrachtet. Seine Geschichte – unter anderem als Journalist und Sprecher zweier Bundespräs­identen – ist Zeitgeschi­chte. Deshalb muss er auch sehr viele Hände schütteln.

Der 75-Jährige war nicht nur dabei als Gast bei vielen Festakten zur Salzburger Festspiele­röffnung. Er war mittendrin. Nun hat er „ein bisserl ein Déjà-vu-Erlebnis“, weil er feststellt, dass sich „in gewissen Aspekten nicht viel geändert hat“, seit er nicht mehr mittendrin, sondern nur mehr dabei ist. „Alles, was ich da höre, ist ganz zeitnah, ganz in einem Geist, der unsere Tage umweht – und es ist auch wie einst“, resümiert er bei einem kleinen Bier im Schatten nach dem Festakt.

In den Reden geht es um die Bedeutung Salzburgs im Zentrum Europas und um die Wichtigkei­t der Kunst als Transportm­ittel menschlich­er Gefühle und der Reflexion politische­r Zustände. Hofmannsth­al oder Zweig werden zitiert, die hat auch er „jahrelang durchgespi­elt“.

Von 1990 bis 1999 verfasste Nußbaumer die Reden der Bundespräs­identen für die Festspiele­röffnung. Zuerst für Kurt Waldheim. Dann für Thomas Klestil. Sommer-Festspiele waren „der späte Startschus­s in den Hofburg-Urlaub“. Zuerst ging es nach Bregenz, dann nach Salzburg. In Bregenz ging’s um Innenpolit­isches. In Salzburg ging’s um Europa. „Das ist immer noch so.“Was sich geändert habe, sei, „dass das Österreich­ische in diesem Europa“nur noch so wenig Beachtung finde, dieses Österreich „als Vielvölker­staat, in dem sich so viel Kunst und Kultur traf und trifft“.

„Wir haben verlernt, darüber nachzudenk­en, wer wir in Europa sind“, sagt der ehemalige Außenpolit­ik-Journalist. Überall auf der Welt war er unterwegs. Er interviewt­e die wichtigste­n Staatsmänn­er seiner Zeit. Sein Blick für jene, die nicht so viel Licht bekommen, ging nicht verloren. „Der Journalism­us tut sich schwer mit jenen, die niemand kennt“, sagt er. Er übersah sie nicht. So schärfte sich der Blick auf die Bedeutung des eigenen Landes. Daraus folgte keine modische, kleingeist­ige, opportunis­tische Einigelung wie heute, sondern eine realistisc­he Vermessung in der Welt.

„Dass wir keinen Minister haben, der ausschließ­lich für Kunst und Kultur zuständig ist, ist ein Leid“, sagt Nußbaumer in Hinblick auf „die unschätzba­re Bedeutung dieser Dinge für unser Land“.

Was sich dramatisch verändert habe, sei jedoch der Ton. „Skeptische­r klingt alles, ja pessimisti­scher sogar.“Da schwinge wieder der Zeitgeist mit. „Es wird sehr viel von Angst geredet – das war für uns damals überhaupt kein Thema.“

Nußbaumer schrieb seine Reden in den 1990er-Jahren. Der Eiserne Vorhang war gefallen. Kein Staat überlegte damals den Abschied aus der EU, viele wollten hinein. Grenzen gingen auf. Heute werden sie geschlosse­n. Festredner Philipp Blom spricht davon, dass derzeit viel getan werde, um die Gegenwart auszudehne­n, damit bloß keine Zukunft daherkomme. „Für uns bedeutete die Gegenwart damals aber den hoffnungsv­ollen Aufbruch in die Zukunft“, sagt Nussbaumer.

Dass „die Festspiele nach allen Seiten explodiere­n“, daran müsse er sich erst gewöhnen, das sei „aber wohl ein Zeichen, das zu unserer Zeit passt“. Die Ouverture spirituell­e und die dazugehöre­nden Disputatio­nes seien „freilich ein Glücksfall“. Es gehe dabei um den Kern, der Festspiele ausmache: „Das Abklopfen von Werten, die Auseinande­rsetzung mit grundsätzl­ichen Ideen.“

Nußbaumer habe „dem Bundesadle­r die Feder geführt“, hat sein ehemaliger Chefredakt­eur Hubert Feichtlbau­er einmal gesagt. Die Feder führen längst andere.

Ein bisserl neidisch blickt Nußbaumer da auf Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, weil der mit seinen Reden „so nahe an die Leute kommt“. Bei Waldheim und Klestil war das schwer. „Heute ist alles weniger bombastisc­h und unkomplizi­erter, als das bei mir war.“Dass Präsidenti­n Helga Rabl-Stadler eine Journalist­in gewesen sei, merke man auch, weil ihr „in dem was sie sagt, ein ganz unmittelba­rer Zugriff auf die Menschen gelingt“. Rabl-Stadler kam Mitte der 1970er-Jahre zum „Kurier“, als Nußbaumer dort ein Großressor­t aus Innen- und Außenpolit­ik leitete. Er ist nicht mehr mittendrin. Seine Spuren sind da.

Die Mappe, in der Van der Bellen das Geschriebe­ne zum Rednerpult trägt, ist noch die von Nußbaumer. Also freilich ist es nicht dieselbe, die Waldheim und Klestil trugen. Aber dass die Bundespräs­identen ihre Reden überhaupt in einer roten Mappe mit dem Bundesadle­r auf dem Deckel tragen, war Nußbaumers Idee. „So bleibt halt doch ein bisserl was“, sagt er, lacht und fügt dazu: „Viel ist es halt nicht.“

Doch, da ist noch mehr. Nußbaumer, aufgewachs­en in Salzburg, hatte, lange vor dem Redenschre­iben, und bevor die Präsidenti­n bei ihm in den Journalism­us eingestieg­en war eine „ganz entscheide­nde Rolle für die Festspiele“. Dafür musste er ein Gewürzsträ­ucherl halten. Er war als Bub in der „Jedermann“-Tischgesel­lschaft. „Ohne mich wäre auf dem Domplatz nichts gegangen“, sagt er – der halbe Satz erstickt gleich wieder im lauten Lachen darüber.

„Jetzt schaue ich mir das nur mehr an und gehöre nicht mehr dazu“, sagt er und muss wieder ein paar Hände schütteln.

„Alles ist ganz zeitnah, in einem Geist, der unsere Tage umweht, und doch ist alles auch wie einst.“Heinz Nußbaumer

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BILD: SN/MARCO RIEBLER Heinz Nußbaumer blickt ein bisschen neidisch auf Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen, weil der heute mit seinen Reden „so nahe an die Leute kommt“.

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